Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Herbstgutachten der Wirtschaftsweisen
Bielefeld (ots)
Die Botschaft ist eindeutig uneindeutig: Die deutsche Wirtschaft kann 2012 an der Rezession vorbeikommen, aber sicher ist die Sache nicht. Dieses Herbstgutachten bietet für jeden Geschmack etwas. »Rezession unwahrscheinlich, höhere Löhne, fortgesetztes Jobwunder« werden die Optimisten zitieren, während die Pessimisten vor allem die Worte »harter Dämpfer, steigende Energiepreise, wachsende Inflationsgefahren« erwähnen dürften. Selten hat eine Prognose eine solch große Bandbreite bedient. Die Botschaft lautet: Die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland verläuft auf einem äußerst schmalen Grat. Von »besser als noch vor kurzem erwartet« bis »schlimmer als in der letzten Krise« scheint weiter alles möglich. Nun kann eine Prognose niemals letzte Gewissheit liefern - andernfalls wäre sie ja keine. Dieses Herbstgutachten jedoch wird im Gegenteil die Ungewissheit noch steigern. Neue Zuversicht kann so nicht entstehen. Selten auch ist eine Prognose fehleranfälliger gewesen als dieses Mal. Keinerlei Zweifel lassen die Wirtschaftswissenschaftler nämlich daran, dass all ihre Weissagungen Makulatur bleiben, wenn die Politik die Staatsschuldenkrise und die in ihrer Folge am Horizont bereits wieder aufschimmernde nächste Bankenkrise nicht in den Griff bekommen. Deshalb auch fordern die Sachverständigen einen großen Wurf. Und weil sie das nicht zum ersten Mal tun, verbinden sie ihren Ruf mit einer kräftigen Schelte für die Politik. Zu unentschlossen sei das Krisenmanagement bisher gewesen, ungenügend seien die beschlossenen Strukturreformen. Dabei bringen die Wirtschaftsforscher allein mit ihrer uneinheitlichen Bewertung der Anleihenkäufe durch die Europäische Zentralbank (EZB) zum Ausdruck, dass sie selbst den einen verlässlichen Weg aus der Krise nicht kennen. Das mag die Politiker entlasten, die Situation entspannt es leider keineswegs. Gelingt es nicht, die Staatsschuldenkrise auf den Rand der Euro-Zone zu begrenzen, ist es von einem Konjunkturdämpfer in Deutschland bis zu einer tiefgreifenden Rezession in Europa, vielleicht sogar in der Welt nicht weit. Doch anders als vor drei Jahren hätten die Staaten dann kaum mehr die Möglichkeit, die Wirtschaft mit umfassenden Konjunkturprogrammen anzukurbeln. Dafür haben sie sich in der letzten Krise zu sehr verausgabt. Einen weitreichenden Schuldenschnitt für Griechenland, das in jeder Hinsicht einen Sonderfall in der Euro-Zone darstellt, kann der gemeinsame Währungsraum sicher verkraften. Die Vorbereitungen dafür sind längst im Gange. Ein Schreckensszenario aber droht, wenn dieser Prozess außer Kontrolle gerät. So ist es ein schwacher Trost, dass die Wirtschaftsexperten die Ansteckungsgefahr in Folge einer Umschuldung Griechenlands für geringer halten als nach der Lehman-Pleite 2008. Ausschließen können sie eine solche Gefahr eben nicht. Auch hier bleibt ihre Botschaft eindeutig uneindeutig.
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