CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Merz: Globalisierung - Gewinner und
Verlierer
Berlin (ots)
Auf der 52. Bundestagung des Bundes Katholischer Unternehmer "Soziale Marktwirtschaft - Modell für die Globalisierung?" vom 19. - 21. Oktober 2001 in Berlin hat der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundes-tagsfraktion, Friedrich Merz MdB, heute folgenden Vortrag gehalten:
Sperrfrist: Es gilt das gesprochene Wort.
Vor gut einem Monat hätten viele auf die Frage nach den Gewinnern und Verlierern der Globalisierung noch etwas vereinfacht gesagt: Gewinner sind reiche Industrieländer, Verlierer sind arme Entwicklungsländer.
Aber der brutale, menschenverachtende Terrorismusanschlag in den Vereinigten Staaten hat gezeigt: Es gibt auch eine andere Perspektive, Verlierer sind auch die westlichen Staaten.
Staaten, die auf dem "Prinzip Freiheit" in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft beruhen, sind verletzbar. Sie leben von dem grundsätzlichen Vertrauen in das freiheitliche, friedliche Miteinander und die Integrität von Menschen und Institutionen. Der terroristische Anschlag galt deswegen den Grundlagen zivilisierten Zusammenlebens. Er galt zugleich den hochindustrialisierten westlichen Gesellschaften. Die selbe Technik weltweiter Kommunikations- und Massenverkehrsmittel, die zur Globalisierung führt, wurde auch von den Terroristen genutzt.
Gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Freiheit beruht auf Sicherheit. Sicherheit ist zentraler Bestandteil von Frieden, und ohne Frieden kann Freiheit nicht gelebt werden. Freiheit darf deswegen nicht, wie man in mancher öffentlichen Diskussion hören kann, gegeneinander ausgespielt werden. Es geht um die richtige Balance zwischen Sicherheitsbedürfnissen und den Spielregeln einer freiheitlichen Gesellschaft.
Viele diskutieren zur Zeit über den Zusammenprall der Kulturen, den "clash of civilisations", wie es der amerikanische Präsidentenberater Samuel Huntington genannt hat. Ich möchte betonen, dass die Vereinigten Staaten keinen Kulturkampf ausgerufen haben, sondern in Übereinstimmung mit Artikel 51 der UN-Charta ihr Recht auf Selbstverteidigung ausüben. Der Kampf gilt nicht denen, die an Allah glauben, sondern denen, die im Namen Allahs terroristische Mordtaten verüben.
Deswegen liegt auch der antiamerikanische Protest selbsternannter Friedensgruppen falsch. Nicht die USA, sondern Bin Laden mit seiner Terrorgruppe ruft mit jedem neuen Video zum Kampf der Kulturen, der Religionen auf.
Ein solcher terroristischer Fundamentalismus lebt von radikaler Vereinfachung, von einfachen Zuordnungen von Gut und Böse, von Identifizierung von Freund und Feind. Er negiert Freiheit und die Pluralität der Lebensweisen und Glaubensvorstellungen.
Uns allen muss es jetzt um eine gemeinsame, auch wehrhafte Auseinandersetzung mit dem weltweit agierenden Terrorismus und Fundamentalismus gehen. Innere und äußere Sicherheit gehören zusammen. Frieden ist und bleibt die Grundlage für alle Kulturen.
Nicht der Kampf, sondern der Dialog der Kulturen ist das Gebot für die nächsten Jahre. Es geht um die Verständigung auf die zivilisierten Normen des Zusammenlebens in der Welt. Dazu gehört allerdings auch die Forderung, dass sich auch die islamischen Gläubigen und Rechtsgelehrten um die fundamentalistischen Strömungen der eigenen Glaubensrichtung kümmern müssen.
Mehr als mit Raketen und Flugzeugen wird es im Kampf gegen weltweiten Terrorismus wie Fundamentalismus auf Willen, Ausdauer und vor allem auf die geistige Auseinandersetzung ankommen. Da sollten wir gewappnet sein.
Wir müssen wieder lernen, dass Freiheit nicht die Summe persönlicher Bequemlichkeiten ist, sondern eine Ordnung gemeinsamer Verantwortung, die nur von unserem persönlichen Einsatz (bis hin zum Einsatz des eigenen Lebens) getragen wird und durch die Auseinandersetzung um die richtige geistige Orientierung stark bleibt.
