CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Lamers: Südost-Europäische Union nach dem Modell der EU und als Teil der EU
Berlin (ots)
In der heutigen Ausgabe der Belgrader Zeitung Danas plädiert der außenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karl Lamers MdB, im folgenden Namensartikel für eine vertiefte regionale Integration in Südosteuropa:
Mit dem Vorschlag eines "Balkan-Integrations-Prozesses" nach dem Modell der Europäischen Union hat der jugoslawische Präsident Kostunica dem Europäischen Parlament in Straßburg einen zukunftsweisenden Vorschlag unterbreitet: in dem Streben nach Mitgliedschaft in der Europäischen Union und um sich für diese zu qualifizieren, sollten in der Region zunächst gute nachbarschaftliche Beziehungen, freier Handel und kollektive Sicherheitsstrukturen entwickelt werden. Dieser Vorschlag ist mutig und liegt in der Logik des Stabilitätspaktes. Er ist visionär und doch zugleich der einzig realistische Weg zur Stabilisierung der Balkan-Region und ihrer Hinführung zur Europäischen Union. Denn wer zur Integration in die Region nicht in der Lage ist, wird sich auch in der Europäischen Union nicht integrieren können. Vor allem böte er für die ganze Region eine Lösungs-Perspektive, in deren Licht auch die offenen Status-Fragen leichter und schneller lösbar wären.
Aus diesen Gründen habe ich dem Deutschen Bundestag im Oktober des Jahres eine Institutionalisierung des Stabilitätspaktes vorgeschlagen, um Serbien und den anderen Balkan-Staaten schon heute eine europäische Perspektive bieten zu können. Sicherlich, die Tür nach Europa steht ihnen offen und die Möglichkeit einer individuellen Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist bei dem EU-Balkan-Gipfel in Zagreb auch der BR Jugoslawien eröffnet worden. Aber der Weg dahin ist lang und kann vielen Staaten keine unmittelbare Hoffnung bieten. Das aber könnte eine Weiterentwicklung des Stabilitätspaktes bewirken. Deshalb freue ich mich, dass die Vorstellungen des griechische Außenministers, der Anfang November vom Stabilitätspakt als einer "Vorstufe eines neuen Vertrags für die Balkan-Staaten" gesprochen hat, in die gleiche Richtung gehen.
Eine Institutionalisierung des Stabilitätspaktes könnte die Bildung einer "Südost-EuropäischenUnion" (SO-EU) nach dem Modell der Europäischen Union und als Teil der Europäischen Union zum Ziel haben. An ihr sollten nicht nur die Staaten des ehemaligen Jugoslawien, sondern auch deren Nachbarn, wie Ungarn und Griechenland beteiligt sein. Dadurch würde zugleich unterstrichen, dass auch eine spätere individuelle Mitgliedschaft in der Europäischen Union möglich ist. Die Europäische Union sollte in dieser "Südost-Europäischen Union" nicht nur Sitz und Stimme haben, sondern auch eine ausschlaggebende Rolle spielen. Sie wäre eine "Euro-Region" neuer Art mit einem speziellen Status in der EU, die so lange aufrecht erhalten werden sollte, bis das letzte ihrer Mitglieder volle Aufnahme in der EU gefunden hat. Die zahlenmäßig breite Mitgliedschaft und die Beteiligung der EU würden die Sorgen der Nachbarn, bei einer solchen Einrichtung handelte es sich um eine Neuauflage des ehemaligen Jugoslawien mit einem implizierten Dominanzanspruch Belgrads gegenstandslos machen. Mitglieder dieser SO-EU, die sich der regionalen Zusammenarbeit verweigern, sollten durch sie veranlasst, ggf. auch gezwungen werden können, sich an der Kooperation und Integration zu beteiligen. Die jeweiligen nationalen Minderheiten sollten in ihr vertreten sein. Eine parlamentarische Kontrollinstanz wie die eines Südosteuropa-Parlaments wäre ebenso denkbar wie der Europäischen Kommission und dem Europäischen Rat vergleichbare Institutionen.
Eine solche regionale Union würde eine Art Dachstruktur für die Region bilden. Sie würde die Bedeutung der Grenzen relativieren und für den Fall einer weiteren Fragmentierung in der Region, dieser die Dramatik nehmen. Die Teilnehmer-Staaten müssten sich verpflichten, innere wie äußere Konflikte nur friedlich zu lösen. Zusammen mit einem umfassenden sicherheitspolitischen Arrangement, das die Abrüstung einschließt, und der Präsenz internationaler Streitkräfte, wo und wie lange nötig, wäre die SO-EU Garant einer friedlichen Entwicklung der Region. Diese Perspektive wäre für die langfristige Entwicklung in der Region wichtiger als die Frage der Grenzen. Mit ihr würde es auch der internationalen Staatengemeinschaft leichter fallen, die Diskussion über eine selbsttragende politische Ordnung auf dem Balkan zu führen. Nur eine solche Ordnung kann sie schließlich vor dem Risiko eines jahrzehntelangen militärischen Engagements auf dem Balkan bewahren.
Die internationale Staatengemeinschaft wird nicht in der Lage sein, den Menschen die Art und Weise ihres Nebeneinanders und Miteinanders zu diktieren. Sie wird noch weniger in der Lage sein, dieses gegen den Willen der Menschen langfristig durchzusetzen. Deshalb muss sie die Diskussion über eine selbsttragende politische Ordnung in der Region vorurteilsfrei führen. Wenn die Betroffenen zu der Einsicht gelangen, dass es zur Versöhnung der Trennung bedarf, können wir sie ihnen dann verbieten? Wenn diese nach dem Vorbild der Tschechoslowakei geschieht, dürfen wir sie dann verweigern? Ob Grenzen geändert werden oder nicht, ist weniger wichtig als ihnen ihren trennenden Charakter zu nehmen, der Zusammenarbeit und damit Versöhnung behindert.
Eine europäische Struktur oberhalb derjenigen, die sich auf dem Balkan in den letzten zehn Jahren herausgebildet hat, könnte helfen, das Montenegro-Problem zu lösen; sie könnte den Rahmen bilden für eine konkrete Ausfüllung der im Daytoner Vertrag vorgesehenen "besonderen parallelen Beziehungen" zwischen der bosnischen "Republika Srpska" und der BR Jugoslawien einerseits sowie den bosnischen Kroaten und Kroatien andererseits. Sie wäre auch der Schlüssel zur Lösung der Status-Frage des Kosovo, deren unvermeidlich schmerzhafte Auswirkungen, welche Lösung im einzelnen gefunden wird, auf diese Weise beträchtlich gemildert werden könnten.
Wie auch immer die oben genannten Fragen beantwortet werden, welche politische Ordnung auch immer sich als selbsttragend und stabil erweist, wichtig ist, die Diskussion darüber in einem institutionalisierten Rahmen zu führen, dem sich keiner der Betroffenen entziehen kann, in dem aber auch keiner der Betroffenen übergangen werden kann.
Die demokratische Entwicklung in der BR Jugoslawien ist auf einem guten Weg. Präsident Kostunica bemüht sich eindrucksvoll um die Aussöhnung mit den Nachbarn, um die Beziehungen zu ihnen zu normalisieren. Er ist bereit, gemeinsam mit den Staaten der Region und der internationalen Staatengemeinschaft über eine langfristig stabile Ordnung auf dem Balkan zu sprechen. Sein Vorschlag, einer vertieften Integration auf dem Balkan, kann für die Region enorm hilfreich sein und sollte eine positive Reaktion erfahren.
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