CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Rühe: Für eine glaubwürdige europäische Sicherheitspolitik
Berlin (ots)
Zum Deutsch-Französischen Gipfel erklärt der Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Rühe MdB:
Deutschland und Frankreich sollten sich für die baldige Umwandlung des SFOR-Einsatzes in Bosnien in eine europäisch geführte Operation einsetzen und damit auf eine faire transatlantische Lastenteilung hinwirken. Dafür sprechen sich anlässlich des heute in Straßburg stattfindenden deutsch-französischen Gipfels der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Rühe, sowie der stellvertretende Vorsitzende der UDF und Abgeordnete der französischen Nationalversammlung, Francois Léotard, in einem Beitrag für die heutige Ausgabe der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sowie von "Le Figaro" aus. Darüber hinaus sollte nach Ansicht der beiden früheren Verteidigungsminister dem türkischen Wunsch nach Einbeziehung in die Entscheidungsverfahren der ESVP Rechnung getragen werden.
Der Beitrag im Wortlaut:
"Zu den Themen, die für die neue amerikanische Administration weit oben auf der Agenda stehen, zählt der Beschluss der Europäischen Union, bis 2003 eine 60.000 Mann starke europäische Eingreiftruppe zu schaffen. Seit der Konkretisierung dieses Vorhabens im Jahresverlauf 1999 sieht Washington bei aller prinzipiellen Befürwortung vor allem drei Gefahren: die Entkopplung der Europäer von ihren in Jahrzehnten bewährten Partnern jenseits des Atlantiks, die Duplizierung von in der NATO bereits vorhandenen Fähigkeiten durch parallele europäische Strukturen sowie die Ausgrenzung europäischer NATO-Mitgliedsstaaten, die - wie die Türkei und Norwegen - nicht gleichzeitig auch EU-Mitglieder sind. Vor allem aber fragt man sich in den USA, wie die ambitionierten Vorhaben der Europäer mit ihren schrumpfenden Verteidigungsbudgets in Einklang zu bringen sind.
Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) liegt in der Logik des von Anbeginn politisch motivierten europäischen Integrationsprozesses. In den letzten beiden Jahrzehnten hat die Europäische Union dafür wichtige Vorarbeit geleistet: die Schaffung der deutsch-französischen Brigade, des deutsch-polnisch-dänischen Korps und des Eurokorps sowie die Entwicklung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik insgesamt. Ebenso wie die Vorarbeiten sollten wir auch das Hauptwerk in enger Abstimmung mit den Partnern in der Allianz gestalten.
Die EU muss durch den Aufbau von Krisenreaktionskräften zu einem relevanteren und gleichwertigeren Partner der USA werden. Dies setzt voraus, dass die europäische Eingreiftruppe zu einer fairen transatlantischen Lastenteilung und damit zur Stärkung der Allianz insgesamt beiträgt, wobei die amerikanische Präsenz in Europa auch in Zukunft unentbehrlich bleibt. Ebenso ist sicherzustellen, dass die EU in einer Krise nur dann tätig wird, wenn die NATO als ganzes sich nicht engagieren möchte.
Ferner ist die enge Verzahnung EU-NATO durch ein "permanent arrangement" festzuschreiben. Dazu gehört die Institutionalisierung regelmäßiger Konsultationen, der geregelte Rückgriff der EU auf Planungskapazitäten und Kommandostrukturen der NATO genauso wie die Harmonisierung der Streitkräfteplanungen beider Akteure. Durch die Bereitstellung von Polizeieinheiten und technischem Personal wird die Europäische Union auch Fähigkeiten komplementär zur NATO entwickeln.
Der Abschluss einer solchen Vereinbarung scheiterte bislang am Widerstand Ankaras. Als ehemalige WEU-assoziierte Staaten erleiden Länder wie die Türkei und Norwegen durch die de facto-Absorbierung der WEU seitens der EU einen Statusverlust. Die EU sollte dem türkischen Wunsch nach Einbeziehung in die Entscheidungsverfahren der ESVP entsprechen und der Türkei einen Status als "assoziiertes Mitglied" verleihen. Die Mehrzahl potentieller ESVP-Einsatzszenarien befindet sich ohnehin in geographischer Nähe zur Türkei, was eine Inanspruchnahme türkischer Nachschubwege wahrscheinlich macht. Wir tun gut daran, der jahrzehntelangen Bewährung der Türkei in der Allianz Rechnung zu tragen.
Der Erfolg des ganzen Vorhabens hängt wesentlich von der Bereitschaft der Staaten ab, die entsprechenden Mittel, insbesondere bei strategischem Transport, Kommunikation, Aufklärung und moderner Bewaffnung, aufzubringen. Der Beschluss der deutschen Regierung zur Beschaffung von 75 A 400 M-Transportflugzeugen ist bislang nicht finanziell abgesichert. Ebenso wenig ist die Finanzierung des im Juni 2000 beschlossenen deutsch-französisch-italienischen Aufklärungssatelliten gesichert.
Gleichzeitig bleibt das große verteidigungspolitische und rüstungstechnische Synergiepotential unter den Europäern bislang ungenutzt: Eine Reihe von EU-Mitgliedsstaaten könnte etwa die Zusammenlegung der U-Bootflotten erwägen. Die kürzlich vollzogene Schaffung eines europäischen Rüstungskonzerns EADS, ebenso wie der Zusammenschluss von Alcatel-SEL-Thomson-Racal, eröffnet neue Möglichkeiten substantieller Kosteneinsparung - allerdings unter der Voraussetzung, dass das nationale Beschaffungswesen durch europäische Ausschreibungsverfahren einer europäischen Rüstungsagentur ersetzt wird.
Eine echte Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik erfordert, dass die Europäer im Rahmen einer gemeinsamen Streitkräfteplanung künftig ihre Verteidigungshaushalte darauf abstimmen, welche Finanzmittel zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben und zur Entwicklung gemeinsamer Fähigkeiten benötigt werden und welche nationalen Beiträge dafür zu leisten sind. Dazu zählt eine überzeugende Antwort auf die weltweit zu beobachtende zunehmende Proliferation von Massenvernichtungswaffen. Das Angebot der neuen amerikanischen Administration, eine gemeinsame Rakentenabwehr zu errichten, sollte von den Europäern konstruktiv aufgenommen und durch eigene Initiativen ergänzt werden.
Schließlich müssen wir die Öffentlichkeit auf diesem Weg mitnehmen. Für welche Einsatzszenarien sind die Krisenreaktionskräfte vorgesehen? Auf welcher Grundlage und unter welchen Voraussetzungen sollen sie eingesetzt werden. Gibt es ein Recht auf "humanitäre Intervention"? Und wenn ja, auch eine Pflicht? Sobald die Eingreiftruppe nach 2003 vollständig einsetzbar ist, wird die Europäische Union gut beraten sein, mit einem ebenso überschaubaren wie erfolgversprechendem Einsatz ein frühes Signal - nicht zuletzt an Washington - zu senden. Die Europäer sollten deshalb von sich aus die Umwandlung des ca. 20.000-Mann starken SFOR-Einsatzes in Bosnien und Herzegowina in eine europäisch geführte Operation anstoßen. Damit würden sie die eigene Bereitschaft zu sinnvoller transatlantischer Lastenteilung glaubwürdig untermauern."
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