Leopold Museum präsentiert die legendäre Schauspielerin Tilla Durieux
Wien (ots)
Erste große Ausstellung zum berühmten Bühnenstar folgt den Spuren einer schillernden Persönlichkeit anhand von vielfältigen Bildnissen
Das Leopold Museum widmet dem gefeierten Theater- und Filmstar Tilla Durieux (1880-1971) die erste umfassende Ausstellung. Durieux war sowohl moderne Frau der 1920er-Jahre als auch politisch engagierte Zeitgenossin, deren Rollen ebenso facettenreich waren wie die Liste jener Künstler*innen, denen sie Modell saß. Zu ihnen zählten Auguste Renoir, Lovis Corinth, Franz von Stuck, Max Slevogt, August Gaul, Emil Orlik, Ernst Barlach, Olaf Gulbransson, Max Oppenheimer, Oskar Kokoschka oder Charley Toorop sowie die Fotografinnen Frieda Riess, Sasha Stone, Lotte Jacobi und Mary Duras. Die Präsentation Tilla Durieux. Eine Jahrhundertzeugin und ihre Rollen geht der Faszination auf den Grund, welche die gebürtige Wienerin und Wahlberlinerin bereits auf ihre Zeitgenoss*innen ausübte.
Neben der Person Tilla Durieux, ihrer wechselvollen Biografie, ihrem sozialen wie politischen Engagement und ihrer Beispielhaftigkeit als moderne Frau der 1920er-Jahre ist auch der kunsthistorische Aspekt hervorzuheben: Selten wurde eine Person über einen Zeitraum von rund 70 Jahren so häufig und in unterschiedlichsten Medien dargestellt. Anhand von Tilla Durieux ließe sich gewissermaßen die Geschichte des Porträts der Moderne erzählen.
Daniela Gregori, Kuratorin der Ausstellung
Geburtsstunde eines Stars und erste private Porträts Tilla Durieux, geborene Ottilie Helene Angela Godeffroy, aus einer gutbürgerlichen Wiener Familie, schaffte es nach einer Schauspielausbildung in ihrer Heimatstadt über Olmütz und Breslau nach Berlin zu Max Reinhardt ans Deutsche Theater. Im bekannten Schauspielensemble erhielt sie kleinere Engagements, bis sie für den gefeierten Star Gertrud Eysoldt (1870–1955) einsprang und in Oscar Wildes Stück Salome in der Hauptrolle brillierte – dies sollte die Geburtsstunde der legendären Bühnenfigur Tilla Durieux sein. Über die Jahre hinweg spielte sie in allen wichtigen Häusern Europas und stellte sich gerne – nicht nur auf der Bühne, sondern ab 1914 auch vereinzelt in Stummfilmen – herausfordernden Rollen. 1902 lernte Durieux ihren ersten Ehemann, den Maler und Grafiker Eugen Spiro (1874–1972), kennen. Im Leopold Museum ist zu sehen, wie er seine Frau im privaten Umfeld porträtierte und so einen Moment des vertrauten gemeinsamen Glücks festhielt. Die Ehe wurde jedoch bereits 1905 geschieden, nachdem Durieux den Kunsthändler und Verleger Paul Cassirer kennengelernt hatte.
Künstler*innenkreis um Cassirer und Durieux – Entstehung zahlreicher Auftragsporträts Cassirer, ab 1910 Durieux‘ Ehemann, aus einer wohlhabenden, einflussreichen Familie stammend, förderte die ehrgeizige Schauspielerin und führte sie in die Kunst- und Literaturkreise Berlins ein. Neben vielen Künstler*innen gehörten ebenso Kulturschaffende wie die Schauspielerin Tilly Wedekind und Theaterautor Frank Wedekind, der Pianist Leo Kestenberg, die Dichterin Else Lasker-Schüler, der Schriftsteller Heinrich Mann, der Sammler und umtriebige Chronist Harry Graf Kessler, der Verleger Samuel Fischer, die Kunstschriftsteller Julius Elias, Julius Meier-Graefe, Max Osborn oder der Kritiker Alfred Kerr zu dieser illustren Runde. In Berlin führten Cassirer und Durieux einen Haushalt mit großen Abendgesellschaften, an der holländischen Küste luden sie zur Sommerfrische. Auch im Schweizer Exil ab 1917 versammelte das Ehepaar einen Kreis von Kulturschaffenden und Intellektuellen um sich.
