Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum TV-Duell
Bielefeld (ots)
War das TV-Duell gestern Abend nun tatsächlich Martin Schulz' letzte Chance? Wahrscheinlich ja. Hat er sie genutzt, so dass er doch noch Bundeskanzler werden kann? Wahrscheinlich nein. Es war das politische Fernsehereignis des Jahres mit gigantischen Einschaltquoten. Es war lebhaft, aber so richtig spannend war auch dieses TV-Duell nicht. Immerhin: Der Erkenntnisgewinn war größer als bei vorherigen Duellen, beispielsweise bei der Rente und in der Türkei-Frage. Das TV-Duell hat keinen klaren Sieger hervorgebracht. Realistisch betrachtet steht unterm Strich ein flottes Unentschieden, ein 2:2, mit leichten Vorteilen für den Herausforderer. Schulz griff an, wirkte dabei jedoch etwas künstlich und leistete sich in seiner Wortwahl einige peinliche Schnitzer. Merkel war häufig in der Defensive. Trotz der bekannten Kontroversen spürte man auch viele Gemeinsamkeiten. Diskutiert wurde trotzdem. Schulz versuchte bei der Flüchtlingspolitik und in der Türkei-Frage zu punkten. Er kämpfte zwar, wollte Merkel aufs Glatteis führen, hat es aber nicht geschafft, Sympathiepunkte zu sammeln. Der Herausforderer hat seine letzte Chance nicht nutzen können. Das liegt nicht nur an seiner eher unsympathischen Art, sondern auch an den schlechten Voraussetzungen. Niemand hat wohl ernsthaft geglaubt, Merkel würde so sehr patzen und ihren großen Umfragevorsprung in einer Sendung aufs Spiel setzen. Dafür ist sie nach zwölf Jahren als Kanzlerin zwar zu erfahren, wirkte aber bisweilen überraschend unsicher. Insgesamt war Schulz zu forsch, zu direkt, zu polternd, Merkel zu scheu, zu defensiv, zu schüchtern. Nach dem TV-Duell wird es die entscheidende Wende nicht geben. Vielmehr steht die Frage im Vordergrund, ob es eine schwarz-gelbe oder eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen geben wird. Reicht es am Ende für Union und FDP, wird Angela Merkel trotz aller Skepsis dazu nicht Nein sagen können. Sie neigt offenbar eher Jamaika zu, weil ihr die Koalition mit der FDP von 2009 bis 2013 noch in zu schlechter Erinnerung ist und sie FDP-Chef Christian Lindner nicht wirklich mag. Dann lieber auch gleich mit den Grünen. Das hätte den Vorteil, dass mit Katrin Göring-Eckardt eine weitere Frau mit am Tisch sitzt, die nicht auf Krawall aus ist. Für Merkel war das TV-Duell als Kandidatin wohl das letzte ihres Lebens. Für Schulz möglicherweise auch. Aber anders als er wird Merkel darüber erleichtert sein. Trotz ihres nicht immer erfolgreichen Abschneidens kann sie mit Genugtuung auf die Polit-Shows blicken. Allein schon mit den TV-Duellen hat sie einen Platz in den Geschichtsbüchern sicher. Viermal stand sie »im Ring«, vier Mal hat sie zumindest nicht klar gewonnen, und vier Mal wurde sie dennoch Kanzlerin. So wird es kommen. Welch eine Bilanz.
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