Alle Storys
Folgen
Keine Story von Landeszeitung Lüneburg mehr verpassen.

Landeszeitung Lüneburg

Landeszeitung Lüneburg: "Das ist nur noch möglich in autoritären Staaten möglich"
Russland-Expertin Marieluise Beck über Putin und die Olympischen Spiele

Lüneburg (ots)

Nach der Freilassung im Dezember waren Sie eine der ersten, die mit Michail Chodorkowski sprechen konnten. Sie beschreiben ihn trotz der langen Lagerhaft als sehr stark. Kann er persönlich dazu beitragen, Russland zu modernisieren?

Marieluise Beck: Es wird immer wieder Verwunderung darüber geäußert, dass Michail Chodorkowski so zurückhaltend ist in seiner Kritik an Präsident Wladimir Putin und an der russischen Innenpolitik. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass Chodorkowski nicht wirklich frei ist, solange weitere Yukos-Mitarbeiter in Haft sind. Er hat betont, dass sein Anliegen nach der jahrelangen Haft und Lagererfahrung vor allem die Thematisierung der dramatisch schlechten Verhältnisse in russischen Lagern sein wird. Ich glaube nicht, dass er sich in näherer Zukunft in die Auseinandersetzung um die russische Innenpolitik einmischen wird.

Wären Chodorkowski, Platon Lebedew, die Pussy-Riot-Frauen und die Greenpeace-Aktivisten ohne die Olympischen Spiele begnadigt worden?

Beck: Es ist kein Zufall, das gerade diese Häftlinge entlassen worden sind. Alle diese Namen stehen für große Aufmerksamkeit im westlichen Ausland. Zudem gab es zuvor die ersten Olympia-Absagen westlicher Staatsoberhäupter. Ich sehe einen deutlichen Zusammenhang zwischen diesen Absagen und dem Wunsch Wladimir Putins, als ungekrönter Zar Gastgeber dieser großen Olympischen Spielen zu sein. Die Freilassung dieser Symbolfiguren ist eine Morgengabe an den Westen. Zugleich drohen in Russland selbst den Demonstranten, die 2012 an den Massenprotesten gegen Putin auf dem "Bolotnaja-Platz" teilgenommen haben, hohe Haftstrafen. Es wird massiver Druck auf Menschenrechts- und Umweltaktivisten im Umfeld von Sotschi ausgeübt - bis hin zur Umwandlung von Bewährungsstrafen in Haftstrafen.

Was erwarten Sie von Putin im Umgang mit Oppositionellen, wenn der Olympia-Tross Russland wieder verlassen hat? Etwas größere Gelassenheit oder weiterhin die Daumenschrauben?

Beck: Seitens des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) wird auf die Frage, weshalb Spiele in so schwierige Länder vergeben werden, immer wieder angeführt, sportliche Großveranstaltungen könnten zur inneren Demokratisierung eines Landes beitragen. Es gibt dafür leider keine Beispiele. In China ist die Zahl der Hinrichtungen gestiegen. In Südkorea, wo 1988 die Olympischen Sommerspiele stattgefunden haben, ist eine Demokratisierung ausgeblieben. Und es ist zu befürchten, dass Putin nach Sotschi den eingeschlagenen Kurs der Drangsalierung der Zivilgesellschaft eher noch verschärfen wird.

Sie glauben also, dass die Spiele in Sotschi nur Putins Macht stärken, statt freiheitliches Gedankengut nach Russland zu tragen?

Beck: Es gibt den Begriff der "weißen Elefanten". Das sind sportliche Prachtbauten, die mit staatlichen Mitteln finanziert worden sind und dann ungenutzt herumstehen, weil das Geld für die Unterhaltung fehlt. Das ist nur noch möglich in autoritären Staaten. Weil nur dort die Bevölkerung nicht gefragt werden muss, ob die Geldströme in repräsentative Sportstätten oder zum Beispiel in die Sanierung von Krankenhäusern fließen sollen. Die Spiele in Sotschi, für die ein Sommerkurort in einen Wintersportort umgewandelt werden musste, sollten ursprünglich zwölf Milliarden Dollar kosten. Daraus sind inzwischen 50 Milliarden Dollar geworden. Diese Gelder kommen aus der russischen Staatskasse, von Gazprom und von Oligarchen, die abhängig sind von Putin. Man muss davon ausgehen, dass von diesen 38 Milliarden Dollar Differenz wesentliche Teile in Korruptionskanälen versickert sind. Dies alles sind keine Voraussetzungen für innere Demokratisierung. Im Gegenteil: Jene, die diese Korruption an die Öffentlichkeit bringen, sollen mundtot gemacht werden. Das gilt etwa für den Blogger Alexej Nawalny, der sehr detailliert korrupte Geldströme im Zusammenhang mit Olympia nachgewiesen hat.

Müssen bei der Vergabe sportlicher Großereignisse die Rechtsstaatlichkeit, die Haltung gegenüber Minderheiten sowie bei den Bauprojekten der Umgang mit Arbeitsmigranten und der Umwelt entscheidende Kriterien sein?

Beck: Es ist eine Forderung der Grünen, dass das IOC nicht erst darüber nachdenkt, in welches Umfeld Olympische Spiele vergeben werden, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Die Spiele, die ja eigentlich großartige internationale Völkerbegegnungen sind, brauchen auch eine ethische Basis, eine Konvention, in der die genannten Standards festgelegt werden.

