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CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Lamers: Polen und die Erweiterung der Europäischen Union

Berlin (ots)

Der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Auswärtiges der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karl Lamers MdB, erklärt:
Die Erweiterung der Europäischen Union ist für Deutschland mehr
noch als für andere EU-Partner von strategischer Bedeutung. Sie zu
bewältigen, ist die größte Herausforderung, die sich der Europäischen
Union stellt. Es zeigt sich allerdings zunehmend, dass die EU trotz
ihrer Zusage, ab dem Jahr 2003 aufnahmefähig zu sein, für die
Erweiterung nicht ausreichend vorbereitet ist. An dem notwendigen
Elan, dieses zu ändern, scheint es zu fehlen.
Es zeigt sich, dass der europäische Geist, der über Jahre hinweg
den europäischen Integrationsprozess beflügelt hat, zur Zeit nur
schwach ausgeprägt ist. Ihn zu stärken ist Voraussetzung dafür, die
Aufnahmefähigkeit der EU herzustellen und den Beitrittsprozess
erfolgreich zu gestalten.
Die Aufnahmefähigkeit der EU hängt zum einen von der
institutionellen Reform der EU ab, mit der die Handlungsfähigkeit der
EU für die Zukunft sichergestellt werden soll. Die entsprechenden
Vorbereitungen im Rahmen der Regierungskonferenz verlaufen sehr
schleppend. Deshalb müssen wir die Regierungen drängen, diese wie
geplant am Ende des Jahres abzuschließen, damit der
Ratifizierungsprozess im darauffolgenden Jahr erfolgen und erste
Beitritte ab dem Jahr 2003 möglich werden können. Der Übergang zu
Mehrheitsentscheidungen ist der eigentliche Kern dieser Reform. Wenn
dies nicht gelingt, bleibt die Reform Makulatur. Wichtig auch ist,
denjenigen Staaten, die eine vertieftere Integration wünschen als
andere, ihnen die Möglichkeit einer verstärkten Zusammenarbeit zu
eröffnen. Ich weiß, daß es hier Vorbehalte in Polen gibt, da man
befürchtet, womöglich abgehängt zu werde. Mit der Möglichkeit der
verstärkten Zusammenarbeit aber ist die Chance gegeben, dem
unterschiedlichen Integrationswillen und -können der verschiedenen
EU-Mitglieder gerecht zu werden. Die Währungsunion ist dafür ein
gutes Beispiel. Auch glaube ich, dass eine Zuständigkeitsverteilung,
mit der festgelegt wird, welche Kompetenzen bei der EU, bei den
Nationen und den Regionen verbleiben im polnischen Interesse ist. Die
zukünftigen Mitglieder schaffen eine neue Union, darauf muß diese
vorbereitet sein.
Die Aufnahmefähigkeit bemisst sich aber auch an einem
Eigenmittelsystem der EU, das den Anforderungen der Erweiterung
gerecht wird. Der deutsche Bundeskanzler hatte wie die anderen
Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union die
diesbezüglichen Ergebnisse des Berliner EU-Gipfels im März 1999
gelobt. "Genau dafür, also für die Erweiterung der Europäischen
Union, sind in Berlin allerwichtigste Grundlagen gelegt worden." so
der Bundeskanzler am 26.3.99 im Deutschen Bundestag. Diese Annahme
wird jedoch zunehmend als falsch erkannt. Kommissar Fischler hat denn
auch kürzlich vermerkt, dass das Finanzsystem für die Erweiterung
nicht ausreicht.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte deshalb vor und nach dem
Berliner Gipfel eine Korrektur der falschen Weichenstellungen der
Agenda 2000 gefordert und darauf hingewiesen, dass insbesondere mit
dem Verzicht auf den Einstieg in die Kofinanzierung der
Agrarbeihilfen aus den nationalen Haushalten die Chance vergeben
worden ist, die gemeinsame Agrarpolitik auch in der Perspektive der
EU-Erweiterung finanzierbar zu halten. Denn so verständlich die
polnische Forderung nach Direktbeihilfen für die Landwirtschaft ist,
diese Politik ist in der alten EU schon nicht zu finanzieren, in
einer um die Agrarländer Polen, Ungarn, und Tschechien erweiterten EU
erst recht nicht. Interessanterweise hatte der Staatssekretär im
Auswärtigen Amt und heutige EU-Kommissar Verheugen damals auch
Nachbesserungen an der Agenda 2000 gefordert und sich dabei u.a. für
eine Überprüfung der Agrarreform ausgesprochen. Hieran gilt es zu
arbeiten.
