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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Verfassungsdebatte

Bielefeld (ots)

Längst nicht jeder in der SPD ist glücklich mit
Gesine Schwan, der eigenen Kandidatin für das Amt des 
Bundespräsidenten. Das dürfte seit gestern mehr denn je gelten. Doch 
die Köhler-Konkurrentin hat mit dem, was sie zu der Debatte um unsere
Verfassung gesagt hat, vollkommen Recht.
 Mit der Frage, ob das Grundgesetz auf Dauer für einen 
gesamtdeutschen Staat tauglich sei, hat SPD-Parteichef Franz 
Müntefering eine unsägliche Debatte entfacht. Dabei drohte gar die 
Wahrheit auf der Strecke zu bleiben. Schwan brachte es deshalb 
wohltuend auf den Punkt, als sie daran erinnerte, dass die erste frei
gewählte Volkskammer der DDR dem Grundgesetz zugestimmt hat.
Es mag sein, dass viele Ostdeutsche mit dem Wissen von heute damals 
anders entschieden hätten. Es mag sogar sein, dass es einen zaghaft 
diskutierten dritten Weg hätte geben können, der nicht zwangsläufig 
schlechter hätte sein müssen als die Annahme des Grundgesetzes.
Ja, es stimmt: Demokratische Entscheidungen können fehlerhaft sein. 
Undemokratisch werden sie dadurch nicht. Das aber suggeriert 
Müntefering, wenn er dem vermeintlichen Vorwurf vieler Ostdeutscher 
Ausdruck verleiht, der da lauten soll: »Ihr habt uns euer Grundgesetz
übergestülpt.«
 Warum tut der SPD-Chef so etwas? Die Antwort ist einfach: Die 
Sozialdemokraten sind auf Stimmenfang im Osten. Und sie sind nervös. 
Münteferings jüngste Attacken haben bei Kanzlerin Angela Merkel kaum 
Spuren hinterlassen. Die Umfragewerte der SPD verharren ebenso im 
Keller wie die des Spitzenmanns Frank-Walter Steinmeier. Bei so 
vielen schlechten Nachrichten müssen wenigstens die eigenen Bastionen
verteidigt werden. Die neuen Länder waren für die Sozialdemokraten 
2002 und 2005 eine Bank. Das soll bei der Bundestagswahl am 27. 
September wieder so sein.
 Münteferings Deutschstunde ist Teil einer Strategie. Zuletzt war 
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering passend aus
der Rolle gefallen. Der gebürtige Westfale hatte gesagt, die DDR sei 
kein Unrechtsstaat gewesen. Sein Parteifreund, der 
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, erteilte dieser Überzeugung
eines Wessis prompt den ostdeutschen Segen.
 Zweifelsohne sind der Wahlkampf und die Wahrheit keine engen 
Freunde. Das Ringen um politische Macht gelangt aber dort an seine 
Grenzen, wo Geschichtsklitterung Methode wird. Man kann es nicht oft 
genug sagen, und man muss es wahrscheinlich noch oft sagen: Die DDR 
war ein brutaler Unrechtsstaat. Viele DDR-Bürger haben sich nichts zu
Schulden kommen lassen, doch es gab auch Schuldige. Wer sich daran 
nicht mehr erinnern kann oder will, sollte einmal die zahlreichen 
Opfer fragen oder - wo das nicht mehr geht - deren Angehörige.
Wie Hohn muss es in ihren Ohren klingen, was die Vertreter der 
SED-Nachfolgepartei über Münteferings Manöver sagen. Wie spottete 
doch der Europapolitiker Dieter Dehm: »Die Linke hält das Grundgesetz
für eine der besten Verfassungen der Welt.«

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell

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