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Landeszeitung Lüneburg: "Für die Demokratie streiten" - Interview mit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen

Lüneburg (ots)

Die Bundesministerin für Verteidigung, Ursula von der Leyen, sieht im Aufstieg der Rechtspopulisten einen Weckruf

Reicht der erhöhte Verteidigungsetat, um künftig der Truppe Hitzestress wie in Mali zu ersparen oder überdehnt die Bundeswehr ihre Kräfte in mehr als einem Dutzend Auslandseinsätzen, als Helfer bei Terrorgroßlagen und bei der Abschreckung an der NATO-Ostflanke?

Ursula von der Leyen: Wir dürfen bei der Frage der Beurteilung des Wehretats nicht vergessen, woher wir kommen. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs haben wir uns mehr als 25 Jahre über Frieden im Herzen Europas gefreut. Umgeben von Freunden wurde die Bundeswehr 25 Jahre lang geschrumpft. Das hat tiefe Spuren hinterlassen. In den letzten Jahren hat sich die sicherheitspolitische Lage aber verändert. Seit der Besetzung der Krim und der Destabilisierung der Ost-Ukraine präsentiert sich der Kreml zunehmend unberechenbar und aggressiv. Der sogenannte Islamische Staat zieht ein weites Band des Terrors vom Nahen und Mittleren Osten über Afrika bis hin nach Europa. Zudem erleben wir weltweit nie dagewesene Flüchtlingsströme. Deutschland als politisch und wirtschaftlich starkes Land muss in diesem Bereich seinen Teil der Verantwortung tragen. Und deshalb braucht es Investitionen in unsere Bundeswehr - nicht massiv in einem Schlag, aber schrittweise über die Jahre verteilt. So können wir Lücken auffüllen und modernisieren - vor allem in der Digitalisierung und der Cybersicherheit.

Sie haben das neue Cyber-Kommando eingeführt. Wird die neue Teilstreitkraft die Ära von der Leyen überdauern oder wird das Bundeswehr-Sold-Gefüge verhindern, dass ausreichend IT-Spezialisten rekrutiert werden können?

Tatsächlich sind IT und Cyber nicht nur für die Bundeswehr und andere Armeen das Zukunftsthema. Auch Wirtschaft und Behörden suchen händeringend IT-Nachwuchs.. Wir sind in Europa die ersten, die sich mit einem eigenen Cyber-Kommando mit 13500 Soldatinnen und Soldaten sowie zivilen Kräften überwiegend aus der Informationstechnik, Aufklärung und Cyber-Sicherheit so schlagkräftig aufstellen. Allerdings wissen wir, dass wir an die Potenziale der Amerikaner und Israelis nicht herankommen. Ohne IT sind Armeen nicht mehr denkbar, so hat allein der Eurofighter 80 Computer und 100 Kilometer Kabel an Bord. Das illustriert den hohen Stellenwert, den der Schutz der eigenen Netze für die Bundeswehr hat. Dasselbe gilt für den Cyberraum, in dem gezielt Fake News verbreitet werden und in dem der IS über soziale Medien rekrutiert und Aufträge erteilt. Hier sind wir in der Pflicht, uns gut aufzustellen, aber tatsächlich müssen wir uns auf dem Arbeitsmarkt strecken. Und das gelingt uns auch. Durch unsere Bemühungen haben wir beispielsweise 2016 60 Prozent mehr IT-Fachkräfte anstellen können als im Jahr davor. Wir werden einen Cyberstudiengang an der Bundeswehruniversität in München für 70 Studierende pro Jahr und 13 Professuren einrichten. Zudem erarbeiten wir ein Konzept für eine Cyber-Reserve aus der Wirtschaft, also Menschen, die für eine Zeit ihre Cyber-Expertise der Bundeswehr zur Verfügung stellen.

Muss man rechtlich nachbessern? Wo endet im grenzenlosen Cyberraum die Verteidigung, wo beginnt der Angriff?

