Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Obamas Afghanistan-Politik Ghanis Wunschzettel Dirk Hautkapp, Washington
Bielefeld (ots)
So viel gutes Einvernehmen und Lächeln wie auf den Fotos, die in dieser Woche das arg strapazierte Verhältnis zwischen Amerika und Afghanistan für die Nachwelt festhalten werden, hat es lange nicht gegeben. Anders als der zuletzt geradezu amerikafeindliche Vorgänger Hamid Karsai, der Denken und Handeln in archaischen Stammeskategorien nie überwunden hat, ist der neue Präsident Aschraf Ghani von geradezu ausgesuchter Weltläufigkeit. Und demonstriert, was in Washington am liebsten gehört wird: Dankbarkeit für ein Engagement, das in fast jeder Hinsicht desaströse Bilanzen erzeugt hat. 14 Jahre nach dem US-Einmarsch am Hindukusch im Gefolge des 11. September sind die Taliban noch immer der entscheidende Faktor zwischen Kundus und Kandahar. Der knapp 330.000 Köpfe zählende Sicherheitsapparat, obwohl bis heute mit über 60 Milliarden Dollar aus Washington gepampert, ist zur uneingeschränkten Landesverteidigung weiter strukturell unfähig. Fahnenflucht, Analphabetismus, Drogensucht, Personalmangel und Managementfehler schwächen die Truppe. Allein 2014 ließen mit 3.700 Zivilisten so viele Afghanen bei Attentaten ihr Leben wie in keinem anderen Jahr seit Beginn des Konflikts nach den Terroranschlägen von New York und Washington. Die bevorstehende Frühjahrsoffensive der Taliban löst darum schlimmste Befürchtungen aus. Ghani, obwohl Wunschkandidat und Geschöpf Washingtons, hat bisher an keiner Front geliefert. Trotzdem hat sein üppiger Wunschzettel, den er bei seinem Antrittsbesuch in Washington mit sich führt, Chancen auf Berücksichtigung. Anders als bisher festgelegt, wird Präsident Obama beim Truppenabzug auf die Bremse treten. Auf Drängen Ghanis, das von US-Militärs strategisch unterfüttert ist, wird der militärische Fußabdruck der Vereinigten Staaten in Afghanistan voraussichtlich noch längere Zeit unübersehbar bleiben. Mehr US-Soldaten = mehr Stabilität = weniger Vakuum, in das Taliban & Co. stoßen können. Diese zweifelhafte Devise kommt einem bekannt vor. Angesichts der trüben afghanischen Wirklichkeit wird sie auch noch dann ihre Gültigkeit haben, wenn Obama und Ghani längst Geschichte sind.
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