Westfalen-Blatt: zur Polizeigewalt in den USA
Bielefeld (ots)
Der erste Impuls lässt an Ferguson denken. Die brutale Polizeigewalt gegen einen Unbewaffneten scheint genau dem Muster zu entsprechen, das in dem Schwarzen-Vorort von St. Louis wochenlange Rassenunruhen auslöste. Hier wie dort tötete ein weißer Polizist wegen einer Bagatelle einen schwarzen Mann. In beiden Fällen zückte der Beamte die Dienstwaffe und feuerte auf einen wehrlosen Menschen. Klar ist: Sowohl der Bundesstaat Missouri als auch South Carolina haben eine schwierige Geschichte, wenn es um das Verhältnis von Schwarz und Weiß geht. Doch es gibt gravierende Unterschiede zwischen Ferguson und North Charleston. Während es beim Tathergang, der zum Tod des 19-jährigen Michael Brown führte, nur Zeugenaussagen gibt, die einander widersprechen, liegt im aktuellen Fall ein Video-Mitschnitt vor. Dieser lässt wenig Zweifel an dem, was sich tatsächlich zugetragen hat. In Ferguson taten Polizei und Justiz alles, den Beamten zu schützen. Statt ihn direkt vor Gericht zu stellen, berief die Staatsanwaltschaft eine Jury ein, um zu entscheiden, ob es überhaupt zu einem Prozess kommt. Dabei präsentierten die Ankläger eine so schwache Beweislage, dass die Laien-Geschworenen gar nicht anders konnten als den Polizisten laufen zu lassen. Ganz anders jetzt die Situation in North Charleston. Der Polizist Michael Slager sitzt hinter Gittern und wartet auf seinen Prozess. Mord heißt der Vorwurf. Weder Polizeichef noch Bürgermeister versuchten irgendeine Entschuldigung für die Tat des Beamten zu finden. Und auch die für die Überwachung der Bürgerrechte zuständige Abteilung im US-Justizministerium war gleich auf dem Plan. Die Reaktion auf den Tod des 50-jährigen Walter Scott in North Charleston demonstriert die erkennbar gewachsene Sensibilität von Staat und Gesellschaft in den USA im Umgang mit Polizeigewalt. Und zeigt einmal mehr, wie hilfreich der generelle Einsatz von Körperkameras wäre. Gelöst werden müssen aber vor allem die strukturellen Probleme, die in den USA zu solchen Übergriffen führen. Auch in North Charleston besteht die bedenkliche Situation, dass die Zusammensetzung der lokalen Polizei nicht im Entferntesten die Nachbarschaften reflektiert, in denen sie Dienst tut. Solange die Ordnungshüter nicht als Helfer, sondern Besatzer gesehen werden, kann es kein Vertrauen geben. Stattdessen entsteht eine Atmosphäre, in der Bürger so gut wie nie mit der Polizei kooperieren oder wie in diesem Fall sogar vor ihr weglaufen. Darüber hinaus fehlt ein Register, das den Schusswaffengebrauch von Beamten mit Todesfolge national erfasst. Dieses dürfte die traurige Realität zu Tage fördern, dass ein Durchgreifen der Justiz wie in North Charleston bisher die absolute Ausnahme ist. Es bleibt noch viel zu tun.
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