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SAT.1

SAT.1-Interview mit den deutschen Geiseln
Werner, Marc und Renate Wallert

Berlin (ots)

SAT.1-Reporter Steffen Schwarzkopf führte am 18. Mai 2000 mit den
auf der philippinischen Insel Jolo verschleppten Deutschen ein
Interview. Die Ausstrahlung erfolgte in "18:30" und in den
Spätnachrichten um 0.20 Uhr am 19. Mai 2000.
Hier folgt der Wortlaut:
Steffen Schwarzkopf: Herr Wallert, haben Sie neue Informationen
zum Gesundheitszustand Ihrer Frau?
Werner Wallert: Die Informationen sind wie immer spärlich und
unzuverlässig. Und auch der Doktor hat gerade gesagt, dass sie
eigentlich ins Krankenhaus eingeliefert werden müsste - das verlangen
wir seit drei Wochen.
Steffen Schwarzkopf: Sie wissen, dass Ihr Bruder in Samonga ist?
Marc Wallert: Dirk, wir haben gehört, dass du jetzt hier in
Samonga aufgeschlagen bist. Das freut uns sehr. Das gibt uns viel und
es ist schön zu wissen, dass du an uns denkst. Und vielleicht auch da
draußen so viel tust, wie du kannst. Die Situation hier ist nach wie
vor sehr, sehr schwierig. Bin immer noch besorgt um Mutti. Aber als
Botschaft: mal positiv, wir kommen auf jeden Fall ´raus. Wir beißen
die Zähne zusammen und mach dir keine Sorgen. Wir werden noch´n Bier
zusammen trinken und dann sehen wir mal weiter - wann auch immer das
sein wird. Und sag das bitte auch allen Anderen, mit denen du in
Konkakt zu Hause stehst. Ich hab gehört, dass du da sehr aktiv warst
und viel kommuniziert hast. Und das hat auch hier alle sehr gefreut.
Ist immer gar nicht so leicht jetzt ein Mikro und eine Kamera vor
sich zu haben und seinen Bruder anzusprechen. Nimm´s einfach als
positive Botschaft. Irgendwo im Kern geht´s uns gut. Ansonsten geht´s
uns beschissen und wir sehen uns wieder.
Steffen Schwarzkopf: Das macht auf mich einen recht lockeren
Eindruck. Also geht´s Ihnen so gut, wie es aussieht oder geht´s
Ihnen, wie Sie sagen, beschissen?
Marc Wallert: (lacht) Ja, es ist der Galgenhumor. Irgendwann fängt
man schon n´bisschen an zu lachen über die eine oder andere Meldung.
Man kann hier absolut nichts glauben. Man weiß überhaupt nichts. Man
lebt von einem Tag in den anderen.
Manchmal hat man die Hoffnung, dass man zwei Stunden später
freikommt. Dann wird man wieder komplett vom philippinischen Militär
überrannt und beschossen. Und dann fliegen die Granaten neben einen
und schlagen da ein. Ich persönlich bin sehr stabil. Mir geht´s gut.
Ich kümmere mich hier aus Leibeskräften um meine Eltern. Und ob der
Schein trügt oder nicht - soweit bin ich fit. Ich hab auch selbst
keine größeren körperlichen Probleme, im Gegensatz zu meiner Mutter
und mittlerweile auch meinem Vater.
Steffen Schwarzkopf: Wir haben gehört, dass es so wenig Reis gibt,
manchmal auch gar nichts zu essen.
