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Westfalen-Blatt

Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) kommentiert:

Bielefeld (ots)

Andrea Ypsilanti hat sie verpasst, Barack Obama
gewonnen: Macht. Während der hessischen Sozialdemokratin nach dem 
Wortbruch, nie mit der Linken zusammen zu arbeiten, Machtgier 
vorgeworfen wird, begleitet den schwarzen Senator weltweit eine 
euphorische Stimmung auf dem Weg ins Weiße Haus. Nachdem die Macht 
beim texanischen Cowboy George W. Bush in falschen Händen gelegen 
habe, soll Obama seine Kraft für eine friedlichere Welt entfalten. 
Ypsilantis Abstieg, der sich gestern mit der Auflösung des hessischen
Landtags vollendete, und Obamas Aufstieg geben Anlass, über Wesen und
Verständnis von Macht nachzudenken.
Sie speist sich aus mehreren Quellen: aus Armeen, persönlicher 
Ausstrahlung, Geld, der Hilfe von Geheimdiensten und Lobbyismus, aus 
Kompetenz und Glaubwürdigkeit. Ypsilanti hat mit ihrer 
Glaubwürdigkeit ihren Machtanspruch verloren. Obama besitzt eine 
Ausstrahlung fast wie Martin Luther King und kann außenpolitisch auf 
die Armeen der stärksten Supermacht USA bauen, auch wenn Russland 
aufholt. Hinzu kommt bei den Amerikanern ein Sendungsbewusstsein, der
Glaube, das von Gott auserwählte Volk zu sein, das Demokratie und 
freien Handel in alle Winkel der Erde trägt.
Dagegen gilt militärische Macht in Deutschland als verpönt. Kaiser 
Wilhelm II. und Hitler missbrauchten ihre Stellung zum Griff nach der
Weltmacht. Der Kaiser forderte Geburtennachschub für die Infanterie, 
der »Führer« stiftete das Mutterkreuz: eine große Bevölkerung als 
Grundlage von Macht. Nach einer verkappten Diktatur im Deutschen 
Kaiserreich und zwei lupenreinen im Nationalsozialismus und der DDR 
wollen die Deutschen Macht nur noch behutsam verteilen. Mitbestimmung
ist ihr Lieblingswort geworden, in Politik und Wirtschaft.
Gleichzeitig misstrauen die Politiker dem Volk und lehnen eine 
Direktwahl des Bundespräsidenten durch die Bürger ab. Macht sei »der 
Genuss aller Genüsse«, schwärmte Marschall Tito, der Jugoslawien von 
1945 bis 1980 diktatorisch regierte. Über Karl XII. von Schweden, der
von 1700 bis 1709 Dänen, Polen und Russen in Angst versetzte, schrieb
der Aufklärer Voltaire: »Er kannte nur ein Vergnügen: Europa zittern 
zu machen!« Solche Machtphantasien hat die Geschichte den Deutschen 
zum Glück gründlich ausgetrieben. Gleichzeitig sind sie ins andere 
Extrem verfallen. Die Deutschen misstrauen jedem, der nach Macht 
strebt.
Dabei ist sie Gestaltungskraft. Und genau die ist gefragt in Zeiten 
der Weltfinanzkrise, der Bedrohung von außen durch islamistischen 
Terror, Klimawandel und Umweltzerstörung sowie von innen durch den 
demographischen Wandel. Schnelle, konsequente Reformen sind 
unerlässlich. Wir brauchen tatkräftige Politiker. Deshalb kann 
Deutschland, was die Einstellung zur Macht angeht, von Amerika 
lernen: Macht ist nichts Schlechtes, wenn es ihr um die Gestaltung 
einer besseren Gesellschaft geht, statt auf Wortbruch zu beruhen.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell

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