Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: Karlsruhe macht Weg für Rettungsschirm frei Ein gutes Urteil THOMAS SEIM
Bielefeld (ots)
Das Bundesverfassungsgericht hat über die demokratische Legitimation des Euro entschieden. Und es hat richtig entschieden. Mehr durften die Richter nicht für sich in Anspruch nehmen, um nicht den Verdacht zu nähren, sie entwendeten der gewählten - also anders als das Gericht durch demokratische Wahl legitimierten - Legislative (Bundestag) und Exekutive (Bundesregierung) die Verantwortung und Handlungshoheit für die Außen-, Europa- und Finanzpolitik. Es ist also ein gutes Urteil aus Karlsruhe. Aber unter dem Vorsitz des Verfassungsgerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle ist den Karlsruher Richtern mit der Behandlung des gesamten Vorgangs noch etwas anderes, etwas Besonderes gelungen. Die mehrere Wochen dauernde Prüfung des Sachverhalts und die damit verbundene innenpolitische Debatte über die richtige Richtung der Euro-Politik hat das undemokratische Geschwätz von der "Alternativlosigkeit" der Politik beendet. Sie hat zu einem intensiveren Streit über die Bedeutung und den Kurs der Euro- und Europapolitik geführt. Und sie hat zugleich die Gewaltenteilung und damit das Fundament der bundesrepublikanischen Demokratie gestärkt. Die Leistung der Verfassungsrichter hat insofern zur Versachlichung der Debatte beigetragen und sie hat den Euro und seine Bedeutung für Frieden und wirtschaftlichen Erfolg in Europa unterstrichen und bestätigt. Diese politische Führung wäre von Beginn eigentlich Auftrag und Verpflichtung der gewählten Institutionen und ihrer Repräsentanten gewesen. Dieser Erkenntnis mag ein wenig die aktuelle Ankündigung unseres Bundespräsidenten geschuldet sein, dass er nun seinerseits prüfen werde. Man darf ehrbare Motive unterstellen, aber man wird dem Bundespräsidenten an dieser Stelle auch sagen müssen: Das ist nicht seine Aufgabe. Er ist keine vierte Gewalt, die ein eigenes politisches und juristisches Prüfrecht besäße, das demokratisch legitimierte (durch den Bundestag) und verfassungsrechtlich bestätigte (durch die Karlsruher Richter) Gesetzgebung korrigieren könnte. Nun, da die Entscheidung für das Friedensprojekt Europa und gegen die kleinstaatliche Bedenkenträgerei und ängstliches Geldzählen gefallen ist kommt es allerdings um so mehr darauf an, das Handlungsfeld einer Europäischen Union neu zu beschreiben. In einer Weltwirtschaft, die die Schwellenländer Brasilien, Mexiko, Südafrika und die Türkei zu potenten Mächten heraufwachsen sieht, die China und Indien schon heute als starke Mitbewerber auf den internationalen Märkten fürchtet - in dieser Weltwirtschaft wird Europa mit einem deutlich verminderten Anteil an weltwirtschaftlicher Gesamtleistung zurechtkommen müssen. Dafür müssen unsere schwächelnden Partner im Süden des alten Kontinents jetzt schnell gerüstet werden. Vielleicht braucht man für tatsächlich unterschiedliche Geschwindigkeiten für starke und schwache Partner. Aber es muss endlich losgehen damit. Seit gestern ist dafür das Feld bereitet.
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