Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema "Merkel und die NSA"
Bielefeld (ots)
Das soll Amerika büßen! Jetzt lassen wir keine Coca-Cola- und Pepsi-Flaschen mehr nach Deutschland, boykottieren McDonald's und Burger King und setzen Ex-Stasi-Überwachungsspezialisten aufs Telefon von Barack Obama an. Spaß beiseite. Der Abhörskandal ist zu ernst für Witze. Da horcht der US-Geheimdienst NSA die Deutschen und ihre Kanzlerin aus, und das Weiße Haus findet nichts Schlimmes dabei. Amerika interessiert nur Amerika. Aber die nachvollziehbare Angst vor einem zweiten 11. September rechtfertigt eben nicht alles, schon gar nicht diese Form der Brüskierung von politischen Partnern. Schließlich wird doch regelmäßig der angeblich hohe Wert der deutsch-amerikanischen Freundschaft beschworen. Machen wir uns nichts vor: Im nationalistisch aufgeheizten 19. Jahrhundert hätte das Ausspionieren einer anderen Regierung leicht zu einem Krieg führen können. Damals reichte schon scharf formulierte Diplomatenpost zur Mobilmachung. Bismarcks »Emser Depesche« etwa löste den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 aus. Zum Glück sind diese Zeiten vorbei, gleichwohl erschreckt aus deutscher Sicht die Ohnmacht gegenüber den Machenschaften des »befreundeten« Geheimdienstes. Merkel machte deutlich, dass sie erbost ist, und Westerwelle bestellte den US-Botschafter ein. Viel mehr ist angesichts der Kräfteverhältnisse nicht möglich. Washington geht davon aus, dass wieder Präriegras über die Sache wächst. Das Freihandelsabkommen mit den USA auf Eis zu legen, würde Europa nichts bringen, im Gegenteil sogar Schaden anrichten, denn damit ist ja auch für Deutschland die Hoffnung auf Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze verbunden. Ein strenges Abkommen zum Datenschutz wiederum werden die USA nicht akzeptieren. Wenn also das Verhalten der Amerikaner kaum nachhaltig beeinflusst werden kann, so müssen zumindest innerhalb Deutschlands Konsequenzen gezogen werden. Die Scheinheiligkeit des Kanzleramtsministers Ronald Pofalla stinkt zum Himmel. Der erklärte im Sommer die Debatte über massenhaftes Abhören von Bundesbürgern kurzerhand für beendet. Allen Ernstes erklärte er, dafür gebe es keine Indizien. Wie passt das damit zusammen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel im Juli ihr Handy getauscht hatte? Wohl kaum deswegen, weil ihr Mobilfunkvertrag abgelaufen war, sondern doch wohl eher, weil es Hinweise darauf gab, dass dieses Mobiltelefon angezapft wurde. Natürlich war Pofallas Auftritt dem nahenden Bundestagswahltermin geschuldet. Deshalb wurde das Thema kleingeredet. Statt eine schlechte Presse zu riskieren, sonnte man sich lieber im Glanz der gemeinsamen Bilder mit Obama am Brandenburger Tor. Jetzt, nachdem keiner mehr daran zweifelt, dass auch Merkel von der Bespitzelung betroffen war, steht Pofalla als Lügner da und sollte aus seinem Verhalten die Konsequenzen ziehen, also am besten zurücktreten.
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