Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Großen Koalition
Bielefeld (ots)
Es will partout nicht zusammenwachsen, was nicht zusammengehört. Dass die Große Koalition immer wieder politische Widersprüche ausgleichen muss, machen Sitzungen wie das jüngste Treffen im Kanzleramt deutlich. Da kommen die Spitzen der drei Parteien und Fraktionen zusammen, um im Klein-Klein Dinge zu beraten, um die sich längst und ausschließlich die Fachleute in den Ministerien kümmern sollten.
Beispiel Mindestlohn: Teile des Gesetzes wirken destruktiv. Viele Stellen lassen sich nur über vorherige, gering vergütete Praktika besetzen. In Berufen die Fähigkeiten zu testen, bevor ein Arbeitsvertrag unterschrieben wird, ist sinnvoll. Einige Firmen verzichten darauf, Arbeitsplätze anzubieten - weil sie ein nach Mindestlohn bezahltes Praktikum nicht finanzieren können. Ganz zu schweigen vom bürokratischen Aufwand beim Nachweis der Arbeitszeit. Wenn sich die international beanspruchte Bundeskanzlerin in Berlin um juristische Spitzfindigkeiten bei der Mietpreisbremse kümmern muss, dann stimmt in dieser Regierung etwas Grundsätzliches nicht. Die Geburtsfehler sind klar: Der Juniorpartner SPD hat der Union mit Mindestlohn und Rente mit 63 einen viel zu hohen Preis für die Bereitschaft zu einer erneuten Koalition abgepresst. Bis auf die teure, aber durchaus als gerecht empfundene Mütterrente haben CDU und CSU keines ihrer Versprechen durchgesetzt. Die Pkw-Maut ist ein Rohrkrepierer, und das Ende der Kalten Progression richtet sich nach Kassenlage.
Die SPD wundert sich, dass ihre Umfragewerte trotz der vorweisbaren Erfolge bei 25 Prozent festklemmen. Und die Union versucht krampfhaft, die im Koalitionsvertrag vereinbarten Beschlüsse auch dann noch nachträglich aufzuweichen, wenn sie bereits Gesetz geworden sind.
Es ist nicht zu erwarten, dass Angela Merkel ihren Politikstil ändern wird. Auf internationaler Bühne überstahlt sie derzeit alles. Ihr Krisenmanagement, ob am Ende erfolgreich oder nicht, sorgt für noch mehr Zustimmung und Anerkennung in der Bevölkerung. Doch die Kanzlerin wäre gut beraten, sich beim wichtigsten Projekt ihrer dritten Bundesregierung stärker einzubringen: der Energiewende. Denn den abrupten Atomausstieg hat die CDU-Chefin nach der Katastrophe von Fukushima durchgesetzt. An ihr ist es, Horst Seehofer bei der Stromtrassenführung auf Kurs zu bringen. Vor der Sommerpause soll eine Lösung mit Bayern gefunden werden. Aber in dieser Angelegenheit reicht der kleinste gemeinsame Nenner gewiss nicht. Und die Union sollte die Umsetzung der Energiewende nicht taktisch ausbremsen wollen, nur weil es Sigmar Gabriels Erfolg wäre. Zwar regiert die Große Koalition auf Sicht und spielt auf Zeit - bis zur nächsten Bundestagswahl. Doch die Umstellung eines Industrielandes auf weitgehend erneuerbare Energie reicht weit über September 2017 hinaus.
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