"Panorama": Verurteilter Kriegsverbrecher rechtfertigt Massaker der SS an Zivilisten
Hamburg (ots)
Ein ehemaliger SS-Mann, der 1944 an einem Kriegsverbrechen in Frankreich beteiligt war, rechtfertigt die Ermordung von Zivilisten. Im Interview mit dem ARD-Politikmagazin "Panorama" (Donnerstag, 21.45 Uhr, Das Erste) leugnet Karl M. außerdem die Kriegsschuld Deutschlands und dass Millionen Menschen im Holocaust umgebracht worden sind. Der heute 96-Jährige trat kürzlich vor Neonazi-Publikum als "Zeitzeuge" auf und wird in der rechten Szene als Vorbild verehrt. Die Generalstaatsanwaltschaft Celle hatte Ende März die Ermittlungen gegen ihn eingestellt.
Karl M. aus der Nähe von Hildesheim gehörte als Unterscharführer der 12. SS-Panzerdivision an, die in der Nacht vom 1. auf den 2. April 1944 im nordfranzösischen Ascq (bei Lille) ein Massaker unter der Zivilbevölkerung verübte. Als Reaktion auf einen Sabotageakt gegen einen deutschen Zug hatte die SS die Männer des Ortes nachts aus ihren Häusern geholt und zum Bahnhof getrieben. Insgesamt 86 Menschen wurden ermordet.
Im Interview mit "Panorama" behauptet Karl M., dass er selbst niemanden erschossen habe. Er sei nur für die Festnahme der Franzosen zuständig gewesen. Die Erschießungen betrachtet er allerdings als rechtens und begründet dies mit einem angeblichen Fluchtversuch: "Wenn ich die Männer arrestiere, dann habe ich die Verantwortung für sie. Und wenn sie weglaufen, habe ich das Recht auf sie zu schießen."
Die deutschen Behörden hatten seit 2015 gegen Karl M. ermittelt, wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord. Die Generalstaatsanwaltschaft Celle stellte das Verfahren im März 2018 jedoch ein. Laut der Staatsanwaltschaft dürfe "niemand wegen derselben Tat zweimal bestraft werden". Dieser Grundsatz gelte im Schengen-Raum der EU auch dann, "wenn ein Beschuldigter in Frankreich verurteilt worden ist und dieses Urteil nach dem Recht des Urteilsstaates, also dem französischen Recht, nicht mehr vollstreckt werden kann".
Karl M. war 1949 wegen seiner Beteiligung an dem so genannten Massaker von Ascq wegen 86-fachen Mordes in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Die Strafe wurde jedoch nie vollstreckt und ist in Frankreich mittlerweile verjährt. Damit kann M. laut der Behörde auch in Deutschland nicht erneut angeklagt werden. Karl M. saß wegen des Massakers keinen Tag im Gefängnis.
Der 96-jährige M. strickt dagegen weiter an der Legende, die die SS schon unmittelbar nach dem Massaker verbreitete: Er und seine Kameraden hätten sich korrekt verhalten. Die ermordeten Zivilisten seien selbst Schuld gewesen: "Wenn sie ein reines Gewissen gehabt hätten, warum liefen sie dann weg?"
Historiker, französische Zeitzeugen und die Justiz sind dagegen sicher: Es handelte sich um eine der verbrecherischen Vergeltungsaktionen, für die diese Einheit der Waffen-SS berüchtigt war. Bis Kriegsende verübte sie in Nordfrankreich zahlreiche weitere Gräueltaten.
Sein Weltbild von damals scheint sich M., der freiwillig zur Waffen-SS gegangen war, bewahrt zu haben: Bis heute glaubt er nicht daran, dass Deutschland den Zweiten Weltkrieg begonnen hat und leugnet NS-Verbrechen. Den Holocaust habe es aus seiner Sicht so nicht gegeben. Auf die Millionen ermordeter Juden angesprochen, sagt M.: "So viele Juden hat's damals gar nicht gegeben bei uns. Das hat man jetzt schon widerlegt. Ich habe letztens irgendwo gelesen, dass diese Zahl gar nicht stimmt, die da rausgegeben wird. Ich glaub' das alles nicht mehr."
In Deutschland hat wohl die Berichterstattung über die Ermittlungen dazu geführt, dass Neonazis auf den SS-Mann aufmerksam geworden sind. Nach "Panorama"-Recherchen trat Karl M. Anfang November bei NPD-Bundesvize Thorsten Heise im thüringischen Freterrode auf, bei einem "Zeitzeugenvortrag". Vor rund 100 Rechtsextremisten sprach M. über seine Erlebnisse bei der Waffen-SS. Dutzende Fotos von sich habe er dort für die Zuhörer signieren müssen, erzählt der 96-Jährige im "Panorama"-Interview. Für die rechte Szene ist M. ein Held. Nahezu täglich bekomme er nun Post mit Autogrammwünschen.
Die Angehörigen der Mordopfer von Ascq sind darüber schockiert, dass Karl M. in Deutschland von Rechtsextremisten verehrt wird. Rolande Bonte, die Tochter eines von der SS erschossenen Bahnarbeiters aus Ascq, sagt im Gespräch mit den "Panorama"-Reportern: "Ich verstehe nicht, dass man solche Leute gut finden oder verteidigen kann." Bonte erinnert sich noch wie heute an jene Nacht im April 1944, als die SS-Männer ihren Vater aus dem Haus holten. Sie habe nur einen Wunsch: "Der SS-Mann wird sich nicht mehr ändern. Aber man muss dafür sorgen, dass er keine anderen mit seinen Ideen ansteckt. Damit sich so etwas nie mehr wiederholt."
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