Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Das Unglück der "Costa Concordia" Albtraum auf dem Traumschiff BERNHARD HÄNEL
Bielefeld (ots)
Es sollte eine Traumreise werden, doch es wurde ein Albtraum für mehr als 4.000 Menschen an Bord der "Costa Concordia". Bereits beim ersten Dinner endete die Fahrt durch das westliche Mittelmeer vor der kleinen toskanischen Insel Giglio. Was, so fragt man sich, hat ein 291 Meter langes und 17 Deck hohes Schiff da zu suchen? Nichts, sagen die Experten und suchen nach Erklärungen für den sonderbaren Kurs des gestrandeten Cruisers. Italienische Zeitungen mutmaßen, Grund für den abenteuerlichen Kurs der "Costa Concordia" könne eine absurd wirkende Gewohnheit sein: die sogenannte Verneigung von Kreuzfahrtschiffen vor der Küste. Ein Spektakel, mit dem Passagiere wie Landbewohner beeindruckt werden sollen. Dümmer geht's nimmer. Für dieses unseemännische Brauchtum gibt es Verantwortliche, die zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Zuvorderst der Kapitän des Schiffs, dem derzeit viele Verstöße gegen die Pflichten des ersten Manns an Bord vorgeworfen werden. Ihn traf auch der schlimmste Vorwurf in der christlichen Seefahrt: Er soll das Schiff bereits verlassen haben, als noch Aberdutzende Passagiere und Besatzungsmitglieder um ihr Leben bangten. Dies zu klären wird Aufgabe eines italienischen Gerichts sein. Das Gericht wird auch klären müssen, welche Ausbildung die gesamte Mannschaft für den größten anzunehmenden Unfall hatte. Die Berichte der geretteten, aber unter Schock stehenden Passagiere stellen ihr kein gutes Zeugnis aus. Anrührend dagegen sind die Berichte über couragierte und beseelte Anwohner, die spontan Hilfe leisteten, mit warmem Tee, Decken und Bekleidung. Zeichen der Mitmenschlichkeit inmitten des Chaos, das den Geretteten unvergesslich bleiben dürfte. Fahrten auf einem Traumschiff sind zu einem Massenvergnügen geworden, erstaunlich preiswert und selbst bei kleinem Geldbeutel finanzierbar. Die Wirklichkeit aber sieht deutlich anders aus als in Fernsehserien. In der Traumschifffahrtsindustrie herrscht knallharter Wettbewerb. Die Mannschaft unter Deck wird meist mit Dumpinglöhnen bezahlt. Kümmerer wie "Traumschiff"-Kapitän Jakob Paulsen oder Chefstewardess Beatrice sind nur eine schöne Fiktion. Jeder, der sich eine Fahrt auf einem Grandhotel auf See leistet, kann das ahnen. Wissen muss er, dass es stets ein Restrisiko gibt; dies wird, wie stets im Leben, verdrängt. So betrachtet, war es Glück im Unglück, dass der Unfall nicht auf hoher See, sondern direkt an der Küste passierte. Schnelle Hilfe war möglich, so dass auch die Zahl der Toten geringer ausfiel, als zu befürchten war. Das macht den Albtraum aber nicht weniger schmerzlich.
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