Westfalen-Blatt: Organskandal: Bundesärztekammer sieht weitere Möglichkeit für Manipulationen
Bielefeld (ots)
Magdeburg (WB). Die Veränderung dreier Laborwerte in der Patientenakte ist offenbar nicht die einzige Methode, mit der die Verteilung von Spenderlebern manipuliert werden kann. »Wir sind bei unseren Gedankenspielen auf eine weitere theoretische Möglichkeit der Einflussnahme gestoßen«, sagte Dr. Theodor Windhorst, Mitglied der Ständigen Kommission Oganspende bei der Bundesärztekammer, dem WESTFALEN-BLATT. Dabei gehe es um die so genannte Ischämiezeit, also um die Zeit, in der ein entnommenes Organ nicht durchblutet werde.
Wenn in einem Transplantationszentrum eine Leber entnommen wird und man lässt sie so lange liegen, dass sie von anderen Kliniken (die ja noch die Transportzeit berücksichtigen müssen) abgelehnt wird, hat man das Organ für das eigene Haus gewonnen. Prof. Dr. Hans Lippert, der stellvertretende Vorsitzende der Prüfkommission des Ständigen Ausschusses Organspende, sagte dazu dem WESTFALEN-BLATT: »Bis heute kennen wir keinen entsprechenden Verdachtsfall. Aber wir werden alle Fälle mit überlanger Ischämiezeit prüfen. Dazu wollen wir auch Unterlagen auswerten, aus denen sich ergibt, wann eine Klinik welches Telefonat mit Eurotransplant geführt hat.«
Während man im Fall Göttingen wisse, dass Laborwerte verändert worden seien, seien die Überlegungen hinsichtlich der Ischämiezeit »noch rein theoretisch«. Es könne durchaus plausible Gründe für eine lange Ischämie geben. »Wer einmal eine Nacht bei Eurotransplant verbracht hat, weiß, dass es nicht immer einfach ist, innerhalb kürzester Zeit den optimalen Empfänger zu finden.«
Prof. Lippert sagte, es gehe jetzt darum, das Vertrauen potentieller Organspender zurückzugewinnen. »Und das gelingt nur, wenn wir wirklich jeden Vorgang, bei dem sich eine Auffälligkeit ergibt, durchleuchten.« So etwas gehe nicht auf die Schnelle, »aber wir wollen ja auch nichts unter den Teppich kehren«, sagte Lippert, der Direktor der Chirurgie an der Universitätsklinik Magdeburg ist. Bei Spenderherzen und Spenderlungen kann über die Ischämiezeit nicht manipuliert werden: Um diese Organe zu entnehmen, reisen nach Angaben der »Deutschen Stiftung Organtransplantation« Chirurgen aus den Kliniken an, in denen der Patient liegt, der von Eurotransplant als Empfänger bestimmt wurde. Bei Lebern ist es anders: Ein Arzt entnimmt das Organ, das dann zur Empfängerklinik geschickt wird, wo es von einem anderen Arzt implantiert wird. In der Uniklinik Göttingen soll ein Arzt in 23 Fällen Laborwerte in Patientenakten verändert haben, um ihnen schneller zu einem Spenderorgan zu verhelfen. Bei Lebern bestimmt eine aus drei Laborwerten berechnete Zahl, der sogenannte MELD-Score, den Platz auf der Warteliste. Ein Patient, der auf dem Papier kränker gemacht wird, rückt nach oben.
Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261
Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell