CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Geis: Keine überflüssigen Reformen
Berlin (ots)
Nach einem Gespräch der Arbeitsgruppe Recht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Vertretern der von CDU und CSU geführten Länderjustizministerien mit Vertretern des Richterbundes, der Bundesrechtsanwaltskammer und des Deutschen Anwaltvereins über den von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses erklärt der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Norbert Geis MdB:
Die Gesprächspartner waren sich einig, dass der vorgelegte Gesetzentwurf so nicht Gesetz werden sollte. Die Regierung und die Koalitionsparteien müssen wissen, dass sie diese Reform vor allem gegen die Rechtsanwälte, gegen die Mehrheit der Länder und in Einzelpunkten auch gegen die Richter durchsetzen wollen.
Wir haben eine gut funktionierende Justiz. Die Bürger können ihre Rechte vor den Zivilgerichten in einem fairen Verfahren effektiv und verlässlich wahrnehmen. Bei den Amtsgerichten müssen sie mit einer Verfahrensdauer von 4 Monaten rechnen und die Landgerichte erledigen erstinstanzliche Verfahren in 6 bis 7 Monaten. Damit sind wir Spitze in Europa. Auch die Erledigungszahlen in erster Instanz - beim Amtsgericht 94 %, beim Landgericht 83 % - beweisen den hohen Stand unserer Ziviljustiz. Die Verfahren, die in die Berufung gehen, haben eine hohe Erfolgsquote, was zeigt, dass das Berufungsverfahren den Anliegen der Bürger Rechnung trägt. In der Bevölkerung besteht ein großes Vertrauen in die Justiz. Das beweisen die seit 1993 etwa gleich hohen Eingangszahlen.
Die Regierung und die Koalitionsparteien wollen mit ihrem Gesetzentwurf eine grundlegende Änderung des Zivilprozesses erzwingen. Für eine solch tiefgreifende Änderung besteht jedoch kein Bedarf. Im Gegenteil, durch die geplanten Maßnahmen würden gewachsene, gut funktionierende Strukturen der Rechtsfindung vor den Zivilgerichten schwer beschädigt werden. Dies ergibt sich auch aus der in Nordrhein-Westfalen durchgeführten Verfahrenssimulation. Dabei haben sich die Bedenken der Anwälte, der Richterschaft und der Justizverwaltungen der Länder bestätigt. Das Berufungsverfahren wird danach nicht einfacher, sondern komplizierter werden. Die erste Instanz wird zusätzlich belastet werden.
Im einzelnen haben wir unter anderem folgende Bedenken gegen die Reformvorschläge:
* In der ersten Instanz wird eine Ausweitung der gerichtlichen Hinweispflichten vorgeschlagen. Diese Hinweise sollen protokolliert und dokumentiert werden. Dies führt zu einer unerträglichen Überfrachtung der ersten Instanz. Die Prozesse werden unnötig aufgebläht. In der Form von Zwischenbeurteilungen muss der Richter seine jeweilige Ansicht zu auftauchenden Fragen mit den Parteien erörtern und dies im Protokoll festhalten. Die Anwälte werden, um sich nicht von der eigenen Partei Säumnis vorwerfen lassen zu müssen, ihren Vortrag unnötig ausweiten. All diese geplanten Regelungen stiften nur Verwirrung und sind darüber hinaus überflüssig, weil jetzt schon die Gerichte gehalten sind, den Prozess durch Hinweise zu steuern und den Parteien die Möglichkeit zu sachgerechtem Vortrag zu erleichtern.
Die im Entwurf vorgesehene obligatorische Güteverhandlung war schon 1924 eingeführt worden und wurde jedoch 1950 wieder abgeschafft, weil sie sich nicht bewährt hat. Der Entwurf übernimmt jetzt blind diese Regelung aus dem Arbeitsgerichtsprozess, ohne sich dessen Besonderheiten vor Augen zu führen. Die hohe Erfolgsquote dort basiert im wesentlichen auf Abfindungsvergleichen bei Kündigungsschutzklagen, die mit den üblichen Zivilprozessen nicht verglichen werden können. Wir lehnen das nun auch für den Zivilprozess vorgesehene formalisierte Güteverfahren ab. Die mündliche Verhandlung wird dadurch sinnlos belastet. Schon nach geltender Rechtslage ist das Gericht nach § 279 ZPO verpflichtet, in jeder Verfahrenslage auf eine gütliche Einigung hinzuwirken. Daraus aber ein formalisiertes Verfahren zu machen, nimmt dem Gericht die im Verfahren nötige Flexibilität.
- Auch die originäre Einzelrichterzuständigkeit für alle Rechtsstreitigkeiten mit Ausnahme der Streitigkeiten, die an Spezialkammern durchgeführt werden (z. B. Bausachen, Angelegenheiten des gewerblichen Rechtsschutzes, Arzthaftungssachen) ist abzulehnen. Die Zivilkammern werden dadurch zu einem bescheidenen Schattendasein als Auffangkammern reduziert. Dieser rigorose Einzelrichtereinsatz führt keinesfalls zu mehr Effizienz und Gerechtigkeit. Überall setzt man mehr auf Teamarbeit, nur offenbar in der Justiz nicht. Völlig verfehlt ist die Einführung des Einzelrichters in der Berufungsinstanz, wenn in der ersten Instanz schon ein Einzelrichter entschieden hat. Wenigstens in der Berufungsinstanz sollte das Sechs-Augen-Prinzip herrschen.
