Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers im "ZDF-Mittagsmagazin":
"Jugendämter können Aufgabe nicht mehr wahrnehmen"
Mainz (ots)
Im Zusammenhang mit dem Fall des zweijährigen Kevin aus Bremen und dem Beginn der öffentlichen Beweisaufnahme durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss hat der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, auf die prekäre Situation der Jugendämter hingewiesen. "Viele Jugendämter in Deutschland sind so schlecht ausgestattet, finanziell und personell, dass sie ihre Aufgaben wirklich nicht mehr wahrnehmen können", sagte Hilgers im "ZDF-Mittagsmagazin" am Montag, 18. Dezember 2006.
Dass sich sowohl die Staatsanwaltschaft als auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit den Umständen beschäftigen, die zum Tod des Jungen führten, begrüßte Hilger. Dabei müsse ermittelt werden, ob es sich um "individuelles Fehlverhalten oder sogar um Organisationsverschulden der Politik und der Leitung handelt", so Hilgers weiter. Immerhin habe jedes Jugendamt eine Gefährdungsabschätzung vorzunehmen und diese schriftlich zu dokumentieren. Nun sei zu prüfen, ob dies unter der Beteiligung von erfahrenen Fachleuten auch erfolgt sei. "Und da gibt es erhebliche Zweifel, ob das gut gemacht worden ist", sagte Hilgers.
Gleichzeitig dürften aber auch die Fallzahlen in den Jugendämter nicht außer Acht gelassen werden. "Wenn ein Vormund 150 schwere Fälle zu bearbeiten hat, dann kann er seine Arbeit nicht vernünftig erledigen. Auch da sind wichtige Fragen zu stellen an die Organisation des Jugendamtes und an die politische Steuerung", betonte der Präsident des Kinderschutzbundes.
Hilgers gab jedoch auch zu, dass man besonders schlimme Fälle von Kindesmisshandlung natürlich nie ganz ausschließen könne. "Aber man muss alles tun, damit es möglichst wenig Fälle gibt, die so tragisch sind. Dazu gehört, dass man ganz früh da ist. Am besten sollte der soziale Dienst oder die Gesundheitsfürsorge jede Familie nach der Geburt eines Kindes besuchen, Hilfsbedarf identifizieren und mit einem Netzwerk, das vorher aufgebaut sein muss, die Hilfe gewähren, die nötig ist", sagte Hilgers. Dazu könne man Plätze für unter Dreijährige in Kindertagesstätten anbieten und darüber hinaus auch Ganztagesplätze in Kindergarten und Schule. "Nicht nur weil die Eltern beide arbeiten, sondern gerade für die Kinder, die in Risikofamilien aufwachsen", ergänzte Hilgers. "Damit ist man auf einem guten Weg und das ist besser als neue Bürokratie und neue Gesetze."
Außerdem rief Hilgers zur Zivilcourage auf. "Aber wirkliche Zivilcourage besteht nicht in der anonymen Denunziation, sondern darin, dass man respektvoll und mit Anerkennung der gegenseitigen Menschenwürde nachfragt, seine persönliche Hilfe anbietet. Als Nachbar, als Freund, als jemand, der in der Umgebung lebt. Erst wenn das ausgeschlagen wird, dann ist es richtig, zum Jugendamt zu gehen und zu sagen, da stimmt was nicht."
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