Westfalen-Blatt: das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zur SPD
Bielefeld (ots)
Sigmar Gabriel hat 478 von knapp 600 Delegierten der SPD aus ganz Deutschland beim Parteitag hinter sich versammelt. Seine Wiederwahl und die Kooperationsbereitschaft der Genossen gestern in Leipzig dürfen ihn hoffen lassen, dass genügend der 470 000 Parteimitglieder Mitte Dezember dem Koalitionsvertrag zustimmen. Fast wie bei einer Werbeverkaufsveranstaltung haben sich alle Vorstandsmitglieder und viele Redner in einer dreieinhalbstündigen Aussprache für den Eintritt in eine Regierung Merkel ausgesprochen. Peer Steinbrück, Hannelore Kraft, Manuela Schwesig - sie alle wollen möglichst viel von der eigenen Programmatik mit der Union umsetzen. Alle räumen ein, dass es nicht 100 Prozent der eigenen Vorstellungen sein können. Nur mit der Großen Koalition lassen sich eben schon der flächendeckende Mindestlohn, Verbesserungen für Bezieher kleiner Renten und Fortschritte im Bereich Flüchtlinge/Asyl jetzt, und nicht erst 2017 erreichen. Das große sozialdemokratische Familientreffen im 150. Jahr des Parteibestehens befindet sich in einem seltsamen Schwebezustand. Im Sommer wurde in Leipzig noch gefeiert, jetzt ist die Stimmung eher unentschlossen. Sozialdemokraten sind vaterlandstreu und preußisch pflichtbewusst. Deshalb stellen sie sich der Möglichkeit zum Mitregieren, loten aus, was geht und werden am Ende wohl auch zugreifen. Begeisterung für eine politische Sache sieht anders aus. Wichtig war gestern, dass Steinbrück und Gabriel glasklar zu Fehlern im Wahlkampf und dem schlechten Abschneiden insgesamt standen. Niemand hat sich aus der Verantwortung gestohlen, auch wenn Niedersachsens Ministerpräsident Stefan Weil nach eigenem Bekunden noch einen weiteren Parteitag braucht, um das Desaster zu verkraften. 23 Prozent 2009, 25,7 Prozent 2013 - die harte Kost ist noch lange nicht verdaut. Steinbrück hat 30 Prozent zur Mindestvoraussetzung für den Status als Volkspartei erklärt. Will sagen: Mit nur noch einem Viertel der Wähler im Rücken kann die SPD kaum mehr Politikgestaltung herausholen als eine Beteiligung an Schwarz-Rot. Zudem: Noch soviel Realitätssinn auf dem Bundesparteitag bedeuten nicht automatisch den Durchbruch an der Basis. »Wer, wenn nicht wir? Wann, wenn nicht jetzt?«, hat Franz Müntefering vor zehn Jahren für die Agenda 2010 mit rhetorischen Höhenfeuerwerken geworben. Er hat damals die Säle in Berlin und Bochum für sich gewonnen, aber die Seele der Partei trotzdem nicht erreicht. Das Hartz-IV-Trauma hält teilweise noch an. Die Spitzengenossen könnten auch diesmal ihr Projekt durchpauken. Sie haben aber nicht vergessen, wie schwer beweglich und im besten Sinne wertkonservativ und kursbewahrend die deutsche Sozialdemokratie ist.
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