Marc Wallert: Ja, es gibt halt auch diese Tage. Das war wohl in
erster Linie durch die Blockade vom philippinischen Militär bedingt,
als kein Essens-Supply möglich war. Das heißt, wir haben hier
teilweise auch mal einen Tag ohne Reis gehabt. Dann wieder einen Tag
mit Reis. Manchmal teilt man sich dann doch de luxe eine Sardine mit
elf Leuten. Das hat dann ein bisschen mehr Geschmack. Oder man kriegt
einen kleinen Pott Sojasoße dazu. Ansonsten Reis, Reis, Reis, wenn es
was gibt. Mittlerweile haben wir immer mal was erhalten - von was
weiß ich welchen Organisationen, Botschaften und dergleichen - was
sich allerdings meistens auf Bonbons beschränkt. Das heißt, jeder
kriegt irgendwie davon nochmal Durchfall. Also Bonbons und Reis. Und
ansonsten: Wasser ist absoluter Engpass. Wir hatten teilweise fünf
Tage, da hat man uns überhaupt kein Wasser gebracht. Da haben wir uns
hier eine Konstruktion aufs Dach gebaut. Vielmehr unser französischer
Kollege, der Herr Ingenieur, der hat dann so ein paar Bambusrohre
verlegt. Und dann haben wir damit "Savoir survivre" praktiziert und
so ein bisschen Wasser aufgefangen, in Benzinkanister gefüllt und den
knappen halben Liter dann an jeden verteilt. Und das ist natürlich
nichts. Wenn ich Sie sehe, Sie schwitzen ohne Ende. Also hier ist
natürlich Luftfeuchtigkeit und Nachtmärsche bis zu acht Stunden. Und
dann am nächsten Tag nochmal acht Stunden. Also da ist ein halber
Liter nicht viel. So dünn wie jetzt war ich noch nie! Die Verpflegung
ist größtenteils beschissen. Wir haben uns riesig gefreut über die
Tagesration von der französischen Armee. Die haben wir so über die
Woche aufgesplittet und gegessen. Es war unbeschreiblich, so eine
Paella zu essen.
Steffen Schwarzkopf: Werden Sie korrekt behandelt?
Marc Wallert: Also man muss sagen, dass die uns wirklich in der
Weise korrekt behandeln, dass die uns nicht unter Psychostress
setzen. Es ist auch nicht so, dass man dauernd irgendwo ein
Maschinengewehr direkt an der Schläfe hat oder in Handschellen hier
sitzt. Sie tun sogar eher das, was sie können. Wir sind hier absolut
privilegiert: mit einem Palmendach über dem Kopf und Schlafmatten auf
Bambusrohren. Die Umstände sind trotzdem absolut schwierig, aber wir
werden den Umständen entsprechend korrekt behandelt.
Renate Wallert: Seit sieben Tagen hatte ich mich nicht gewaschen,
seit sieben Tagen! Heute geht´s mir gut. Auch wenn es nicht so gut
aussieht. Es geht mir heute sehr gut. Ich kann heute schon wieder ein
kleines bisschen laufen und ich habe keinen Durchfall mehr, den ich
vier Tage hatte. Ich habe heute von einer Ärztin eine Flasche
bekommen. Auch habe ich meinen Reis gegessen, den mein Sohn mir
aufgetragen hat, damit ich nicht verhungere. Es schmeckt nicht gut,
aber wir haben heute einen Hamburger gegessen und das war sehr schön.
Es war wunderbar. Es war das schönste Essen in den letzten drei
Wochen. Auch habe ich heute ein schönes Bad gehabt. Es war ein sehr
netter Soldier, der mich auch die ganzen Tage immer von einem Camp
zum anderen getragen hat - mit noch drei anderen Leuten. Der hat mir
seine Flasche Wasser zur Verfügung gestellt und ich konnte mich
einmal von meinen Männern richtig waschen lassen. Das war das erste
Mal seit sieben Tagen, dass mein Körper Wasser gesehen hat. Das war
sehr schön.
Also geht´s mir doch ganz gut. Die Rückenschmerzen, die ich habe,
kommen daher, dass ich eben nicht auf dem Boden liegen kann und meine
Knochen rechts und links blaue Flecke haben. Ich habe ein paar Tage
in der Hängematte gelegen - das war auch sehr schön. Aber jetzt haben
wir eine schöne Matratze. Das ist natürlich hervorragend. Aber auf
dem Bauch zu liegen, was meine Lieblingslage ist, ist natürlich sehr
schwer. Mich dann anschließend umzudrehen, ich hab das Gefühl, mein
Rücken bricht durch. Sie bemühen sich alle, aber es gibt eben kein
Wasser, auch nicht für die Küche. Deswegen müssen wir angebrannten
Reis essen. Aber, sie haben nichts, sie teilen schon, das kann ich
nicht anders sagen. Valid gibt uns auch Bonbons. Er versucht, uns mit
Bonbons ruhig zu stellen. Aber die wichtigsten Dinge fehlen: Wasser,
gute Nahrung, Toilettenpapier. Wir haben jetzt ein Stück Seife
bekommen. Das ist sehr schön. Aber was nützt es?
