Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) schreibt zum Diskussionstand über die Stammzellenforschung:
Bielefeld (ots)
Warum fliegen Menschen zum Mond? Warum bauen sie Massenvernichtungswaffen? Und warum heilen sie tödliche Krankheiten? Weil sie es können. Und gleichgültig, ob menschliche Errungenschaften nützlich oder schädlich sind, wird ihre Entwicklung niemals aufgehalten. Friedrich Dürrenmatt ließ in »Die Physiker« seinen Möbius sagen: »Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.« Das gilt auch für die Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen. Parkinson, Multiple Sklerose, Diabetes und Herzerkrankungen hofft man eines Tages mit diesen Urzellen des Lebens heilen zu können. Sie entstehen, wenn sie einem Embryo in einem Frühstadium entnommen werden. Der Embryo wird dabei zerstört. Hier liegt das ethische Dilemma, mit dem sich jetzt die Politik beschäftigen muss. Im Bundestag wird heute in erster Lesung über ein neues Stammzellgesetz beraten. Auf der einen Seite steht der Schutz der Würde des menschlichen Lebens, also des Embryos. In der anderen Waagschale liegt das Leid der Kranken, das es zu lindern gilt und schließlich ein verfassungsrechtlich ebenfalls hohes Gut - die Forschungsfreiheit. Gleich vier Gesetzesentwürfe und ein Antrag reichen in ihren Forderungen vom totalen Verbot der Stammzellforschung bis zu ihrer Freigabe ohne Beschränkungen. Quer durch alle Parteien herrscht Uneinigkeit: Wann beginnt menschliches Leben? Für die einen ist der Embryo in diesem frühen Entwicklungsstadium - etwa drei Tage bis acht Tage nach der Befruchtung der Eizelle - nur ein Zellhaufen. Für die anderen, insbesondere für die christlichen Kirchen, ist es menschliches, beseeltes Leben. Zwei Störfaktoren gibt es in dieser Debatte: Einerseits ist die Diskussion von mangelnder Ehrlichkeit überschattet. So werden von Gegnern der Forschung mit embryonalen Stammzellen immer wieder die jüngsten bahnbrechenden Erfolge der Forschung mit adulten Stammzellen ins Feld geführt. Dabei betonen selbst führende Wissenschaftler der adulten Stammzellforschung, ein Verzicht auf embryonale Stammzellen sei nicht zu rechtfertigen. Die erfolgreiche Kopie braucht weiter das Original als Schablone. Der zweite Störfaktor ist das Bedürfnis der Politik, einen Kompromiss zu finden. Bereits vor sechs Jahren war ein halbherzig »Jein« die Folge. Die damals als historischer Kompromiss gefeierte Stichtagsregelung hat aber die deutsche Stammzellforschung in eine Sackgasse getrieben. Um die Würde des menschlichen Lebens zu schützen, ist es Stammzellforschern verboten, embryonale Stammzellen zu erzeugen. Erlaubt ist aber, aus dem Ausland importierte Stammzellen zu verwenden. Schizophrener geht es nicht mehr. Die Zeit der Kompromisse ist vorbei. Die Frage, ob künftig in Deutschland mit embryonalen Stammzellen geforscht werden darf, muss jetzt mit einem klaren »Ja« oder »Nein« beantwortet werden. Für den Rest der Welt ist die deutsche Entscheidung völlig unwichtig. Dort gilt: Der Mensch tut, was er kann.
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