Die Vereinigten Staaten haben - und das verdient Achtung und Respekt - ein weltweites Bündnis ganz unterschiedlicher Staaten gegen den fundamentalistischen Terrorismus geschmiedet. Wir in Deutschland stehen nach wie vor fest an der Seite der Vereinigten Staaten. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich ohne wenn und aber zu der "uneingeschränkten Solidarität" bekannt. Mit der Einladung des amerikanischen Botschafters in unsere Fraktionssitzung in dieser Woche haben wir das noch einmal nachdrücklich bestätigt.
Wir werden für einen erfolgreichen Kampf gegen die terroristische Bedrohung auch künftig auf dieses Bündnis setzen müssen. Das wird militärische Unterstützung mit einschließen. Darauf haben wir uns einzustellen.
Aber das wird nicht ausreichen. Wir müssen auch dafür sorgen, dass aus dem Bündnis gegen Terrorismus ein Bündnis für Freiheit und Demokratie wird. Denn langfristig gesehen bieten nicht Militärdiktaturen, Feudalmonarchien oder von religiösen Führern geleitete Gottesstaaten, sondern nur die auf Freiheit und Recht gegründete Demokratie die Gewähr, dass religiöser Fanatismus und terroristischer Fundamentalismus der Boden entzogen wird.
Deswegen müssen wir nachdrücklich Achtung und Geltung von Menschenrechten weltweit unterstützen. Zwar hat es in den letzten Jahrzehnten eine "demokratische Weltrevolution" (so der Jurist Martin Kriele) gegeben. Immer mehr Staaten bekennen sich zur Demokratie als freiheitliche politische Ordnung.
Doch nach wie vor existieren weltweit schwerste Menschenrechtsverletzungen, nach wie vor werden vielen, besonders Frauen und Kindern, elementare Menschenrechte vorenthalten, wird weltweit gefoltert und gemordet.
Die Verwirklichung von Menschenrechten bleibt deswegen eine vorrangige Aufgabe. Notwendig ist ein weltweites Grundverständnis für die elementare Bedeutung der Menschenrechte. Vielleicht ist in den letzten Wochen mit dem Kampf gegen Fundamentalismus und Terrorismus auch die Sensibilität für die weltweite Verwirklichung von Menschenrechten und einer freiheitlichen, gerechten Weltordnung ein Stück weit gewachsen.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts scheint unsere Welt immer kleiner zu werden. Geld, Waren und Dienstleistungen zirkulieren in hohem Tempo ebenso um die Erde wie Menschen oder Gedanken. Die Globalisierung ist zu einer unumstößlichen Tatsache geworden. Sie darf weder dämonisiert noch glorifiziert werden. Es geht ganz nüchtern darum, die erhebliche Chancen, die die Globalisierung nicht nur uns, sondern vielen Menschen auf der Erde bietet, zu nutzen.
Gerade für unser Land mit einer traditionell exportorientierten Wirtschaft ergeben sich viele neue Marktzugänge und ökonomische Entwicklungsmöglichkeiten. Ich meine damit nicht nur die Großunternehmen, sondern vor allem auch den Mittelstand. Dazu gehört allerdings, dass wir in unserem Land dem Mittelstand nicht andauernd mit Steuern, Bürokratie und Regulierung neue Hürden in den Weg stellen.
Die wirtschaftliche Entwicklung in der Welt und die wachsend internationale Arbeitsteilung setzen einen verbesserten Ordnungsrahmen für Unternehmen und Staaten voraus. Herr Tietmeyer hat vorhin das Nötige dazu gesagt.
Lassen Sie mich aber unterstreichen, dass auch ich eine Internationale Soziale Marktwirtschaft als das Grundmodell für eine globale Struktur- und Ordnungspolitik ansehe, auch wenn diese unter ganz anderen Rahmenbedingungen entwickelt werden muss als nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die Globalisierung bietet auch für Schwellenländer wie für die unterentwickelten Staaten vielfältige Möglichkeiten zur Steigerung des Lebensstandards. Diese Chancen können vor allem dann genutzt werden, wenn ähnliche Startbedingungen vorhanden sind. Globalisierung trägt zur besseren Entwicklung bei, aber nicht alle können bei diesem Spiel richtig mitmachen.
