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Amnesty International

Jahresbericht 2005 von amnesty international

Berlin (ots)

Gefährliche neue Weltordnung?
Internationale Gemeinschaft am Scheideweg
Menschenrechte kaum noch Grundlage internationaler Politik / 
   Folter offen geduldet und debattiert / Tödliche Gleichgültigkeit
   gegenüber Darfur / China weiter Hinrichtungs-Weltmeister / Erfolge
   beim Internationalem Strafgerichtshof und ai-Eilaktionen /
   UN-Menschenrechtskommission muss reformiert und gestärkt werden
"Viele Regierungen verfolgen heute eine menschenrechtsfeindliche
Politik, obwohl sie sich formal zu Demokratie und Menschenrechten
bekennen. Sie brechen damit ihre Verpflichtung zu einer auf den
Menschenrechten basierenden Weltordnung. Sie verhöhnen die
Menschenrechte", sagte Barbara Lochbihler, Generalsekretärin von ai
Deutschland, bei der Vorstellung des ai-Jahresberichts 2005 in
Berlin. Nach wie vor missbrauchen Staaten den "Krieg gegen den
Terror" als Rechtfertigung, um Menschen "verschwinden" zu lassen,
ohne ordentliches Verfahren zu inhaftieren, zu misshandeln und zu
foltern. Der Folter-Skandal im Bagdader Abu-Ghraib-Gefängnis ist
nicht unabhängig und umfassend untersucht worden. Verantwortliche auf
höherer Ebene werden entweder nicht oder nur geringfügig belangt.
Rechtsstaaten einschließlich Deutschlands diskutieren über die
Zulässigkeit von Folter.
"Die internationale Gemeinschaft steht an einem Scheideweg. Sie
wird sich entscheiden müssen, ob sie es mit der Förderung und
Durchsetzung der Menschenrechte ernst meint", sagte Lochbihler. "Die
Ende März beschlossene Einsetzung eines UN-Sonderberichterstatters
zum Schutz der Menschenrechte im Anti-Terror-Kampf ist ein richtiges
Signal. Deutschland sollte zur treibenden Kraft für eine nachhaltige
UN-Reform werden, statt sich nur auf den Sitz im Sicherheitsrat zu
konzentrieren. Die Bundesregierung sollte sich jetzt aktiv dafür
einsetzen, dass die diskreditierte UN-Menschenrechtskommission in
einen ständigen UN-Menschenrechtsrat umgewandelt und aufgewertet
wird."
Eine tödliche Kombination aus Eigeninteressen, Gleichgültigkeit
und Straflosigkeit hat im Berichtsjahr das Verhalten der Staaten zum
Sudan bestimmt. "Bei der vielleicht schlimmsten Menschenrechtskrise
der Gegenwart in Darfur hat die internationale Gemeinschaft völlig
versagt", sagte Lochbihler. "Der UN-Sicherheitsrat ließ sich von den
Interessen Chinas und Russlands in Geiselhaft nehmen." Ein Erfolg
nicht zuletzt aufgrund des konstanten Drucks von
Menschenrechtsorganisationen ist immerhin, dass der UN-Sicherheitsrat
Ende März 2005 die Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen in
Darfur an den Internationalen Strafgerichtshof überwiesen hat.
Hinrichtungs-Weltmeister ist nach wie vor China. Die von ai
ermittelte Zahl von 3.400 vollstreckten Hinrichtungen liegt unter dem
tatsächlichen Ausmaß der staatlichen Tötungen. Um den Fluss
unerwünschter Informationen zu kontrollieren, haben die chinesischen
Behörden ihre Unterdrückung der Medien und Internetnutzer verstärkt.
Menschenrechtsverteidiger und Reformbefürworter werden pauschal wegen
"Weitergabe von Staatsgeheimnissen" strafrechtlich verfolgt und
unterdrückt. Die Regierung lässt Wohnungen zwangsräumen, u. a. um
Bauten für die Olympischen Spiele 2008 zu errichten. Die Vertriebenen