In diesem Bereich ist schon sehr viel geregelt. Die Bundeswehr selbst darf beispielsweise offensiv zurückschlagen, wenn sie so angegriffen wird, dass ihre Funktions- und Einsatzfähigkeit gefährdet ist. Besonders ist im Cyberraum, dass Angreifer - anders als beim Aufmarsch konventioneller Armeen - nur sehr schwer zu identifizieren sind. Und weil Cyberattacken billig sind, kann da hinter ein Hacker, ein Krimineller oder doch ein Staat stecken. Wohl nie hatte der Westen eine derart unberechenbare Vormacht. Warnschuss in Syrien, Muskelspiele vor Nordkorea: Werden die Zeiten mit der Administration Trump kriegerischer? Zunächst mal ist die USA Teil der NATO - ein Bündnis zu 28, das einstimmig entscheidet. Zudem habe ich großes Vertrauen in den neuen US-Verteidigungsminister, James Mattis, ein ehemaliger Vier-Sterne-General mit NATO-Vergangenheit. Ein sehr besonnener, belesener und kluger Kopf, der offensichtlich zunehmend Einfluss auf das Weiße Haus hat. Reicht der Einfluss auf das NATO-Mitglied Türkei, um den Flüchtlingsdeal trotz Abkehr von Europa zu retten? Die Türkei macht es uns sehr schwer. Aber wir sollten nicht annehmen, dass eine Türkei, die nicht in der NATO ist, uns besser zuhört als eine, die unser Bündnispartner ist. Die Türkei liegt geografisch an einer kritischen und sicherheitspolitisch wichtigen Stelle. Deshalb lohnt es sich auch nach dem Referendum, das erwiesen hat, wie geteilt das Land ist, weiter einen engen Kontakt zu dem Land zu pflegen. Das Flüchtlingsabkommen liegt auch im Interesse der Türkei. Die NATO-Mission zwischen der Türkei und Griechenland hat als Begleiteffekt ergeben, dass die organisierte Kriminalität an der Küste der Türkei nahezu zerschlagen wurde, weil Ankara aufgeräumt hat. Außerdem finanziert die EU viel, was die Versorgung von Kindern in türkischen Schulen angeht.

Sind die EU-Beitrittshilfen noch sinnvoll?

Diese Frage muss die EU diskutieren, wobei mir eines wichtig ist: Nicht Europa bewegt sich auf die Türkei zu, sondern der Beitrittskandidat auf die Europäische Union. Hier muss also Ankara einen neuen Kurs einschlagen.

Der Richtungsstreit in der AfD spitzt sich zu: Würde ein weiterer Rechtsruck oder gar eine Spaltung der Partei der Union helfen?

Der Dauerstreit der AfD - gipfelnd in die Zurückstutzung von Parteichefin Frauke Petry in Köln - entlarvt die Konzeptlosigkeit dieser Partei. Für uns Union ist wichtig, uns als Volkspartei in der Mitte zu positionieren und überzeugende Konzepte für die Themen der Zukunft vorzulegen. Und wir haben etwas vorzuweisen: Die Bundeskanzlerin hat das Land in den vergangenen Jahren sicher durch viele Krisen gesteuert. Und so muss man agieren: Nicht nörgelnd den Verlust einer idealisierten Vergangenheit beklagen, sondern Konzepte für künftige Probleme vorlegen. Wie sieht das Konzept gegen den Schulz-Hype aus? Das Wort Hype drückt ja schon aus, dass es sich um etwas Kurzlebiges, Aufgeblasenes handelt, dem offenbar bereits die Luft ausgeht. Es ist falsch, mit den Rezepten der Vergangenheit, etwa Arbeitsmarktideen aus einer Zeit, als Deutschland noch der kranke Mann Europas war, die Zukunft gestalten zu wollen. Für moderne Konzepte steht die Union.

Ist die Entmachtung von Generalsekretär Peter Tauber durch die Ernennung von Kanzleramtschef Peter Altmaier zum Wahlkampfmanager ein Indiz dafür, dass es diesmal enger wird als 2009 und 2013?

Ohne Zweifel wird das ein lebendiger und harter Wahlkampf, schon allein, weil sich die sicherheitspolitische Lage komplett gewandelt hat. Zudem ist der Angriff auf die Demokratien von innen in Europa durch rechtspopulistische Bewegungen nicht zu unterschätzen. Es ist ein Alarmsignal, wenn Marine Le Pen in einem Gründungsstaat der EU in die Stichwahl um das Präsidentenamt gelangt. Zugleich liegt in der Herausforderung durch autoritäre Bewegungen aber auch eine Chance. So freue ich mich sehr über die Gegenbewegung "Pulse of Europe". Allzu lange haben wir gedacht, die Demokratien seien so gefestigt, dass sie keines besonderen Einsatzes mehr bedürfen. Tatsächlich gilt es jetzt aufzustehen, um für Demokratien, unsere Freiheiten und offene Gesellschaften zu streiten.

Wie sehr haben der Kanzlerin die Querschüsse aus Bayern in Sachen Flüchtlingspolitik und das Zaudern bei der Kanzlerkandidatur geschadet?

Wir mussten diese Frage in der Union ausführlich diskutieren, weil es auch in Deutschland ein breites Spektrum von Meinungen zu diesem Komplex gibt. Die Erfahrung mit den Geflüchteten hat unser Land durchgeschüttelt. Aber wir ernten weltweit Anerkennung für unser Verhalten. Wir haben noch viel Arbeit vor uns, um die Flüchtlinge, die zu recht hier sind, zu integrieren, und diejenigen zurückzuschicken, die unser Asylrecht missbrauchen.

Die SPD sonnt sich derzeit in den Machtoptionen R2G und Ampel...

...ja, wir beobachten, dass die SPD nach allen Seiten blinkt. Das ist - wie im Straßenverkehr - nie gut, zeigt aber ihre Verunsicherung. Aber wir bleiben zuverlässig auf Kurs.

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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