Heilbronner Stimme: Cem Özdemirs 13-jährige Tochter macht mit bei Fridays for Future. Sie fragt: "Papa, tust Du genug für das Klima?"/ Grünen-Politiker lobt Engagement der Jugend, warnt aber vor übertriebenen Hoffnungen
Heilbronn (ots)
Der Grünen-Politiker Cem Özdemir (53) ist seiner Tochter dankbar, dass sie ihn durch ihre Teilnahme an den "Fridays-for-Future"-Protesten an seine eigene Verantwortung erinnert. Sie frage ihn auch: "Papa, tust Du genug für das Klima?" Im Interview mit der "Heilbronner Stimme" (Samstag) sagte Özdemir: "Ich bin Greta Thunberg und allen anderen dankbar, die sich für dieses eminent wichtige Thema einsetzen. Dankbar bin ich auch meiner eigenen 13-jährigen Tochter. Sie hat für sich beschlossen, an den Demonstrationen teilzunehmen. Damit erinnert sie auch mich an meine Verantwortung. Mit einer kritischen Nachfrage: Papa, tust Du genug für das Klima?"
Zur Frage seiner Tochter, ob er selbst genug fürs Klima tue, sagte Özdemir der Zeitung: "Ich versuche, das was ich sage, auch selbst zu praktizieren. Innerdeutsch nehme ich so oft wie möglich den Zug. In meinem Stuttgarter Wahlkreis fahre ich wenn möglich mit den Öffentlichen und wenn es mal weiter weg geht mit dem Stadtmobil, und in Berlin mit dem eigenen Pedelec zur Arbeit. Ich ernähre mich vegetarisch, habe eine Solarthermie-Anlage auf dem Dach. Allerdings ist kein Mensch perfekt und er muss es auch nicht sein. Es kann auch nicht sein, dass die gesamte Verantwortung für Klimaschutz beim Einzelnen abgeladen wird. Entscheidend ist, dass wir den Rahmen so setzen, dass umweltfreundliches Verhalten nicht länger bestraft wird. Ein Beispiel: Bei einer Bahnfahrt nach Paris zahle ich Mehrwertsteuer, mit dem Flugzeug nicht. Kann mir einer den tieferen Sinn davon erklären? Das ist doch absurd."
"Greta Thunberg nicht zu einer Ikone hochstilisieren."
Özdemir sieht die Politik in der Pflicht: "Die heutigen Entscheidungsträger haben es in der Hand, die Folgen der Klimakrise halbwegs einzugrenzen, sie tun es aber nicht. Es wird viel geredet, aber nicht gehandelt. Die Jungen wollen aber nicht warten, bis wir mehr Plastik als Fische im Meer haben, bis der Permafrostboden auftaut, und sie wollen nicht dabei zusehen, wie noch mehr Arten verschwinden. Deshalb machen sie mit gutem Recht Druck auf uns Politiker. Diese junge Generation weiß viel mehr über die Zusammenhänge von Klimawandel und Ökologie als alle Generationen vor ihr. Sie weist uns nun auf Widersprüche hin, hält uns den Spiegel vor, und das tut uns gut."
Özdemir: "Es sind die richtigen Fragen, die die junge Generation den Älteren stellt. Greta Thunberg engagiert sich großartig, aber wir sollten sie nicht zu einer Ikone hochstilisieren. Denn es sind wir Politiker, die nun endlich handeln müssen, damit die Jugend weniger zu demonstrieren braucht. Und wer sich über die Verletzung der Schulpflicht ärgert, der sollte sich den Bildungsauftrag von Schulen vor Augen führen, nämlich mündige Bürger zu erziehen - und wenn die Friday4Future-Demos kein Beweis für Mündigkeit sind, was denn dann?"
Özdemir, heute Vorsitzender des Verkehrsausschusses des Bundestages, warnte aber auch vor zu großen Erwartungen: "Sicherlich lassen sich nicht alle Forderungen der Straße immer und sofort in die Praxis umsetzen. Das wird uns Grünen vermutlich nicht anders gehen, wenn wir hoffentlich bald wieder im Bund regieren. Doch es ist eine Frage des Wollens: Wir müssen aufhören mit dem Irrsinn, die Interessen der Wirtschaft und der Ökologie als Widerspruch zu betrachten. Es ist genau umgekehrt: Nachhaltigkeit und der Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen sind die Voraussetzung für ein erfolgreiches Wirtschaften. Mein Eindruck ist, dass die Wirtschaft da oft viel fortschrittlicher ist als die Politik."
Anlässlich des Treffens der Grünen Jugend in Leipzig an diesem Wochenende sagte Özdemir: "Es ist klasse, dass sie immer klar Flagge zeigt gegen Hass. Und es ist auch gut, dass sie manchmal auch uns älteren Grünen auf die Füße tritt. Das halten wir aus, wir haben gutes Schuhwerk. Aber wir sollten auch bedenken: Wenn wir zu radikal sind und der Gesellschaft enteilen, dann regieren die anderen. Wir brauchen also etwas Pragmatismus, um am Ende die notwendigen Bündnisse zu schmieden und unsere Ideen auch tatsächlich durchzusetzen."
Das komplette Interview unter: https://www.stimme.de/suedwesten/nachrichten/pl/Cem-OEzdemir-zum-Klimaschutz-Uns-allen-laeuft-die-Zeit-davon;art19070,4178186
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