Saudi-Arabien: Diskriminierung begünstigt Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen
Bonn (ots)
Achtung: S p e r r f r i s t: 27. September 2000, 0.01 Uhr MESZ!
- Neuer ai-Bericht dokumentiert Diskriminierung durch Staat und Gesellschaft / Willkürliche Festnahmen, geheime und unfaire Gerichtsverfahren / Folter und Todesstrafe / Beschränkung der Bewegungsfreiheit und der Berufswahl / Gastarbeiterinnen werden doppelt diskriminiert -
Die Diskriminierung von Frauen in fast allen Lebensbereichen trägt zu den schweren Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien bei. Das kritisiert die Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) in einem heute vorgelegten Bericht. Frauen sind Opfer des unfairen Justizsystems, von Folter, Hinrichtungen und religiöser Intoleranz. Zusätzlich sind sie weit gehenden Einschränkungen ihrer Rechte unterworfen. Sie dürfen sich in der Öffentlichkeit nicht frei bewegen, viele Berufe sind ihnen verschlossen und vor Gericht finden sie nur selten Gehör.
"Ein religiöses Gebot ("Fatwa") des kürzlich verstorbenen Großmuftis Scheich Abdulaziz bin Abdullah bin Baz zeigt, welche Hürden die Frauen in Saudi-Arabien noch werden nehmen müssen, bevor sie ihre Menschenrechte vollständig in Anspruch nehmen können", sagt Gudrun Günther, Saudi-Arabien-Expertin von amnesty international. In dem Gebot heißt es: "Es besteht kein Zweifel, dass so etwas (Auto fahren) verboten ist. Wenn Frauen Auto fahren, hat das viele böse Folgen. Dazu gehört auch, dass sie mit Männern zusammentreffen und dabei nicht auf der Hut sind." Ehemann, Sohn, Bruder oder Onkel haben die absolute Entscheidungsgewalt darüber, ob und wohin eine Frau reisen darf. Tradition und gesetzliche Bestimmungen festigen die Diskriminierung der Frau in der saudi-arabischen Gesellschaft. Wenn gesellschaftliche Tabus angetastet werden, hilft ein Gesetz - wie das Autofahrverbot - jegliche Neuerung zu unterbinden und die Tradition gesetzlich festzuschreiben.
Ein weiterer Bereich, in dem die Bevormundung durch Staat und Gesellschaft die Frauen stark beeinträchtigt, ist die Berufswelt. Frauen in Saudi-Arabien sind gut ausgebildet, unter den Hochschulabsolventen stellen sie mit rund 55 Prozent sogar die Mehrheit. Aber nur 5,5 Prozent, nach vorsichtigeren Schätzungen sogar nur zwei Prozent der Arbeitnehmer in Saudi-Arabien sind weiblich. Denn die gesellschaftliche Tradition lässt für Frauen nur wenige Berufe zu: Erzieherin für Mädchen, Ärztin oder Geschäftsfrau. Bei der Ausübung ihres Berufs stoßen sie zudem immer wieder an die Grenzen ihrer Bewegungsfreiheit. Sie können ihren Arbeitsplatz nur schwer oder gar nicht erreichen, wenn sie sich nicht allein in der Öffentlichkeit bewegen dürfen. Darüber hinaus führt die strenge Regelung der Geschlechtertrennung in der Öffentlichkeit dazu, dass ihr Arbeitsplatz nur in speziell abgetrennten Bereichen liegen kann: in Mädchenschulen oder Universitäten, Krankenhäusern, Banken oder Geschäften nur für Frauen. Das schränkt die Zahl der Arbeitsplätze so sehr ein, dass Tausende hoch qualifizierter Frauen keine Stelle finden, obwohl große Summen Geldes in ihre Ausbildung investiert wurden.
Die Tatsache, dass wirtschaftliche Interessen hier Veränderungen erfordern, hat mit dazu geführt, dass in den vergangenen Monaten auf höchster Ebene über Reformen nachgedacht wurde: Der Konsultativrat in Riad hat einen umfassenden Gesetzentwurf zur Regelung der Frauenarbeit diskutiert und der Regierung die Ratifizierung des UN-Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau empfohlen. "amnesty international begrüßt, dass Saudi-Arabien inzwischen diesen Vertrag der Vereinten Nationen ratifiziert hat. Aber wir fordern die saudische Regierung auf, die Vorbehalte, die sie dabei geltend gemacht hat, zurückzunehmen und alle Bestimmungen des Übereinkommens in der Praxis umzusetzen", macht Gudrun Günther deutlich.
Dramatisch ist die Menschenrechtssituation für Frauen, wenn sie mit dem Justizsystem in Berührung kommen. So wurde Farzana Kauzar aus Pakistan 1997 Opfer von willkürlicher Verhaftung. Zusammen mit ihren drei Kindern wurde sie ohne jegliche Anschuldigung festgenommen, offensichtlich um ihren Ehemann, der sich in der Heimat aufhielt, zu zwingen, zu Geschäftsverhandlungen nach Saudi-Arabien zurückzukehren. Man drohte an, ihr und den Kindern die Kehle durchzuschneiden. Zehn Monate blieben sie inhaftiert, ohne dass ihnen die Möglichkeiten gegeben wurde, ihre Verhaftung offiziell anzufechten.
Wenn Frauen mit dem Justizsystem in Kontakt geraten, wird auch oftmals die Regelung der strengen Geschlechtertrennung aufgehoben - zu ihrem Nachteil. Verhöre durch männliche Beamte sind demütigend für Frauen, die bisher keinen Kontakt zu Männern hatten, mit denen sie nicht verwandt sind. Zudem ruft die ständige Drohung sexuellen Missbrauchs ein Klima der Angst und Demütigung hervor. Diese Verhöre können dazu führen, dass Frauen falsche Geständnisse machen, auf deren Basis sie unter Umständen auch zum Tode verurteilt werden. Siti Zainab, eine 32-jährige Indonesierin, wurde im September 1999 festgenommen und wegen Mordes an ihrer Arbeitgeberin angeklagt, woraufhin ein Todesurteil zu erwarten ist. Sie ist Berichten zu Folge psychisch krank und soll die Tat bei Verhören durch die Polizei unter Druck "gestanden" haben. 28 Frauen wurden seit 1990 in Saudi-Arabien hingerichtet.
Bei Gastarbeiterinnen kommt erschwerend hinzu, dass sie meist kein Arabisch sprechen und ihnen längst nicht immer ein Dolmetscher zur Verfügung gestellt wird. So entpuppt sich die scheinbare Entlassungsurkunde, die sie unterschreiben sollen, bisweilen als ihr "Geständnis". Meist kennen diese Frauen niemanden, den sie um Unterstützung in ihrer Sache bitten können, und der Kontakt zu ihrer Botschaft wird ihnen gewöhnlich verwehrt. Das Gefühl, der Willkür ausgeliefert zu sein, haben besonders Frauen, die als Hausangestellte arbeiten.
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