Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Wirtschaft und Moral
Bielefeld (ots)
Da war es wieder, das Wort vom »Gutmenschentum«. EU-Kommissar Günther Oettinger hat es in dieser Woche in seiner Philippika gegen Europa verwendet, um jene zu disqualifizieren, die sich weltweit für mehr Moral in Politik und Wirtschaft einsetzen. Schon die Nationalsozialisten sagten »Gutmenschen«, wenn sie die kirchliche Kritik an der gezielten Tötung von Behinderten als naiv hinstellten. Oettinger nutzte den Begriff nur kurze Zeit nach dem Einsturz eines Fabrikgebäudes in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka, bei dem mindestens 1127 Menschen ums Leben kamen. Sie starben, weil skrupellose Unternehmer bei ihrem Streben nach Profit jede Moral vermissen ließen. Skrupellos war an erster Stelle der Erbauer des Gebäudes. Skrupellos sind aber auch Textildiscounter in Deutschland, denen es anscheinend in der Vergangenheit egal gewesen ist, unter welchen Bedingungen ihre Billigklamotten hergestellt wurden. Der Hinweis auf die Behörden in Dhaka, die ihre Aufsichtspflicht vernachlässigten, ist eine Ausrede - mehr nicht. Immerhin hat selbst KiK jetzt das internationale Abkommen, das mehr Gebäude- und Arbeitssicherheit in Bangladeschs Fabriken sicherstellen soll, unterzeichnet. Ob es wirkt, hängt von der Umsetzung ab. Die einzige echte Sanktion, die Firmen droht, ist die Reaktion der Verbraucher. Eine Zeit lang schien es, als sei der gute Einkäufer ein Hirngespinst. »Wer gibt schon freiwillig mehr Geld für eine Ware aus, nur weil sie ökologisch oder fair hergestellt worden ist?« fragten diejenigen, die behaupten, dass Wirtschaft grundsätzlich keine Moral kennt. Mal abgesehen davon, dass die soziale Verpflichtung von Eigentum im Grundgesetz vorgeschrieben ist, können sich Zweifler heute auch selbst eines Besseren belehren. Sie müssen nur die Regale in mehreren Einkaufsfilialen einer Kette vergleichen. Die Breite des Angebots an regional, ökologisch sowie fair produzierten Waren ist oft unterschiedlich und gibt an, wie bewusst die Kunden einkaufen. Damit Verbraucher entscheiden können, brauchen sie Informationen. Der Verkaufspreis ist ein Hinweis, kein Beweis. Doch dass ein T-Shirt, das unter zumutbaren Bedingungen produziert wurde, mehr als drei Euro kosten muss, ist klar. Informationen können die Hersteller liefern und die Händler. Ein Zertifikat macht sie glaubwürdiger, schließt aber Schmu nicht ganz aus. Hier hilft ein Blick auf den Anbieter: Hat er einen Namen von Wert? Dann wird er vorsichtig sein, ihn nicht zu verlieren. Die schlechteste aller Handlungsmöglichkeiten ist der Boykott eines Herkunftslandes. In Bangladesch träfe er erneut die Textilarbeiterinnen. Auch braucht das Land die Devisen aus dem Export. Wir profitieren durch günstige gute Ware. Dafür ist Fairness ein Gebot der Moral und Verantwortung. Dass hochwertigere Textilien aus Bangladesch überwiegend nicht im reichen Westen, sondern vor Ort verkauft werden, macht nachdenklich.
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