Wenn das Eigenmittelsystem der EU für die Erweiterung nicht
ausreicht, dann muss es bis zum Jahr 2003 geändert werden. Statt
dessen haben sich die Kommissare Verheugen, Fischler und Barnier
darauf verständigt, die das Eigenmittelsystem der EU betreffenden
Beschlüsse des Berliner EU-Gipfels vom März 1999 bis zum Jahr 2006
nicht zur Disposition zu stellen. Würde also ein Beitrittsstaat ab
dem Jahr 2003 alle Beitrittsforderungen erfüllen, so würde er doch
bis zum Jahr 2006 trotz Mitgliedschaft nicht voll teilhaben können.
Damit unterhöhlt die EU ihr Beitrittsangebot und erweckt den
Eindruck, die Erweiterung nicht wirklich zu wollen.
Wenn aber wir, die alte EU, von den Beitrittskandidaten
Reformwilligkeit und -fähigkeit erwarten, eine Politik, die für diese
mit großen Anstrengungen und Opfern verbunden ist, dann ist es an
uns, diese Reformwilligkeit und -fähigkeit selbst unter Beweis zu
stellen. Die EU darf keine Verantwortung für eine Verzögerung tragen,
das ist sie ihrer eigenen Glaubwürdigkeit schuldig.
Natürlich kann es zu Verzögerungen im Erweiterungsprozess kommen,
aber nur, wenn die Beitrittsstaaten die notwendigen Reformen nicht
zeitgerecht umsetzen. Ihre Reformfähigkeit allein muss den
Beitrittstermin bestimmen. Dieses erfordert von den Beitrittsstaaten
gewaltige Anstrengungen, die man nicht unterschätzen darf. Dennoch
erweckte der letzte Fortschrittsbericht der EU-Kommission den
Eindruck, dass bei Anerkennung aller Schwierigkeiten, die
Reformbereitschaft in Polen nicht genügend ausgeprägt ist. Ich möchte
Polen deshalb ermutigen, seine Reformpolitik beherzt und entschlossen
mit noch größerem Engagement durchzuführen. Polen hat in den letzten
20 Jahren für Europa so gewaltiges geleistet, dass wir uns nicht
vorstellen können, dass es das Reformprogramm nicht schaffen kann,
wenn seine Bürger es wirklich wollen.
Wenn sich die EU zur Erweiterung bekennt, dann müssen sich die
Beitrittsstaaten auch zur EU bekennen, d.h. vor allem zur politischen
Union. Diese geht über die Wirtschafts- und Währungsunion weit hinaus
und schließt die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ein.
Mein Eindruck ist, dass genau dies, vor allem eine gemeinsame
Verteidigungspolitik, von vielen Polen nicht gewünscht wird. Deshalb
müssen wir darüber sprechen, wie wir uns das Europa der Zukunft
vorstellen. EU-Mitgliedschaft bedeutet auch Verzicht auf
Souveränität. Dies ist für Polen und andere Beitrittsstaaten
sicherlich nicht leicht. So schön es aber ist, die neu gewonnene
Souveränität zu leben, so groß ist die Gefahr, dass sie in
Enttäuschung mündet, da politische Probleme zunehmend nicht mehr auf
nationaler Ebene gelöst werden können. Nur gemeinsam sind wir stark,
das gilt auch für Europa. Deshalb wollen wir die politische Union
Europa.
Natürlich gibt es bei uns kritische Stimmen zur Erweiterung, auch
aus den Reihen der CDU/CSU. Diese stellen aber nicht die Erweiterung
an sich in Frage, sondern verweisen auf praktische Probleme, die mit
der Erweiterung verbunden sind. Die gilt es zu lösen. Das ist Aufgabe
der Politik. Sie sind nicht Ausdruck einer Distanzierung von Polen,
im Gegenteil. Wenn die neue CDU-Vorsitzende, Angela Merkel, in ihrer
Rede auf dem CDU-Parteitag darauf hingewiesen hat, dass sie, die aus
der ehemaligen DDR stammt, ohne die polnische Solidarnosc wohl nicht
für dieses höchste Parteiamt kandidieren könnte, dann können unsere
polnischen Nachbarn ermessen, wie sehr sich auch die neue
Parteiführung den Polen verbunden fühlt. Weil CDU/CSU die Erweiterung
wollen, drängen wir die EU zu inneren Reformen, zu einer
engagierteren Begleitung der Reformpolitik der Beitrittsstaaten und
zur Lösung der mit dem Beitritt für die Bürger verbundenen
praktischen Fragen. Es bleibt unser Ziel, dass erste Beitritte ab dem
Jahr 2003 möglich sind. Wir wollen Polen auf dem Weg in die EU nicht
nur unterstützen. Wir wollen gemeinsam mit Polen europäische Zukunft
gestalten.

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Tel.: (030) 227-52360
Fax: (030) 227-56660
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