Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Griechenland-Krise:
Bielefeld (ots)
Die Europäische Union wird Euros nach Athen tragen - nur wann, wie viele und zu welchen Bedingungen, das bleibt noch eine Weile offen. Mit dieser Entscheidung beweist die Führung Europas in Brüssel wieder einmal, dass sie in Krisensituationen professionell agieren kann. Die gleiche Professionalität wünschte man sich allerdings auch im Alltag. Dann würde manche Krise möglicherweise gar nicht erst entstehen. So wie es Banken gibt, die zu groß und zu wichtig sind, als dass sie einfach pleite gehen können, so gibt es auch Staaten, bei denen ein Bankrott unvorstellbar ist. Dies gilt möglicherweise noch nicht für Island. Es galt aber um die Jahrtausendwende für Argentinien. Im Falle Griechenlands würde ein Bankrott aktuell eine Welle auslösen, die über kurz oder lang nicht nur die kreditgebenden Banken in Westeuropa, sondern womöglich auch noch andere schwächelnde Staaten wie Portugal, Spanien, Italien und Irland mit sich reißen würde. Der Euro ist eine Solidargemeinschaft. Wie stark die Bindung ist, wird gern von Spekulanten getestet. Griechenland ist der erste Dominostein. Würde er fallen, wäre dies der erste Schritt zur Auflösung. Auf den ersten Blick versetzt dies Athen in eine starke Stellung. Obwohl sich die griechische Regierung schon den Zutritt zu Euro-Land nur durch Tricksereien erschleichen konnte, nutzte sie die Vorteile. Befreit von den Rücksichtnahmen, die ein eigenes Wechselkurssystem erfordert, erhielt sie Milliardenhilfen aus Brüssel. Zugute kamen der Regierung vor allem die niedrigen Zinsen, um den Griechen einen Wohlstand zu schenken, der mit Drachmen nie zu bezahlen gewesen wäre. Die dicke Rechnung folgt jetzt. Griechenland, das nur drei Prozent der Wirtschaftsleistung in der Europäischen Union erbringt, kann den Wohlstand auf Pump angesichts gestiegener Zinssätze nicht mehr finanzieren. Das Land braucht Stütze von den anderen Mitgliedsstaaten der EU. Diese werden darauf drängen, dass Athen im Gegenzug seine Ausgaben spürbar reduziert. Die griechische Bevölkerung, die im Augenblick noch Widerstand leistet, wird dies einsehen müssen. Ohne den Euro wäre das Land nämlich den Spekulationen noch mehr ausgeliefert. Ohne den Euro wären die nationalen Einschnitte in das Wirtschafts- und Sozialsystem in jedem Fall noch viel größer. Allerdings darf Brüssel nicht beim Krisenmanagement stehen bleiben. Der Fall Griechenland zeigt, dass die in Maastricht vereinbarten Stabilitätskriterien nicht ausreichen. Angesichts der immensen Schulden, die sich auch starke Länder wie Deutschland und Frankreich derzeit als Folge der Weltwirtschaftskrise aufgebürdet haben, müssen die Staaten eine stärkere Ausgabenkontrolle zulassen - auch wenn dies nationale Souveränitätsansprüche beschneidet. Doch Solidarität gibt es nicht zum Nulltarif - weder im Staat noch in einer Staatengemeinschaft.
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