Maischberger am Mittwoch, 24. Januar 2018, 22:45 Uhr
München (ots)
Das Thema:
"Ganz unten: Wie schnell wird man obdachlos?"
Die Zahl der Obdachlosen in Deutschland nimmt dramatisch zu. Aktuelle Schätzungen gehen von rund 860.000 Menschen aus, die in diesem Winter keine Wohnung haben. Grund dafür sind unter anderem die ständig steigenden Mieten und die fehlenden Sozialwohnungen. Zudem verschärft eine große Zahl an Armutseinwanderern aus Osteuropa das Problem. Die Notunterkünfte sind überfüllt. Sollten die Städte zugewanderte Obdachlose wieder zurückschicken, auch wenn sie EU-Bürger sind? Warum landen Menschen überhaupt auf der Straße? Tut der Staat zu wenig? Oder wollen manche Betroffene kein geregeltes Leben führen?
Gäste: Klaus Seilwinder (lebte acht Jahre lang auf der Straße) Judith Rakers ("Tagesschau"-Sprecherin) Jaqueline Kessler (ehemalige Obdachlose) Dorothea Siems (Journalistin) Christoph Butterwegge (Armutsforscher)
Klaus Seilwinder
"Obdachlos geworden bin ich aus eigener Dummheit. Ich bin vor Problemen immer weggelaufen", sagt Klaus Seilwinder. Nachdem er sich mit seinem Arbeitgeber zerstritten hatte, strandete der damals 46-Jährige auf der Straße und finanzierte sein Leben als Flaschensammler. Nach acht Jahren Obdachlosigkeit hielt es der gelernte Chemiefacharbeiter nicht mehr aus: "Der Winter war kalt, und ein Kumpel nahm mich mit in seine Wohnung, zwang mich in ein normales Leben." Heute ist Klaus Seilwinder Stadtführer für "Querstadtein - Berlin anders sehen" und erklärt auf seinen Touren, wie er auf der Straße überlebt hat.
Judith Rakers
Betteln in der Fußgängerzone, Essen im Armenhaus, Übernachten unter der Brücke: Judith Rakers kennt die Nöte von Obdachlosen. Für die ARD-Dokumentation "Schicksal obdachlos" machte die Journalistin einen Selbstversuch und verbrachte 30 Stunden auf der Straße. Das Betteln sei "würdelos und eine extreme Überwindung" gewesen, erinnert sich Judith Rakers. Geschockt war die NDR-Moderatorin aber vor allem von der Reaktion der Menschen: "Die Leute gingen weiter, als ob ich gar nicht da wäre." Die "Tagesschau"-Sprecherin engagiert sich seit langem besonders für obdachlose Frauen.
Jaqueline Kessler
Wegen des schwierigen Verhältnisses zu ihrem Stiefvater landete die damals 17-Jährige in einem Kinderheim, aus dem sie nach wenigen Wochen weglief. Drei Jahre lang lebte die Ausreißerin auf der Straße, in einer Gartenlaube und in Notunterkünften. "Am Anfang schämt man sich, weil man dreckig rumläuft. Später nimmt man das nicht mehr wahr", berichtet Jaqueline Kessler. Vergangenes Jahr kam die mittlerweile 26-Jährige über die Mainzer Wohnungslosenhilfe zur Initiative "Hundetraum" und führt seitdem Hunde aus. "Die Zuneigung und das Vertrauen der Hunde bauen mich auf, so traue ich mir selbst wieder mehr zu.", sagt die ehemalige Obdachlose, die seit kurzem wieder in einer eigenen Wohnung lebt.
Dorothea Siems
Für die Wirtschaftsredakteurin der "Welt" ist Obdachlosigkeit kein strukturelles Problem: "Wir haben in Deutschland ein soziales Netz, das einen vor extremer Armut bewahrt. Hartz IV deckt die gesamten Wohnkosten, und der Mieterschutz ist sehr stark." Mehr Sozialwohnungen seien nicht die Lösung, glaubt die Journalistin. Das Problem sei vielmehr, dass einige Menschen nach Schicksalsschlägen die ihnen zustehenden Hilfen nicht annehmen. Als Ursache für die zunehmende Obdachlosenzahl macht Dorothea Siems Armutsmigration aus und fordert: "EU-Bürger, die hier nicht arbeiten, haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe und kein Aufenthaltsrecht und müssen zurückgeführt werden."
Christoph Butterwegge
"Die steigenden Mieten können sich viele nicht mehr leisten. Wenn dann noch ein persönliches Schicksal hinzukommt, führt das viele in die Obdachlosigkeit", warnt der Politikwissenschaftler, der bei der Bundespräsidentenwahl vor einem Jahr als Kandidat für die Linke antrat. Deutschlands bekanntester Armutsforscher wirft der Politik Versagen beim sozialen Wohnungsbau vor. Außerdem unternehme die Regierung nichts gegen die stetig wachsende Zahl an Niedriglohnjobs, die zu Armut und Obdachlosigkeit führten. Christoph Butterwegge fordert deshalb, leerstehenden Wohnraum zu beschlagnahmen und den Mindestlohn deutlich zu erhöhen.
"Maischberger" ist eine Gemeinschaftsproduktion der ARD, hergestellt vom WDR in Zusammenarbeit mit der Vincent TV GmbH.
"Maischberger" im Internet unter www.DasErste.de/maischberger Redaktion: Elke Maar (WDR)
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