Kölner Stadt-Anzeiger: Verfassungsrechtler Böckenförde: Muslimen in Deutschland kein Wertebekenntnis zur Verfassungsordnung abverlangen - vorläufig genügt Gesetzestreue
Köln (ots)
Köln - In der Debatte um das Verhältnis von Staat und Religion hat sich der Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde dafür ausgesprochen, von den Muslimen in Deutschland vorläufig lediglich "Gesetzesloyalität" zu fordern, aber kein Wertebekenntnis. "Damit bestätigt der Staat seine Freiheitlichkeit", schreibt der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht im "Kölner Stadt-Anzeiger" (Donnerstag-Ausgabe). Der weltanschaulich neutrale Staat verbinde mit dieser Haltung aber die Hoffnung, dass etwaige "innere Vorbehalte" gegen die Verfassungsordnung im Lauf der Zeit schwänden. Als historisches Vorbild für den Erfolg eines solchen Verfahrens nennt Böckenförde die Aussöhnung der Katholiken mit dem säkularisierten Staat im 19. und 20. Jahrhundert. Wäre allerdings davon auszugehen, "dass eine Religion, aktuell der Islam, sich gegenüber der Religionsfreiheit auf Dauer aktiv resistent verhält, sie also abzubauen suchte, sofern sich politische Möglichkeiten, etwa über Mehrheitsbildung, dazu bieten, so hätte der Staat dafür Sorge zu tragen, dass diese Religion beziehungsweise ihre Anhänger in einer Minderheitsposition verbleiben", so Böckenförde. Das würde gegebenenfalls entsprechende politische Gestaltungen im Bereich von Freizügigkeit, Migration und Einbürgerung notwendig machen. Nach Böckenfördes Ansicht läge darin "kein Selbstwiderspruch, sondern nur die eigene Selbstverteidigung des säkularisierten Staates." Böckenförde lehnt eine strikte Trennung von Staat und Religion ab, wie sie in Frankreich praktiziert wird. "Die Menschen wollen nicht nur halb und privat, sondern zur Gänze aus ihren Wurzeln leben können, und sie haben ein Anrecht darauf." Auch die erstrebte Integration hat das Ziel, die Menschen in die gemeinsame Ordnung einzubeziehen, ohne ihnen die Aufgabe ihrer Identität abzuverlangen, und sie unterscheidet sich gerade dadurch von purer Assimilation. "Integration setzt ein Lebenkönnen aus den eigenen Wurzeln voraus." Es müsse daher bei einer "offenen, übergreifenden Neutralität" des Staates bleiben, "die der Verschiedenheit auch öffentlich Raum gibt, ohne deshalb die Grundgestalt der eigenen Ordnung aufzulösen".
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