- Mit der irrigen Annahme der größeren Bürgernähe soll die Berufungssumme von 1.500,00 DM auf 1.200,00 DM abgesenkt werden. Gleichzeitig aber werden die Berufungen beim Oberlandesgericht konzentriert. Das heißt, kein normaler Mensch wird mehr im unteren Streitwertbereich Berufungen einlegen, weil das Kostenrisiko zu hoch ist. Nur die Besserverdienenden werden sich einen solchen Spaß noch erlauben können. Die Konzentration der Berufungssachen beim Oberlandesgericht stellt sich als ein Berufungsverhinderungsinstitut dar.
- Künftig soll die unterlegene Partei in jedem nichtberufungsfähigen Zivilverfahren einen Antrag an das Gericht stellen können, das Verfahren wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs erneut aufzurollen. Durch diese sogenannte "Gehörsrüge" soll das Bundesverfassungsgericht entlastet werden. Das Verfassungsgericht kann aber solche Fälle jetzt schon leicht korrigieren. Dahingegen werden durch die vorgesehene Regelung die Gerichte sehr stark belastet werden. Es ist zu erwarten, dass in Fällen, in denen die Berufungsinstanz nicht eröffnet ist, die beschwerten Parteien regelmäßig versuchen werden, eine Korrektur des bereits unanfechtbaren Urteils zu erreichen. Die Prozesse werden so unnötig verlängert.
- Nach wie vor werden die Rechtsmittelmöglichkeiten durch den Entwurf entscheidend eingeschränkt. Zwar weicht die Koalition von der radikalen Beschränkung auf die Rechtsfehlerkontrolle, wie sie noch im Referentenentwurf vorgesehen war, ab: Neue Tatsachen können dann berücksichtigt werden, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte ernstliche Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen der ersten Instanz bestehen.
Wie der Referentenentwurf geht jedoch auch diese neue Formulierung davon aus, die derzeitige Ausgestaltung der Berufungsinstanz sei unökonomisch. Diese Behauptung aber ist falsch. Bereits heute wird die Wiederholung der Beweisaufnahme in zweiter Instanz grundsätzlich nur dann vorgenommen, wenn die Beweiserhebung in der ersten Instanz lückenhaft, fehlerhaft oder widersprüchlich war. Dies ist jedoch nur selten der Fall.
Diese nun neugeplante Regelung wird bei einem entsprechenden Prozess regelmäßig zu einem heftigen Streit unter den Anwälten führen, ob es konkrete Anhaltspunkte für ernstliche Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit des Tatsachenvortrags und der Tatsachenfeststellung erster Instanz gibt. Es wird über Formalien gestritten werden, nicht aber über die Sache selbst. Der Bürger wird vor dem juristischen Dickicht, das sich vor ihm auftut, kapitulieren und das Vertrauen in die Justiz verlieren.
* Der Referentenentwurf sah ein Annahmeverfahren vor, das jetzt in einen Zurückweisungsbeschluss umgetauft wurde. Dieser Beschluss ist dann möglich, wenn das Berufungsgericht einstimmig dafür hält, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg und die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Der Zurückweisungsbeschluss ist unanfechtbar. Der Bürger soll also mit einem unanfechtbaren und unter Umständen nicht einmal gesondert begründeten Beschluss abgespeist werden, selbst, wenn es um höchste Streitwerte geht.
Mit einem solchen Verlust an Rechten für die rechtssuchenden Bürger können wir uns niemals einverstanden erklären.
- Die Konzentration der Berufungszuständigkeit beim Oberlandesgericht führt zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Bürgernähe. Dadurch wird insgesamt die Dreigliedrigkeit der Justiz vorbereitet. Das aber bewirkt die Zerschlagung der Amts- und Landgerichte. Die Justiz wird aus der Fläche, wo sie seit Jahrhunderten war und wo Bindungen der Bevölkerung an ihr Amtsgericht entstanden sind, verschwinden. Dadurch wird viel an Rechtskultur verloren gehen.
- In der Revisionsinstanz soll die Wertgrenze von 60.000,00 DM abgeschafft und dafür generell die Zulassungsrevision eingeführt werden. Die Revision soll insbesondere der Rechtsfortbildung dienen. Dem Revisionsführer geht es aber allein um seine Sache. Er hat kein Interesse daran, dass auf seine Kosten das Recht fortgebildet wird, was im übrigen zuallererst Aufgabe der Parlamente ist. Nach unserer Auffassung besteht kein Bedarf an einer Änderung des jetzigen Verfahrens. Die Streitwert-Revision hat sich bewährt.
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