Nachdem wir uns in der ersten Unterkunft durch Regenwasser ernährt
haben, weil es kein Wasser mehr gab. Die Armee hat uns leider nicht
an die Quelle gelassen. So waren wir auf Regenwasser angewiesen. Und
es kam, wir konnten uns waschen und duschen und haben uns eine
Pipeline gebaut - es war wunderschön, ein Erlebnis. In der Nacht
mussten wir einen Gewaltmarsch machen, da bin ich schon das erste Mal
zusammengekracht, weil ich zuviel anhatte. Einen Tag später mussten
wir zusammenpacken. Wir hatten nichts Böses geahnt: Es war sehr heiß,
kein Regen und wir lagen alle noch, hatten unsere Sachen gepackt.
Plötzlich fing das Schreien an, dann gingen die Schüsse los. Mein
Sohn hat sich über mich geworfen, mit seinem Körper, um mich zu
schützen. Er hat immer gesagt, "Es wird alles gut, Mama. Es wird
alles gut." Ich glaube, dass war das furchtbarste Erlebnis. Das werde
ich nie vergessen, als mein Sohn versuchte, mich zu schützen. Er
versuchte mich vor den Schüssen zu beschützen. Ich habe Angst gehabt.
Wir haben uns gegenseitig immer festgehalten. Ein paar Tage, an denen
es mir besser ging, da kollabierte ich. Immer wenn ich den Berg hoch
musste, hab ich den halben geschafft. Ich hab mich gewaschen an der
Quelle, es war sehr schön und dann kollabierte ich, dann war´s auch
wieder sehr schön, weil ich nichts mitbekommen habe.
Steffen Schwarzkopf: Man hat den Eindruck, dass Ihr Sohn sehr viel
Hoffnung hat, Ihr Mann auch. Wie ist es bei Ihnen mit der Hoffnung?
Oder ist es Angst? Und was sind das für Gefühle?
Renate Wallert: Ich hab sehr viel Angst. Ich habe einen nicht so
guten Traum gehabt - meine Träume gehen in der Regel in Erfüllung.
Ich bitte nur darum, dass der Traum nicht in Erfüllung geht. Ich hab
schon gebetet zu Gott und ich hoffe, dass der nicht in Erfüllung
geht. Ich kann den nicht sagen, weil ich Angst habe. Ich möchte
wieder raus kommen und ich möchte nicht sterben. Ich hab´s vorgehabt.
Ich wollte sterben, aber mein Sohn hat gebetet und gesagt, "Bitte
Mama, verlass uns nicht. Wir brauchen dich." Und dann hab ich gesagt,
entschuldige, dass ich diese Gedanken gehabt habe, aber wenn man
hoffnungslos ist, dann hat man diese Gedanken. Dann möchte man
wirklich nicht mehr leben und ich wollte ersticken. Aber es hat nicht
geklappt.
Steffen Schwarzkopf: Ganz Deutschland fiebert mit Ihnen. Haben Sie
eine Botschaft an ihren Sohn Dirk?
Mein lieber Dirk und lieber Harald. Harald ist mein Bruder. Bitte
gebt die Hoffnung nicht auf. Jetzt - wo die deutsche Presse hier ist.
Vielleicht klappt es ja doch. Bis jetzt war immer nur die
französische Presse da und jetzt die Deutschen, die keine Angst mehr
haben, zu uns zu kommen. Gebt die Hoffnung nicht auf! Mir geht es
heute gut.