Ein frommer Wunsch, solange sich um die kleinen Zirkel der der Sportfunktionäre - insbesondere beim IOC - ebenfalls regelmäßig Korruptions- und Mauschelei-Vorwürfe ranken...

Beck: So ist es. Man kann nur hoffen, dass - ähnlich wie bei die Doping-Debatte - auch die gesellschaftliche Diskussion über Korruption Fahrt aufnimmt. Eigentlich stand Salzburg auf Platz eins der Vergabeliste. Was sich in dem 100-köpfigen Gremium abgespielt hat, damit sich dann Sotschi durchsetzen konnte, bleibt unserer Fantasie überlassen. Das muss man nicht weiter kommentieren.

Die Glaubwürdigkeit des Sports hat durch die Vergabe an den Küstenort am Schwarzen Meer gelitten?

Beck: Ja, das ist mein Argument gegenüber den Sportfunktionären. Sie verraten die mit dem Sport verbundenen Ideale von Fairness und Leistung, wenn sie selbst im Sumpf der Korruption stecken und im Grunde nur noch große internationale Geldmaschinen betrieben werden.

Können oder haben die Begnadigungen Oppositioneller bereits das Verhältnis Moskaus zur EU und zu den USA verbessert? Immerhin hat US-Präsident Barack Obama Putin Hilfe bei der Terrorabwehr angeboten.

Beck: Es will ja niemand die Rückkehr des kalten Krieges. Insofern ist jeder Kontakt und jeder Dialog wichtig und sollte auch gesucht werden. Natürlich gibt es gemeinsame Interessen. Es ist eine Tatsache, dass das, was als terroristische Bedrohung die freie westliche Welt beschäftigt, auch ein säkulares russisches Imperium in Atem hält - ich nenne nur die Verhältnisse im Nordkaukasus. Und auch der Abzug aus Afghanistan braucht russische Unterstützung. Es kann allerdings nicht darum gehen, die sich zunehmend verfestigende Haltung zu akzeptieren, dass die die Welt wieder in geostrategische Imperien aufgeteilt wird, wie Putin es mit der Stützung Assads in Syrien getan hat und tut und wie er es jetzt mit der Ukraine versucht. Das ist keine Basis. Putins Anspruch, die Souveränität freier Länder übergehen zu dürfen, muss auch im Dialog deutlich zurückgewiesen werden.

Wie kann der Westen Moskau für die Lösung internationaler Konflikte wie in Syrien oder im Iran gewinnen und zugleich auf eine stärkere Zivilgesellschaft in Russland hinwirken?

Beck: Letztlich ist es richtig, dass die Auseinandersetzung in den Ländern selbst geführt werden muss. Wir können eine russische Zivilgesellschaft nicht von außen befreien. Wir können aber sehr deutlich machen, auf welcher Seite wir stehen und welche Geschäftsordnung Länder haben, die freiwillig Mitglied gemeinsamer Institutionen wie Europarat, UN und OSZE sind. Und in allen drei Institutionen ist die Russische Föderation Mitglied. Der Europarat hat eine ganz klare europäische Menschenrechtskonvention als Grundlage - und einen Gerichtshof, der diese Konvention für die Bürgerinnen und Bürger auslegt.

Der SPD-Politiker Gernot Erler, Russland-Koordinator der Bundesregierung, hat im vergangenen Jahr unter der Überschrift "Schluss mit den Russland-Bashing" mehr Verständnis und Gespräche gefordert. Teilen Sie diese diplomatische Haltung?

Beck: Ich teile die Haltung, dass für Gespräche zu werben ist. Dass im Westen vorwiegend schlecht und vorurteilsbehaftet über Russland gesprochen würde, ist eine Propagandafigur, die aus dem Kreml kommt und mit der versucht wird, aus vermeintlich angetanem Unrecht Kapital zu schlagen. Dem sollten wir nicht auf den Leim gehen.

Selbst einige Menschenrechtsgruppen sehen Joachim Gaucks Absage kritisch und meinen, der wäre besser als Bürgerrechtler in Sotschi aufgetreten. Sollte Kanzlerin Merkel zu den Olympischen Spielen reisen?

Beck: Ich beobachte im Augenblick mit Sorge die dramatische Entwicklung in der Ukraine, die maßgeblich von Russland beeinflusst wird, und die Verhältnisse in Syrien. Ich würde es für eine gute Idee halten, wenn sich die Kanzlerin während der Eröffnungsfeier vielleicht eine andere Stätte sucht, an der sie die Internationale Völkerfreundschaft dokumentiert.

Der russische Olympia-Traum kostest mehr als alle anderen Spiele zuvor und wird auch durch Korruption, Lohndrückerei, Enteignungen, Vertreibungen und praktisch unbegrenzten Vollmachten des Sicherheitsapparates verwirklicht. Halten Sie ähnliche Unruhen wie in der Ukraine in Russland für gänzlich ausgeschlossen?

Beck: Unruhen in dieser Breite sehe ich derzeit in Russland nicht. Was ich allerdings sehe, ist die Gefahr des Terrorismus - und zwar nicht unbedingt an den Austragungsorten der Olympischen Spiele, sondern vor allem innerhalb Russlands an Orten, von denen Sicherheitskräfte abgezogen worden sind, um Sotschi zu einer Festung zu machen.

Das Interview führte Klaus Bohlmann

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

Original-Content von: Landeszeitung Lüneburg, übermittelt durch news aktuell

Weitere Storys: Landeszeitung Lüneburg
Weitere Storys: Landeszeitung Lüneburg