Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Großen Koalition
Bielefeld (ots)
Horst Seehofer wird Sigmar Gabriel das schon einmal entzogene »Du« erst nach einem erfolgreichen SPD-Mitgliederentscheid erneut anbieten. Ansonsten scheint alles klar für die dritte Große Koalition in Deutschland.
SPD und Union haben sich relativ geschmeidig auf einen gemeinsamen Weg geeinigt. Es hat weder geknallt, noch muss sich eine der drei beteiligten Parteien über den Tisch gezogen fühlen.
Die Koalitionäre haben sich hohe, aber nicht unerreichbare Ziele gesetzt. Am teuersten, womöglich am abenteuerlichsten wird es im Rentenbereich. Neun Millionen Ruheständler genießen Zuschläge, sofern die Jungen entsprechend rackern und einzahlen. Denn nur wenn Konjunktur und Beschäftigung stimmen, geht die Rechnung auf. Die Finanzfrage ist die Achillesferse der neuen Regierung. Von 2015 an sollen keine neuen Schulden mehr aufgenommen werden. So steht es im Koalitionsvertrag. Die Kanzlerin wägt ihre Worte genauer: »Wir wollen zu dem Punkt kommen, an dem wir keine neuen Schulden mehr machen.« Und: Niemand spricht mehr von der Kredittilgung schon 2016.
Noch häufiger wird fortan ein anderes Merkelwort auf der Goldwaage liegen: »Mit mir als Kanzlerin wird es keine Pkw-Maut geben.« Versprochen, schon gebrochen? Eine Interpretationsfrage. Vermutlich kommt erst die Vignette aus Berlin und Jahre später ein EU-Urteil: Kommando zurück. Wie auch immer - das von SPD und CDU spendierte Zuckerl für die CSU ist bei weitem nicht so ärgerlich wie die dreiprozentige Mehrwertsteuererhöhung 2005.
Anerkennung gebührt den Verhandlern, dass sie sich auch sperrige Aufgaben auf die Fahnen geschrieben hat. Aller Ehren wert ist der Versuch, den Länderfinanzausgleich und die bundesstaatliche Ordnung zu reformieren. Hinter letzterem darf man den Versuch der Abschaffung der Zwergstaaten Saarland, Bremen und anderer vermuten. Respekt.
Selbst die letzte Hürde, der SPD-Mitgliederentscheid, schien gestern bezwingbar. Prominente Parteilinke von Hessen-Nord bis westliches Westfalen fuhren ihren Widerstand zurück oder gaben die Parole aus: »Besser mit als ohne uns.«
Koalitionsverträge sind, wie deren Finanzrahmen, ein Wechsel auf die Zukunft. Bei aller Aufbruchstimmung und Kompromissbereitschaft bleibt die Möglichkeit des Scheiterns vier Jahre lang ein ständiger Begleiter. Deshalb ist es wichtig, dass das gemeinsame Projekt früh und möglichst ambitioniert umgesetzt wird. Alles, was weh tut, muss im ersten Regierungsjahr geschehen.
Die Kanzlerin, soviel ist gewiss, wird in den kommenden vier Jahren ihre Frau stehen. Kein Verlass dagegen ist auf eine Neuauflage der Männerfreundschaft des sprunghaften Sigmar Gabriel mit dem nicht minder unberechenbaren Horst Seehofer.
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