Es mehren sich die Anzeichen, dass gerade Entwicklungsländer große Schwierigkeiten bei der Bewältigung der aus der Globalisierung resultierenden Probleme haben. Hohe Schuldenstände, geringe materielle und immaterielle Ressourcen, Rechtsunsicherheiten und gering entwickelte Wirtschaftstrukturen führen dazu, dass manche Länder nur teilweise oder gar nicht am weltweiten Wirtschaftswachstum teilhaben können.
Die wirtschaftliche Globalisierung legt deshalb der deutschen und europäischen Politik die entsprechende Verantwortung auf, an Problemlösungen für die schwächeren und unterentwickelten Länder mitzuwirken. Die Achtung von Menschenrechten, Beteiligung und die subsidiäre Hilfe zur Selbsthilfe sind dabei entscheidende Kriterien.
Zu einer gerechten Wirtschaftsordnung gehört auch die breite Öffnung der Europäischen Union für Güter aus Entwicklungsländern, vor allem für Agrarprodukte. Gegenüber Protektionismus treten wir zu Recht für eine Liberalisierung des Welthandels ein. Aber wir müssen uns auch selbst daran halten. Ich weiß, wie schwer das ist, schließlich komme ich selbst aus einer ländlichen Region.
Aber man muss auch die entstandenen Missverhältnisse sehen: Eine Reihe von Entwicklungsländern haben ihre Agrarmärkte geöffnet. In Mexiko ließen billige US-Importe den Maispreis in den Keller rutschen, Hunderttausende Kleinbauern verloren ihren Lebensunterhalt. Auf den Philippinen fiel mit den Schranken auch der Reispreis um ein Drittel mit ähnlichen Folgen.
Man kann nicht von den Entwicklungsländern große Anstrengungen verlangen, um Arbeitsplätze für ländliche Arbeitslose in anderen Wirtschaftsbereichen zu schaffen, und wir selbst schotten unsere Agrarprodukte mit hohen Schutzwällen vom Weltmarktwettbewerb ab - und subventionieren sie darüber hinaus noch in hohem Mass. Hier müssen wir zu mehr Gleichwertigkeit kommen.
Die Globalisierung erfordert nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine politische Ordnung der Welt. Viele reden ja angesichts der Globalisierung vom Bedeutungsverlust der Politik. Aber das Gegenteil ist richtig. Die Globalisierung führt zu einer Revitalisierung des Politischen.
Die Nationalstaaten werden die entscheidenden Einheiten bleiben. Aber ähnlich wie in der Wirtschaft entstehen neue politische Institutionen und Vereinigungen auf supranationaler Ebene. Die Europäische Union ist sicher dabei am weitesten vorangeschritten. Mit den Tausenden von Nichtregierungsorganisationen entstehen weltweite Interessenvertretungen. Die Medien, die von allen Teilen des Globus berichten, schaffen eine Art von Weltöffentlichkeit.
Vor allem gibt es auch den schon von Immanuel Kant in seiner Schrift "Vom ewigen Frieden" beschworenen "Rechtsfortschritt". Denn über 50 Jahre nach den Nürnberger Prozessen ist es der internationalen Staatengemeinschaft 1998 in Rom gelungen, einen Ständigen Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) auf Weltebene zu gründen. 120 Staaten haben dem zugestimmt, und auch wenn der Ratifizierungsprozess in den einzelnen Ländern noch andauert, ist dies ein großer Erfolg in Hinblick auf eine globale Rechtsgemeinschaft. Nach langem Zögern haben jetzt auch die Vereinigten Staaten ihre Zustimmung zum Weltstrafgerichtshof signalisiert.
Eine wichtige Rolle bei der politischen Ordnung des 21. Jahrhunderts wird den Vereinten Nationen zukommen. Mit den Resolutionen 1368 und 1373 des Sicherheitsrates, die an Klarheit nichts zu wünschen übrig lassen, hat sich die Weltgemeinschaft eindeutig zu dem Kampf gegen den Terrorismus bekannt und zu entsprechenden Maßnahmen aufgefordert. Das ist ein wichtiger Beitrag für eine Weltsicherheitsordnung, ohne die eine entstehende Weltbürgergesellschaft kaum denkbar wäre.
