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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Dresdener Elbtal

Bielefeld (ots)

Manchmal, da wird es laut in Deutschland,
Schreibtischtäter!, ruft der eine, Hitler wollte das auch schon tun!,
schallt es zurück, und dann weiß man: Die Deutschen debattieren 
wieder. Diesmal geht es um Brücke oder Tunnel oder Alles-so-lassen.
Alles so zu lassen, wie es ist, würde im Dresdener Elbtal und im 
Mittelrheintal bedeuten, dass der Status des Weltkulturerbes erhalten
bliebe. Den Deutschen aber, sobald er etwas Ansehnliches vorzuzeigen 
hat, erfasst nicht verdienter Konservatorenstolz, sondern das 
Bedürfnis, das Schöne auszubauen, umzubauen und zu betonieren. 
Sachsens Politiker wollen das Waldschlößchenmonstrum in die Flussauen
rammen. Ihre rheinland-pfälzischen Kollegen ducken sich in den 
Windschatten einer Initiative, die tönt, bei der Rheinbrücke an der 
Loreley sei es nicht fünf vor Zwölf, sondern bereits Viertel nach 
Eins.
Seit 200 Jahren geht das nun schon so: Tempo! Tempo! »An die Stelle 
der trägen Behaglichkeit ist ein allgemeines Treiben und Wirken 
getreten«, ächzte ein Journalist im Jahr 1801, als man in deutschen 
Landen meinte, jetzt beginne die Moderne. Seither steht, Generation 
für Generation, mit schöner Regelmäßigkeit jemand auf und verkündet, 
er führe uns herrlichen Zeiten entgegen.
In Dresden geht angeblich die Sonne auf, sobald der Güterverkehr noch
schneller auf die beiden Stadtautobahnen kommt. An der Loreley wird 
alles gut, wenn die 1482 Einwohner des rechtsrheinischen St. 
Goarshausen zügig auf die A61 brausen können. Mal ehrlich: Sind diese
Argumente nicht ein bisschen dürftig?
Leider stellt sich diese Frage immer seltener, wenn Deutschland 
debattiert. Auf der einen Seite des Tisches nämlich hocken in der 
Regel Politiker, die ungeprüft die Angaben der Wirtschaftslobbyisten 
wiederkäuen. Diesen von der Schulbank ohne Umweg über eine fachliche 
Ausbildung in die politischen Gremien eingezogenen Jasagern sitzen 
hochqualifizierte Spezialisten gegenüber wie die von ICOMOS, dem 
Beratergremium der Unesco - Kunsthistoriker und Denkmalpfleger, 
Ingenieure und Architekten. Übrigens auch Wirtschaftswissenschaftler.
Wann immer die an den Fäden des Lobbyismus tanzende Politik mit der 
Faust auf den Tisch haut, prügelt sie eine alte Gewissheit: dass die 
Gemeinschaft niemals nur von Ökonomen getragen wird, sondern ebenso 
von Menschen, die Natur erhalten und Kultur schaffen. Man mag sie 
Schöngeister nennen - die Reise in die Moderne wäre ohne den 
Bildungsbürger ein Horrortrip geworden.
Die Frage des Bürgermeisters von St. Goarshausen, eines 
Brückenbefürworters, wieviele Besucher denn überhaupt wegen des 
Weltkulturerbe-Status zur Loreley pilgern, zeugt von erschreckender 
Unkenntnis: Der Welterbe-Titel ist kein touristisches Gütesiegel, 
sondern die Auszeichnung eines dauerhaft bewahrenswerten Gutes. 
Daraus ergeben sich unvergängliche Verpflichtungen. Betonbauer sind 
hier fehl am Platz.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

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