Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu RAF
Bielefeld (ots)
Vor 30 Jahren erlebte Deutschland einen mörderischen Sommer, von April bis Oktober fanden zehn der insgesamt 34 politischen Morde der Rote Armee Fraktion (RAF) statt. Die Verunsicherung von damals ist vorüber. Vieles, wenn auch längst nicht alles, ist geklärt. Und dennoch dürften die meisten Rückschauen in den kommenden Wochen eine falsche, zumindest unzureichende Überschrift tragen: »Deutscher Herbst«. Von den Todesschüssen auf Siegfried Buback und der »klammheimlichen Freude« eines Göttinger Studenten im April 1977 bis zu den Selbstmorden der ersten RAF-Generation zeitgleich mit der Liquidierung Hanns-Martin Schleyers im Herbst spannt sich der Bogen. Auf Schockwellen reinen Erschreckens folgte eine deutsche Debatte, die bis heute Peinlichkeiten bereithält. Nicht jeder noch politisch Aktive wird sich gern daran erinnern. Zwar identifizierte sich damals niemand in der politischen Klasse voll und ganz mit den Zielen der RAF, aber viele ließen auch eine 100-prozentige Gegnerschaft zu den Motiven der RAF vermissen. Diese Haltung zog sich von Linksaußen bis weit in die Mitte der bürgerlichen Gesellschaft. So eindeutig wie heute etwa der Terror vom 11. September 2001 abgelehnt wird, war die gängige Haltung damals nicht. Daran gilt es zu erinnern, wenn der »deutsche Herbst« und die »bleierne Zeit« bemüht werden. Beide Begriffe standen nicht in Opposition zum Terror, sondern auch für das angebliche Welken von Rechtsstaatlichkeit und das behauptete Entstehen eines neuen Polizeistaates. Es ist gut, dass die Ereignisse von damals wieder in Erinnerung gerufen werden. Zu viel ist vergessen. Die jüngst gemeldeten und von uns allen als Neuigkeit verstandenen Anschlagsplanungen gegen Willy Brandt waren 1984 Bestandteil der mündlichen Verhandlung gegen die Terroristen Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt, also nichts Neues. Auch die Ausspähung der Privathäuser des damaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher und von Mercedes-Chef Edzard Reuter sind nicht mehr als überlesene Fußnoten eines mordsgefährlichen Angriffs auf Nachkriegsdeutschland. Die Monate September und Oktober des Jahres 1977 waren geprägt von großer Terrorangst, weit überbewertetern Warnungen vor der »Rasterfahndung« und einer starken Ablehnung der RAF in der Bevölkerung. Nicht einzelne Politiker, aber ihre Gesamtheit versagte damals vor einer Öffentlichkeit, die nach Orientierung und nicht nach lauer Distanz verlangte. Weite Kreise fühlten sich vor diesem Hintergrund durch neue Sicherheitsgesetze in ihren Grundrechten bedroht, viele suchten sogar die ideologische Auseinandersetzung mit der RAF. Unter den damaligen Bedingungen war dieses verzweifelte Streben nach der Bewältigung derart ungeheurer Geschehnisse zu verstehen. Um so mehr muss heute im besser informierten Rückblick auf die Klarstellung mancher Verirrung von damals gedrängt werden.
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