Cassirer beauftragte zahlreiche Künstler*innen mit der Anfertigung von Porträts seiner Frau, nicht immer zur Freude der Beteiligten. Oskar Kokoschka scheint nur mit Widerwillen den Auftrag seines Händlers und Förderers ausgeführt zu haben, auch Max Oppenheimer und die Mimin hatten vorerst Probleme, in dieser etwas beklemmenden Situation eine geeignete Pose zu finden. Zudem vertraute Tilla Durieux ihr Antlitz lieber Künstlerinnen an.
Daniela Gregori, Kuratorin der Ausstellung
Von Gesprächen mit dem zur Zeit der Porträtsitzungen bereits kranken Auguste Renoir (1841–1919), dessen Porträt als Leihgabe aus dem Metropolitan Museum in New York angereist ist, fühlte sich Durieux hingegen tief berührt, auch Ernst Barlach (1870– 1938), dessen Skulpturen im Leopold Museum zu sehen sind, stand ihr mit der Zeit nahe.
Rollenporträts und Theaterfotografien, erfolgreiche Inszenierungen in der Presse und Schattenseiten medialer Aufmerksamkeit Das Posieren in Theaterrollen oder in Zivilkleidung zählte zu den Begleiterscheinungen eines Schauspieler*innenlebens. Für die diversen Rollenporträts, etwa als Salome oder Potiphars Weib, welche in der Schau zu sehen sind, bildeten die Künstler*innen Durieux in Aktion ab, für Franz von Stucks (1863–1928) unterschiedliche – ebenfalls in der Ausstellung präsentierte – Versionen der Circe hingegen posierte sie im Atelier. Mit wachsendem Erfolg wurde Tilla Durieux zu einer Person des öffentlichen Lebens. Sie inszenierte sich als Dame von Welt, suggerierte nachzueifernde Sehnsuchtsbilder und gewährte Medien intime Einblicke in ihr Leben. In den 1920er-Jahren galt sie als Paradebeispiel für die sogenannte „Neue Frau“. Künstlerinnen wie Charley Toorop, Martel Schwichtenberg oder die Fotografinnen Lotte Jacobi und Frieda Riess befassten sich mit Durieux als Vertreterin eines modernisierten Frauenbilds. Doch auch die Schattenseiten medialer Aufmerksamkeit lernte Durieux kennen: Ihre Ehe mit Paul Cassirer war geprägt von Konflikten. Nachdem sie 1926 die Scheidung einreichte, unternahm er einen Selbstmordversuch, an dessen Folgen er starb. Sein tragischer Tod entwickelte sich zum Skandal, die Schauspielerin wurde zum todbringenden Racheengel stilisiert und zog sich eine Zeitlang von der Bühne zurück. Zur emotionalen Stütze wurde bereits in der Zeit vor Cassirers Suizid der Industrielle Ludwig Katzenellenbogen (1877–1944), der 1930 Durieux‘ dritter Ehemann werden sollte.
Soziales und politisches Engagement, erneut Exil während des Zweiten Weltkrieges Als Schauspielerin blieb Tilla Durieux bis zum Beginn der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft in Deutschland aktiv. Sie zeigte sich nicht nur künstlerisch, sondern auch in sozialen wie politischen Fragen engagiert: Begleitet von Leo Kestenberg (1882–1962) trug sie vor dem Ersten Weltkrieg in den Berliner Arbeitervierteln Klassiker der Literatur vor. Rosa Luxemburg (1871–1919) unterstützte sie finanziell während deren Gefängnisaufenthalt. In den Wirren der Münchner Räterepublik versteckte sie den sozialistischen Revolutionär und Schriftsteller Ernst Toller (1893–1939). Während des Ersten Weltkrieges richtete sie mit Paul Cassirer einen „Mittagstisch für unbemittelte Künstler“ ein. Gemeinsam mit Ludwig Katzenellenbogen unterstützte sie den avantgardistischen Intendanten Erwin Piscator (1893–1966) finanziell. Nach ihrer Flucht aus dem faschistischen Deutschland beteiligte sie sich von Zagreb aus an der Widerstandsbewegung. Wie ihre beiden ersten Ehemänner war Katzenellenbogen jüdischer Abstammung; ab 1933 zählten Prag, Ascona, Opatija – wo sie das Hotel Cristallo betrieben – und schließlich Zagreb, wo sich heute noch ein Teil von Durieux‘ Sammlung im Stadtmuseum befindet, zu den Stationen ihrer Flucht. Sie gab Gastspiele in Ländern, die sie bereisen durfte und unterrichtete im Salzburger Mozarteum. Trotz mehrerer Versuche gelang dem Ehepaar die Flucht in die USA nicht. In Durieux‘ Abwesenheit wurde Katzenellenbogen nach Berlin verschleppt, wo er 1944 starb.
