Neue Westfälische (Bielefeld): Atomausstieg Hektik und Herrschaft HANNES KOCH, BERLIN
Bielefeld (ots)
Zu den gefährlichsten Zivilisationskrankheiten gehört die Eile. Sie tötet die Lebenslust und das Nachdenken. Auch schafft Zeitmangel Probleme ganz eigener Art. Hätte sich Kanzlerin Angela Merkel beispielsweise im vergangenen Jahr bei der Verlängerung der Atomlaufzeiten etwas mehr Ruhe genommen, müsste sie der eigenen Partei jetzt nicht ihren 180-Grad-Schwenk in der Energiepolitik erklären. Auch bei den Ausstiegsgesetzen droht wieder der Eile-Fehler. Mit Hochgeschwindigkeit verabschiedet die Regierung gleich zehn Gesetze und Vorhaben zur Energiewende, die die Grundlage unseres Lebens und Arbeitens in den kommenden 40 Jahren bestimmen. Warum kann man darauf nicht etwas mehr Sorgfalt verwenden? Im Sinne eines guten Regierens verbieten sich High-Speed-Gesetze. Außerdem planen Regierung und Koalition ein Beschleunigungsgesetz für den Bau der neuen Stromnetze. Wenn den Bürgern aber die Windparks, Solarkraftwerke und Hochspannungsleitungen im Rekordtempo vor die Nase gesetzt werden, ist der Protest gegen die Energiewende programmiert. Mehr Bürgerbeteiligung wäre notwendig. Die Regierung muss Ländern, Gemeinden und Einwohnern einen Vorschlag vorlegen, wo und wie die neue Energieinfrastruktur entstehen soll. Erst nach mehreren Beratungsschleifen, bei denen die Einwände ernst genommen werden, dürfen die Baumaßnahmen beginnen. Eile kann eine Herrschaftsmethode sein. Wer seine Gegner neutralisieren will, nimmt ihnen die Zeit zur Reaktion. Bevor sie sich sortiert haben, hat die Regierung die Zukunft schon strukturiert. Auf solche Methoden versteht Angela Merkel sich ziemlich gut. Die Abgeordneten des Bundestages und die Bürger aber sollten sagen: Halt! Auf ein halbes Jahr mehr oder weniger kommt es jetzt nicht an.
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