Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Kita-Streik:
Bielefeld (ots)
Nun also streiken auch in Ostwestfalen-Lippe die Erzieherinnen. Wer angesichts verschlossener Kita-Türen aufgebrachte Eltern erwartet hat, der sieht sich eines Besseren belehrt: Den Kita-Kräften schlägt eine Welle der Sympathie entgegen. Dass die Erzieherinnen und allen voran die Funktionäre der Gewerkschaften das Streikrecht, sagen wir mal freundlich: kreativ auslegen, schmälert die öffentliche Zustimmung nicht. Formal wird der Streik mit der Forderung nach einem Gesundheitstarifvertrag begründet. Gewiss: Wer jemals auch nur einen Kindergeburtstag für eine Handvoll Vierjährige ausgerichtet hat, der weiß um Lärm, Stress und körperliche Belastung, die mit der Betreuung der quirligen Kundschaft einhergehen. Stutzig macht jedoch, dass die Gewerkschaften die Forderung nach besserem Gesundheitsschutz erst während der laufenden Verhandlungen um die Entlohnung der Erzieherinnen nachgeschoben haben. Des Geldes wegen aber hätte nicht gestreikt werden dürfen, weil der Entlohnungstarifvertrag noch läuft. Verständlich, dass sich die kommunalen Arbeitgeber ausgetrickst fühlen - und sogar vors Arbeitsgericht ziehen. Es geht also ums Geld, was bei einem Einstiegsgehalt von derzeit 1922 Euro für Vollzeitbeschäftigte durchaus nachvollziehbar erscheint. Die Gewerkschaften fordern, dass die Gehaltsstaffel künftig bei 2237 Euro beginnen soll. Unstrittig ist: Die Anforderungen sind enorm gestiegen. Die Basteltante von Anno dazumal hat ausgedient. Erzieherinnen von heute sollen Sprachförderung leisten, Neugier fördern, frühkindliche Bildung in angemessener Form vermitteln und nicht zuletzt soziale Kompetenzen stärken, die in der Gesellschaft und in den Familien mehr denn je verloren gehen. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr: Nicht zuletzt durch Pisa & Co. hat es diese Volksweisheit zu neuem pädagogischen Rang gebracht. Der Ernst des Lebens beginnt längst nicht mehr mit der Schultüte. Länder wie Frankreich haben daraus schon vor Jahren ihre Lehren gezogen: Abitur und Studium sind dort für angehende Erzieherinnen Pflicht. In Deutschland drücken sich alle Beteiligten - die Gewerkschaften übrigens ebenso wie die Kindergartenträger - um eine so klare Aufwertung des Erzieherinnenberufs herum, obwohl es entsprechende Studiengänge ja bereits gibt. Geschweige denn, dass sich die höhere Ausbildung im Beruf auch auszahlen würde. Die mangelnde Anerkennung frühkindlicher Bildung endet überdies nicht mit dem Kindergarten, wie die Musterrechnung des Schulministeriums für eine 28-jährige, kinderlose Grundschullehrerin erweist. Sie bekommt 2800 Euro Einstiegsgehalt, die vergleichbare Kollegin am Gymnasium 3200 Euro. Welche der beiden steht wohl vor der größeren pädagogischen Herausforderung? Der aktuelle Streik der Erzieherinnen sollte also Anstoß sein für eine breite Debatte. Damit allen klar wird: Die Erziehung im Kindergarten ist kein Kinderkram.
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