Ich kann allein in den Busch gehen und mich auch wieder allein
erheben. Das ging bis jetzt nicht. Bitte grüßt alle, die an uns
denken, die für uns gebetet haben. Sagt allen herzliches Dankeschön
und ich werde sehr glücklich sein. Ich werde nicht in den Urlaub
fahren. Wenn es geht, werde ich nach Donnersbach-Wald in den Urlaub
fahren - wenn man mich dort unterbringen kann. Wir wollten nach
Ecuador, aber wir werden nach Donnersbach-Wald fahren. Einfach um
Ruhe zu haben. Ich will einfach Ruhe, ich will einfach Ruhe haben.
Richtig schlafen. Wir haben viel Zeit hier, aber wir haben keine
Möglichkeit, Ruhe zu haben. Alle gucken uns an - beim Schlaf, in der
Nacht, am Tag. Wir sind wie die Affen im Stall - das ist so
furchtbar. Valid gibt uns Bonbons, wir können Bonbons essen. Es ist
sehr schön, sie sind alle sehr nett. Ich muss das jetzt sagen. Sie
sind alle sehr nett, auch Mudschib. Er hatte eine Wunde am Bein. Wir
haben ihm geholfen. Sie bemühen sich.
Steffen Schwarzkopf: Herr Wallert, Sie haben eine Botschaft
vorbereitet
Werner Wallert: As a request of the islamic Group I would like to
appeal to the United Nations and the OIC, the Organisation of islamic
Conference as well as the European Union and the German Government,
to bring about a peaceful ending of this drama. To bring about quick
negociations, which have only started as far as we know today or
yesterday. Three and a half weeks have passed already. And we have
suffered a lot. We were chased across the island because the
philippine army attacked us twice. And they had to take us from one
camp to the next. So now we know, that the army has retreated.
Negociations have begun, but we are suffering. Please bring about a
peaceful end as soon as possible. Because we can´t stand this any
longer. Put pressure on the Phillippine Government. That is our
appeal.
Man sagt immer so schön "den Umständen entsprechend gut", bis auf
meine Frau, die sehr leidet. Das ist psychosomatisch bedingt. Sie hat
also, das war ganz klar zu sehen, sie hat die 20 Stunden Bootsfahrt
noch halbwegs überstanden und konnte auch noch andere trösten. Sie
müssen sich mal vorstellen, 20 Stunden in einem Boot zu sitzen. Das
heißt, es waren zwei Boote, wir waren verteilt, praktisch
bewegungslos - weil kein anderer Platz da war, haben wir in zwei
Booten gesessen - 20 Stunden lang. Von oben die tropische Sonne
tagsüber, Gewitterschauer. Das hat sie noch gut ausgehalten, aber als
dann der erste Angriff kam das war kurz nachdem wir das erste Camp
bezogen hatten. Wir wurden also von der philippinischen Armee
angegriffen. Das sollte vielleicht ein Befreiungsschlag oder so etwas
sein. War aber absolut unprofessionell und machte überhaupt keinen
Eindruck. Denn wir waren ja umgeben von etwa 600 bewaffneten Kämpfern
und die haben mit Artillerie geschossen. Wir hörten wirklich die
Granaten heulen und dann diesen Riesenknall. Es war einfach ein
Glücksfall, dass sie uns nicht getroffen haben.
Die Behandlung hier, durch die islamische Gruppe, ist absolut
korrekt. Es gibt keinerlei Übergriffe. Es gibt keinerlei
Misshandlungen und dergleichen. Worunter wir leiden, ist erstmal die
Ungewissheit, wann dieses Drama ein Ende hat und dann natürlich die
allgemeinen Lebensbedingungen. Aber die sind für die Kämpfer in der
Regel auch nicht viel besser. Aber die kommen aus diesem Land. Für
uns sind sie natürlich absolut schwer zu ertragen. Kleidung,
Wassermangel - und man hat immer Angst. Ein kleiner Schnitt in den
Finger und schon hat man eine Blutvergiftung - so etwas ist sehr sehr
riskant. Wir müssen wirklich ganz schnell hier ´raus, besonders meine
Frau.
ACHTUNG: Frei zur Veröffentlichung auch in Auszügen nur mit
Hinweis auf SAT.1-Nachrichten!
Rocco Thiede
SAT.1 PRESSE & PR
Tel.: 030 / 2090-2385 / Fax: 030 / 2090-2337
E-Mail:  rocco.thiede@sat1.de
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