Späte Darstellungen, Auftritte und das Erbe Durieux‘ Ab 1952 spielte Durieux wieder zögerlich in Berlin Theater, 1955 kehrte sie nach Deutschland zurück. Bis kurz vor ihrem Lebensende war sie für Film, Hörfunk, Fernsehen und Theater tätig. Sie rekonstruierte ihre frühere Sammlung, bereiste Ausstellungen, in denen ihre Porträts gezeigt wurden, und hielt Vorträge sowie Lesungen aus ihren Memoiren. Am 21. Februar 1971 verstarb die Grande Dame des deutschen Schauspiels 90-jährig in Berlin. Durieux ordnete ihren Nachlass und bestimmte so selbst über das Bild ihrer bemerkenswerten Persönlichkeit, wie es sich heute rekonstruieren lässt.
Eröffnung der Ausstellung Leopold Museum Direktor Hans-Peter Wipplinger eröffnete die große Tilla Durieux Schau. Zur festlichen Veranstaltung kamen Leopold Museum-Privatstiftung-Vorständin Danielle Spera, Arp Museum-Direktorin Julia Wallner, Dom Museum Wien Direktorin Johanna Schwanberg, Photoinstitut Bonartes Leiterin Monika Faber, Kunsthaus Zug-Direktor Matthias Haldemann, kaufm. Direktor Leopold Museum Moritz Stipsicz, Christie's Österreich-GFin Angela Baillou und Unternehmer Johannes Baillou, die Künstler*innen Xenia Hausner und Markus Schinwald, Elisabeth Stein (GFin Styria Buchverlage), Der Standard-Herausgeber Oscar Bronner und Andrea Bronner, die Leihgeber*innen Sabine Lutt-Freund und Hagen Freund, Familie Susanne Ibach, Barbara Rauck und Michael Rauck, die Schauspielerinnen Anne Bennent und Sylvia Eisenberger-Futterknecht, die Sammlerinnen Christa Kamm und Waltraud Leopold, Doris Krumpl (Dorotheum), Leopold Birstinger, Vizepräsident Freundeverein des Leopold Museum, RA Thomas Mondl, Pia Schreier, GFin Freundeverein des Leopold Museum, Grafikerin Nele Steinborn, die Kunsthistoriker*innen Manja Wilkens und Hans Körner (Universität Düsseldorf), Sigrid Ingenohl (ZKM Karslruhe) und Univ. Prof. Rainer Metzger (Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe), die Katalogautorinnen Hannah Reisinger und Aline Marion Steinwender, Theaterwissenschaftler Peter Jammerthal (Freie Universität Berlin), Galerist Alfred Knecht (Galerie Knecht und Burster, Karlsruhe), Alexander Kriz (OMV Sponsoring Manager) und Katrin Duscher (OMV Event Manager), Kurator Vitus H. Weh, Maribel Königer (Erste Foundation), Sebastian Krebitz (WOMAN), u.v.a.
Tilla Durieux. Eine Jahrhundertzeugin und ihre Rollen zeigt rund 233 Werke, darunter 14 Gemälde, 81 Arbeiten auf Papier und 84 Fotografien. Begleitend zur Ausstellung ist ein Katalog mit Beiträgen von Stephan Dröschel, Daniela Gregori, Hannah Reisinger, Aline Marion Steinwender und einem Prolog von Hans-Peter Wipplinger erschienen.
Die Schau entstand in Kooperation mit dem Georg Kolbe Museum, wo die Berliner Version ab Mai 2023 zu sehen sein wird, und dem Berliner Archiv der Akademie der Künste, welches seit 1977 den Nachlass der Schauspielerin bewahrt.
Link zur Webpage Tilla Durieux. Eine Jahrhundertzeugin und ihre Rollen: www.leopoldmuseum.org/tilladurieux
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