Kölnische Rundschau: zum BGH-Urteil über lebensverlängernde Maßnahmen/passive Sterbehilfe
Köln (ots)
Stoppsignal
Raimund Neuß zum Urteil des BGH
Eigentlich ist es nur ein Urteil in einem sehr speziellen Fall. Der Bundesgerichtshof hatte sich nicht mit lebensverlängernden Maßnahmen an sich zu befassen, sondern mit der Situation eines Patienten, der keine Verfügung über seine Behandlung getroffen und auch keinen Angehörigen entsprechend ermächtigt hatte. Der Sohn, der nun Schadenersatz einklagen wollte, hatte zu Lebzeiten seines Vaters nicht die Möglichkeit gesehen, sich um dessen Betreuung zu kümmern. Im Nachhinein wollte er den Hausarzt in Haftung nehmen, weil der seinen Vater nicht sterben ließ. Es ist richtig, dass der Bundesgerichtshof diese Zumutung zurückgewiesen hat. Die Argumentation, mit der er dies getan hat, weist aber weit über diesen Ausnahmefall hinaus: Menschliches Leben kann nie, unter keinen Umständen, als Schaden angesehen werden. Über eine Patientenverfügung, die es hier ja nicht gab, hätten sich Ärzte zwar nicht einfach hinwegsetzen dürfen. Aber um Schadenersatz könnte es selbst dann nicht gehen. Durch diese Klarstellung wird die Einzelfallentscheidung doch zum Grundsatzurteil: Kein Arzt und kein Richter der Welt kann und darf ein Leben für nicht erhaltenswürdig erklären. Die Erfahrungen mit dem Begriff des "lebensunwerten Lebens" sind schlimm genug. Daran sollte man auch bei Urteilen denken, in denen Eltern Schadenersatz zugesprochen wird, weil Ärzte nicht auf die Möglichkeit zur Abtreibung eines behinderten Kindes aufmerksam gemacht haben. Formal wird hier anders argumentiert - nicht das Leben des Kindes selbst gilt als Schaden, sondern es wird die veränderte Vermögenssituation der Eltern bewertet. Aber die Rechtsprechung ist hier auf eine gefährliche Bahn geraten, und es ist gut, dass der Bundesgerichtshof ein Stoppsignal gesetzt hat.
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