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Westfalen-Blatt

Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) schreibt zu den pro-tibetischen Protesten beim olympischen Fackellauf:

Bielefeld (ots)

Steigen wir in die Zeitmaschine und landen wir
im Sommer 1900 in China. Ein gemeinsames Heer von Deutschen, Briten, 
Franzosen, Amerikanern, Japanern und Russen schlägt den 
»Boxeraufstand« blutig nieder. Das einfache Volk hatte sich gegen die
Fremdherrschaft der imperialistischen Staaten erhoben und dabei den 
deutschen Gesandten in Peking, Clemens Freiherr von Ketteler, 
ermordet. Europa und Amerika reagierten mit beispielloser Brutalität.
Die deutschen Soldaten sollten ihre Waffen so führen, schärfte ihnen 
Kaiser Wilhelm II. in seiner »Hunnenrede« bei der Abfahrt in 
Bremerhaven ein, »dass auf tausend Jahre hinaus kein Chinese mehr es 
wagt, einen Deutschen scheel anzusehen.«
Was der Ausflug in die Geschichte soll? Die Geschehnisse im Sommer 
1900 müssen beim Blick auf die Unterdrückung des Volksaufstandes in 
Tibet 2008 mit berücksichtigt werden. Chinesische Studenten wissen 
sehr genau, wie übel ihrem Land vom Westen mitgespielt wurde und 
empfinden es als scheinheilig, wenn Europa und die USA Peking 
Menschenrechtsverletzungen vorwerfen. Gestern eskalierte der 
antichinesische Protest in Paris, die olympische Fackel erlosch.
Dabei verdrängt Europa die eigene Geschichte. Der Politik- und 
Wirtschaftswissenschaftler Gabor Steingart brachte diese Haltung in 
seinem Buch »Weltkrieg um Wohlstand« auf den Punkt: »Alle 
Menschenrechtsverletzungen, die der Westen dem heutigen China 
vorwirft, hat er an den Chinesen selbst begangen. Das Land wurde 
erniedrigt, gedemütigt und in Armut gehalten.« China habe den 
Großmächten im Zeitalter des Imperialismus 70 Jahre lang als 
»Selbstbedienungsladen« gedient.
Der Blick in die Geschichte rechtfertigt und verharmlost die 
Verbrechen der Chinesen in Tibel keineswegs. Peking versucht in 
Lhasa, einem Volk seine Traditionen zu nehmen. Freiheit und 
kulturelle Selbstbestimmung werden verweigert. Aber genau das hat der
Westen in der Vergangenheit mit China getan, und 108 Jahre sind in 
der Menschheitsgeschichte nur ein Wimpernschlag.
 Im 19. Jahrhundert benebelten die Briten das Riesenreich mit 
tausenden Tonnen Opium, um den Staat durch Rauschgift zu zersetzen. 
Europa, die USA, Russland und Japan diktierten Handelsverträge, 
schickten christliche Missionare und Strafkompanien und besetzten 
Landstriche nach Belieben.
China war groß, aber schwach. Heute ist China groß und stark. Es hat 
aus der Geschichte gelernt und handelt so wie der Westen vor 108 
Jahren. Das ist erschreckend, weil sich dadurch die Serie der 
Menschenrechtsverletzungen fortsetzt.
Deshalb muss der Westen, wenn es um Tibet geht, seine Stimme erheben.
Dabei die eigenen Fehler in der Vergangenheit nicht zu verschweigen, 
würde den Protesten in China allerdings mehr Glaubwürdigkeit 
verleihen. Bei der Regierung und bei den Studenten, für die der 
Boxeraufstand die Unterdrückung ihres Heimatlandes symbolisiert.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell

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