erhalten keine angemessenen Entschädigungen, öffentlichen Protest
dagegen unterdrückt die Regierung brutal.
Kaum einen Blick wert ist der Weltöffentlichkeit derzeit
Guatemala. Im Gegensatz dazu beobachtet ai die Lage im
mittelamerikanischen Land sehr genau und weist beständig darauf hin,
dass neun Jahre nach Ende des blutigen Bürgerkriegs
Menschenrechtsverletzungen wieder zunehmen. Menschenrechtsverteidiger
werden von kriminellen Gruppen bedroht und getötet, darunter solche,
die an der Aufarbeitung der Verbrechen des Bürgerkriegs - etwa durch
Exhumierungen von Massengräbern - arbeiten. "Die Täter werden kaum
zur Rechenschaft gezogen. Es herrscht weiter ein Regime der
Straflosigkeit", sagte die ai-Generalsekretärin. Mit Blick auf
Deutschland forderte Barbara Lochbihler, dass das Zusatzprotokoll zur
UN-Anti-Folter-Konvention endlich in Kraft treten müsse. "Einige
letzte Bundesländer müssen ihre Blockadehaltung aufgeben, damit
Regierung und Parlament zügig unterzeichnen und ratifizieren können",
sagte die ai-Generalsekretärin. Als gefährlich und verantwortungslos
wertete sie die Bestrebungen diverser Länder sowie des Bundes,
Flüchtlinge aus dem Kosovo, Afghanistan und Togo in ihre Heimatländer
abzuschieben. "In all diesen Ländern sind Menschen nicht sicher vor
Gewalt und Verfolgung", sagte Lochbihler. Zu den jüngst von
Bundesinnenminister Schily bestätigten Plänen, in Libyen Auffanglager
für Flüchtlinge nach Europa zu errichten, sagte Lochbihler: "Libyen
hat die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet, kein
funktionierendes Asylsystem und katastrophale Haftbedingungen - es
kann doch nicht sein, dass die EU einem solchen Land die
Erstbetreuung von Flüchtlingen anvertrauen will!" Die EU müsse die
Anliegen von Flüchtlingen in jedem Einzelfall gewissenhaft und auf
eigenem Territorium prüfen, forderte Lochbihler.
Für den Berichtszeitraum des Jahresberichtes (01.01.-31.12.2004)
dokumentiert der neue ai-Jahresbericht Menschenrechtsverletzungen in
149 Ländern. In 104 Staaten hat ai gesicherte Kenntnis, dass Menschen
von Sicherheitskräften, Polizisten oder anderen Staatsangestellten
gefoltert und misshandelt wurden. In 64 Ländern wurden Menschen zum
Tode verurteilt, in 25 Ländern wurden mindestens 3.797 Todesurteile
vollstreckt. Gewaltlose politische Gefangene registrierte ai in 35
Ländern. Verstöße gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit musste
ai in 79 Ländern feststellen.
2004 startete ai 344 neue Urgent Actions. Außerdem veröffentlichte
die Organisation zu 334 vorherigen Eilaktionen weitere Informationen.
48 Prozent dieser weiteren Informationen enthielten positive
Meldungen: Gewaltlose politische Gefangene wurden freigelassen,
Folterungen unterbunden, Todesurteile umgewandelt, und weitere
Vergehen gegen die Menschenrechte konnten verhindert werden.
Die deutsche Übersetzung des ai-Jahresberichts 2005 erscheint im
Fischer-Verlag. Sie hat 635 Seiten, kostet 13,90 Euro und ist ab Juni
im Handel erhältlich.
Für Nachfragen und Interviewwünsche wenden Sie sich bitte an die
ai-Pressestelle, Meike Zoega oder Dawid D. Bartelt, Tel. 030 -
420248-306, mail:  presse@amnesty.de.

Original-Content von: Amnesty International, übermittelt durch news aktuell

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