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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Ägypten

Bielefeld (ots)

Revolutionen sind unberechenbar: Einige fressen ihre Kinder, andere vergrößern das Chaos. In Ägypten bewahrheitet sich erneut, dass keine Revolution reibungslos verläuft. Statt Frieden und Demokratie herrschen wieder Chaos und Gewalt in Kairo. Über 700 Verletzte und drei Tote ergeben eine schlimme Wochenendbilanz. Sieben Tage vor den Parlamentswahlen steckt die ägyptische Revolution in der Krise. Was ist passiert? Zunächst sind viele Menschen vom Militärrat enttäuscht, der seit dem 11. Februar regiert. Die Militärs versprechen zwar eine Verfassung und die Machtübergabe an die Zivilisten, doch dies soll erst 2013 geschehen. Für die Demonstranten, die einst gegen den Diktator Mubarak rebellierten, wird der Militärrat zum Feind. Sie empfinden eine Revolution, bei der das Volk nicht als Sieger hervorgeht, als gescheitert. Entsprechend laut fordern sie das Ende der Militärherrschaft. Dann fürchten die meist jugendlichen Demonstranten eine Rückkehr der korrupten Mubarak-Anhänger ins Parlament; und schließlich argwöhnen sie, dass die Islamisten die Mehrheit erringen und die säkulare Freiheit beschneiden könnten. Für die Revolutionäre vom Tahrir-Platz sitzt Ägypten in der Falle zwischen Militärdiktatur und Gottesstaat. Entsprechend explosiv ist die Stimmung. Die Sorgen der Revolutionäre sind verständlich, doch die Lage ist nicht hoffnungslos: Da die ägyptische Polizei in desolatem Zustand ist, wurde das Militär gebraucht, um ein Absinken ins Chaos zu verhindern. Doch die Armee darf nicht dauerhaft als Staat im Staate an der Macht bleiben. Ihre Rolle wird beschränkt, denn die Demokratisierung schreitet voran: Wahlen, Verfassung und Koalitionen gehören bald zum ägyptischen Alltag. Hier sind Geduld und Ausdauer vonnöten. Und auch die Angst vor einer islamistischen Gefahr erscheint überzogen: Ägypten hat mehrere säkulare Parteien, die als Gegengewicht zu einer etwaigen konservativ-muslimischen Mehrheit bereit stehen. Zwar drängen die Muslimbrüder auf eine starke Rolle des Islam in der Verfassung, doch sie haben sich zu freien Wahlen und Rechtsstaatlichkeit bekannt. Somit sollte die Demokratisierung ihren Lauf nehmen. Das Militär dürfte sich langfristig der Zivilregierung unterordnen, politische und wirtschaftliche Reformen wären machbar, und mit politischer Stabilität wäre auch der wirtschaftliche Aufschwung greifbar. Doch diese Entwicklung ist nur möglich, wenn ein Verfassungskompromiss zustande kommt, ein politischer Bürgerkrieg verhindert wird und sich die Wirtschaft erholt. Sollte dies misslingen, würden viele junge Ägypter das Land verlassen, und die Revolution wäre tatsächlich gescheitert. Doch noch hat Ägypten eine gute Chance - trotz der erschreckenden Bilder aus Kairo.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell

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