Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Münchner Bildersammlung
Bielefeld (ots)
Die Münchner Kunstsammlung wirft viele Fragen auf. Warum wurde die Entdeckung so lange geheim gehalten? Warum wird erst jetzt die Geschichte der Bilder mit Hochdruck aufgeklärt? Die entscheidende Frage aber ist, wem die Meisterwerke gehören. Einem seltsamen alten Mann, der sich an die Sammlung seines Vaters klammert und sogar mit den Bildern spricht - oder gehören sie ins Museum, für die Öffentlichkeit allgemein zugänglich? Die Staatsanwaltschaft Augsburg kündigte bereits an, mehr als 300 der 1400 Bilder an Cornelius Gurlitt zurückgeben zu wollen. Auf diejenigen, die höchstwahrscheinlich Juden in der NS-Zeit geraubt wurden, wird er wohl verzichten müssen. Alles andere wäre auch skandalös. Denn im konkreten Fall verlangt die Moral, dass die bis zu 600 Werke an die Erben fallen - als Entschädigung für begangenes Unrecht.
Kunstliebhaber im In- und Ausland werden nach jetzigem Stand nicht viel vom Kunstschatz sehen, denn Gurlitt will die Bilder für sich, statt sie einem Museum zur Verfügung zu stellen. Die Behörden können einem Sammler die Kunstwerke nicht einfach wegnehmen, das Recht auf Privateigentum ist vom Grundgesetz ausdrücklich geschützt.
Dementsprechend müssen wir hinnehmen, dass anonyme Bieter wie jüngst bei Christie's für 106 Millionen Euro das Triptychon »Three Studies of Lucian Freud« von Francis Bacon ersteigern, das dann in einer Privatvilla statt in einem Museum hängt.
Die Geschichte zeigt: Die meiste Zeit über war Kunst eine Angelegenheit unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Könige, Fürsten, Päpste, Bischöfe und Bürgermeister gaben Porträts in Auftrag - Leonardo da Vinci, Raffael oder Dürer malten die Bilder, die dann in Palästen, Kirchen und Villen hingen. Im Mittelalter war das noch anders: Da erzählte die Kunst die Geschichten der Bibel nach. Altäre, prächtige Glasfenster und mit Heiligenfiguren verzierte Portale schmückten die Gotteshäuser, in die die Menschen strömten. Steinmetze und Glasmacher arbeiteten für die Gemeinschaft der Gläubigen.
Mit der Renaissance und den darauffolgenden Epochen geriet Kunst zur Selbstdarstellung der Mächtigen, Reichen und angeblich vorbildlich Gottesfürchtigen. In den Niederlanden hängten sich betagte Bürger im 16. und 17. Jahrhundert Porträts und Stillleben in die gute Stube. Zurück in die Gegenwart: Heute gilt Kunst einerseits als Allgemeingut, ist andererseits aber zum Prestigeobjekt geworden. Der Idealfall besteht darin, dass ein Sammler seine Werke nach dem Tod einem Museum vermacht oder sie schon zeitlebens einem Haus zur Verfügung stellt. Davon profitieren Stifter und Öffentlichkeit gleichermaßen. Im Fall Gurlitt bleibt die Hoffnung, dass er sich dazu überreden lässt, seinen Schatz im Museum auszustellen. Sehen kann er ihn ja dann so oft er will. Und im Gegensatz zu seiner Schwabinger Wohnung wären die Bilder dort auch sicher.
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