Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Krise in London:
Bielefeld (ots)
Noch einmal davongekommen. Der britische Premier und Labourchef Gordon Brown hat in dieser Woche verdammt nah am Abgrund gestanden. Auch wenn die schwerste Krise in seiner kurzen Amtszeit seit Übernahme von Tony Blair im Juni 2007 zunächst überstanden scheint, sind stabile Verhältnisse nur ein frommer Wunsch vieler Briten. Labour ist zu schwach, um den müden Anführer durch einen anderen abzulösen. Die Partei muss sich weiterschleppen, bis zum letztmöglichen Wahltermin im Juni 2010. Angezählt durch den Spesenskandal, Ministerrücktritte, das 15,3-Prozent-Desaster bei der Europawahl und Szenen eine zerrütteten Führung klebt Brown am Amt. Sein interner Widersacher David Miliband konnte zwar zum Schweigen, gar zum Widerruf gebracht werden, aber das heißt nicht mehr viel. Es ist kaum anzunehmen, dass die Zustimmungswerte bis zum Parteitag im Herbst steigen, die dramatische Wirtschaftskrise nachlässt, zwei Nachwahlen glatt gehen oder die aufbegehrenden Konservativen um David Cameron die Regierung schonen. Populäre Entscheidungen, um bei den Bürgern zu punkten, bleiben Brown nicht viele - und jede würde sein eigenes Handeln zugleich problematisieren: Er könnte das britische Engagements im Irak-Krieg infrage stellen oder die Privatisierung der Post verschieben. Aber sonst? Kritisch für Europa wird es, wenn die Regierung Brown noch in diesem Jahr 2009 abtreten müsste. Vorgezogene Wahlen wären sehr wahrscheinlich mit einem neuen Referendum über die europäische Verfassung, den Lissabon-Vertrag, verbunden. Dessen mögliche Ablehnung durch Iren und dann auch noch durch die Briten bedeutete das endgültige Aus für die erweiterterte Union. Brüssel müsste die eigene Unregierbarkeit eingestehen und den Rückbau auf Kerneuropa von sich aus einleiten. Ein Alptraum für die deutsche Wirtschaft. Brown blieb auch deshalb der Sturz erspart, weil das Verfahren bei Labour ungleich komplizierter ist als bei den Tories. Ein über Wochen sich hinziehender Prozess wäre erforderlich. Ein Drittel der Mitsprache hat die Fraktion, ein Drittel liegt bei Gewerkschaften, ein letztes Drittel der Stimmen in einem Ablöseverfahren stellen die Parteimitglieder. Nur bei den Konservativen genügten seinerzeit wenige Rebellen, um das Ende von Margaret Thatcher und auch John Major einzuleiten. Der rein formal unersätzliche Brown konnte am Mittwoch seine Regierungsmehrheit im Unterhaus noch einmal in Stellung bringen. Ein Oppositionsantrag auf sofortige Neuwahlen wurde scheinbar kraftvoll abgebügelt. Tatsächlich aber ächzt das Machtgefüge. Brown, der Mister Bean der Politik, durfte gerade einmal durchatmen. Von ihrem als »despotisch« verschrieenen Gordon, der schon mal mit Schreibutensilien um sich wirft, erwarten die Briten nicht wirklich noch den großen Wurf.
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