Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Abhöraffäre:
Bielefeld (ots)
US-Präsident Barack Obama schlüpft bei den Enthüllungen der Schnüffeleien seiner Geheimdienste in die Rolle des Verständnisvollen. Als hätte er mit dem Treiben seiner Spione nichts zu tun, räsoniert er öffentlich über die richtige Balance zwischen Sicherheit und Privatsphäre. Herr Präsident, mit Verlaub, das ist hier nicht die Alternative! Angela Merkel ist nicht Osama bin Laden, Europäer sind keine Terroristen und Diplomaten bereiten Gespräche und keine Anschläge vor. Die nüchterne Erkenntnis der Enthüllungen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden lautet: Die National Security Agency kennt keine Freunde, sondern nur Ziele. Die deutsche Kanzlerin war eines davon. Die US-Spione spitzeln hemmungslos die Verbündeten aus, weil sich daraus politische und wirtschaftliche Vorteile ziehen lassen. Dass dabei die Privatsphäre von Millionen Bürgern verletzt wird, gehört zum Geschäft. Für das Treiben der NSA gibt es zwei große Erklärungsmuster, die beide beunruhigend sind. Entweder handelt der US-Geheimdienst auf eigene Faust. Dann wäre Obama ein ahnungsloser Präsident, der seinen Sicherheitsapparat nicht im Griff hat. Oder die Cyber-Armee marschiert auf Befehl des Commanders-in-Chief. In diesem Fall erwiese sich Obama als skrupelloser Führer einer Supermacht, die kalkuliert ihre Interessen durchsetzen will. Vieles spricht für letztere Variante. Der Saubermann im Weißen Haus hat schmutzige Finger. Schließlich erhält er jeden Tag die wichtigsten Erkenntnisse seiner Dienste in der Briefing-Mappe vorgelegt. Darin finden sich gewiss auch die Destillate aus den Lauschangriffen auf die Spitzenpolitiker befreundeter Nationen. Solange diese naiv oder wohlwollend glaubten, von der Sammelwut der NSA verschont zu bleiben, gab es für Obama keinen Grund, seine Spione zurückzupfeifen. Jetzt wird es dem Präsidenten peinlich, weil persönliches Vertrauen auf dem Spiel steht. Hatte er seiner »Freundin« Angela noch im Sommer versichert, er brauche keinen Geheimdienst, um zu erfahren, was die Kanzlerin denke. Er rufe sie einfach an. Wirklich? Zweifel sind angebracht. Statt heißer Empörung braucht es einen kühl-durchdachten Plan, die eigenen Interessen besser zu schützen. Ein Spionageverbots-Abkommen macht auf der politischen Ebene Sinn. Auch müssen rechtliche und wirtschaftliche Hebel angesetzt werden, die die Amerikaner dazu zwingen, die datenrechtlichen Spielregeln in Europa zu befolgen. Benötigt werden auch Investitionen in die eigene Sicherheit im Netz. Europa ist bedenklich abhängig von Software, Hardware und anderer IT-Infrastruktur aus den USA, in die der Geheimdienst Hintertüren eingebaut hat. Vor allem muss die Gesundbeterei aufhören. Stattdessen müssen die Freunde darauf bestehen, als solche behandelt zu werden. Solange es bei den üblichen Erregungs-Ritualen bleibt, wird Obama keine Veranlassung haben, seine Strategie aufzugeben.
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