Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur US-Präsidentenwahl
Bielefeld (ots)
Amerika erlebt die heiße Phase des US-Präsidentschaftswahlkampfes. Bisher war alles einfach. Obamas Wiederwahl schien garantiert: Er führte bei der demokratischen Basis und dominierte die politischen »Schlachtfelder« von Ohio, Michigan, Virginia oder Florida, deren Wechselwähler und Unabhängige im Kampf um die Wahlmännerstimmen den Ausschlag geben. Der Kandidat braucht 270 dieser Stimmen für den Wahlsieg. Obama lag bislang bequem darüber; jetzt wird es eng. Die erste TV-Debatte mit Romney ging schief, die Umfragewerte brachen ein. Nun führt Romney in Florida, und Obamas Vorsprung in Ohio ist geschrumpft. Es wird brenzlig. Denn in drei Wochen kann noch viel passieren. Jetzt hat sich Vizepräsident Joe Biden in die Bresche geworfen und Romneys Vizepräsidentschaftskandidaten Paul Ryan im TV-Duell in die Zange genommen. Biden debattierte bissig, angriffslustig, launig und authentisch. Das erfahrene Schlachtross zeigte sich militant und provokant. Die Kommentatoren waren sich meist einig: Biden konnte die Lügen und Halbwahrheiten seines Gegners aufdecken und dem Obama/Biden-Team somit neue Dynamik verleihen. Es wurde auch höchste Zeit, denn manche Beobachter sahen die Obama-Kampagne schon im freien Fall. Allerdings konnte auch Ryan punkten. Sein nüchterner, fokussierter und konzentrierter Stil kam an. Inhaltlich liegen zwar ideologische Welten zwischen Biden und Obama; stilistisch hat Ryan das Beste für sich herausgeholt. Denn beim Vizepräsidenten hört Amerika gut zu: Stirbt der Präsident, kommt der Vize automatisch ins Amt. Das war der Hauptgrund für den Widerstand gegen Sarah Palin als Vizekandidatin vor vier Jahren. Dennoch sollte niemand glauben, Obama habe bereits verloren. Noch stehen zwei TV-Duelle zwischen Obama und Romney an. Noch darf das erste TV-Debakel nicht überschätzt werden: Andere Präsidenten hatten zunächst auch verloren und am Ende gewonnen. Nun darf man wohl erwarten, dass Obama seinen Gegner morgen in der nächsten TV-Debatte systematisch angehen wird Es gibt kein Thema, vor dem er sich verstecken müsste. Das erwarten seine Wähler - Amerikas Jugend, die Links-Liberalen, Frauen, Grüne, Immigranten, Schwarze, »Bunte«, wirtschaftlich »kleinen Leute« und alle, denen die soziale Gerechtigkeit wichtig erscheint. Und das in einem Land, das von konservativen Werten wie individueller Freiheit und Selbstverantwortung geprägt wird. Trotz der Rückschläge hält Obama noch eine Zustimmungsrate von 50 Prozent. Das könnte für den Wahlsieg reichen. Denn am 6. November müssen sich die Amerikaner zwischen zwei stark polarisierten, politisierten und ideologisierten Lagern entscheiden: Romney setzt auf Eigennutz, Obama auf gesellschaftliche Mitverantwortung. In gut drei Wochen wissen wir mehr.
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