Ich begrüße in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Verleihung des diesjährigen Friedensnobelpreises an die Vereinten Nationen und deren Generalsekretär Kofi Annan. In der Begründung des Komitees heißt es, dass der "einzig gangbare Weg zu globalem Frieden und Zusammenarbeit durch die Vereinten Nationen führe". Die Stärkung der Institutionen der Vereinten Nationen und ihrer Unterorganisationen, die vielfältige Arbeit zur Behebung der Weltprobleme leisten, ist deshalb nicht nur nationale, sondern eine weltweite Aufgabe.
Globalisierung ist ein Prozess, der bei allen aktuellen Widersprüchen politischen und wirtschaftlichen Fortschritt bringt. Sie führt auf längere Sicht zu mehr Wohlstand für die Staaten und Völker. Die Globalisierung macht uns aber zugleich die Bandbreite der Problembereiche in der Welt bewusst. Globalisierung heißt deswegen auch, mehr weltweite Verantwortung zu entwickeln.
Zudem muss uns auch klar sein, dass wir äußere Sicherheit auf Dauer nur dann bekommen werden, wenn wir uns neben den wirtschaftlichen auch um die kulturellen und sozialen Verhältnisse in den unterschiedlichen Regionen unseres Globus kümmern.
Lassen Sie mich aus der Vielzahl der globalen Probleme 5 Problembereiche herausgreifen, die unsere weltweite Verantwortung besonders herausfordern: Klimaentwicklung, Ernährung, Migration, Bildung und demografische Entwicklung.
Der erste Punkt betrifft die drohende Klimakatastrophe
Globalisierung bedeutet auch die Wahrung der globalen Gemeinschaftsgüter. Viele Studien haben inzwischen gezeigt: Umweltschäden machen vor nationalen Grenzen nicht halt, sie können nur im weltweiten Rahmen bekämpft werden.
Wir brauchen über das Wirtschaftliche hinaus auch eine ökologische Globalisierung. Das gilt vor allem für die Entwicklung unseres Weltklimas. Das Ansteigen der CO/2-Konzentration lässt uns eine globale Instabilität befürchten.
Das Abkommen von Rio und das Kyoto-Protokoll sind wichtige politische Schritte in Hinblick auf eine globale Klimapolitik gewesen. Der auf der Bonner Klimakonferenz im Juli dieses Jahres gefundene Kompromiss bewegte sich allerdings auf kleinstem Nenner. Es wird darauf ankommen, ob es politisch gelingt, mehr Staaten als bisher zum Beitritt zu bewegen. Dieses wäre auch ein wichtiges Signal für den "Weltgipfel über Nachhaltigkeit" im September nächsten Jahres in Südafrika.
Bei uns in Deutschland haben viele 'Agenda21-Gruppen' zur ökologischen Bewusstseinsbildung vor allem in den Kommunen beigetragen und viele konkrete Umweltschutzprojekte angeregt. Sie sind übrigens ein gutes Beispiel dafür, dass Staat und Bürgergesellschaft keine Gegensätze sind, sondern Hand in Hand arbeiten. Man sieht daran auch ganz anschaulich, dass Globalisierung und der regionale wie lokale Bezug zusammen gehören.
Ein zweiter Punkt betrifft die Ernährungsfrage.
Am Anfang des neuen Jahrhunderts ist Armut weiterhin ein drängendes globales Problem. Von den 6 Milliarden Menschen leben fast die Hälfte (2,8 Mrd.) von weniger als 2 US-$ am Tag, rund 1,2 Milliarden von weniger als 1 US-$. Acht von 100 Kleinkindern erleben ihren 5. Geburtstag nicht. Ein Zehntel der Jungen und ein Siebtel der Mädchen erhalten überhaupt keine Schulbildung. Gerade die Ärmsten der Armen sind Krankheiten, brutalen Bürgerkriegen, Gewalt, Naturkatastrophen und auch weltwirtschaftlichen Krisen besonders ausgeliefert. Das Gefühl von Entbehrung und Ungerechtigkeit ist für viele hautnah.
Vor wenigen Tagen wurde angesichts des Welternährungstag der UN bekannt, dass weltweit 815 Millionen Menschen chronisch unterernährt sind. Weite Teile von Afrika, Südamerika und Asien sind davon betroffen. Das darf uns nicht ruhen lassen.
In diesem Zusammenhang gilt mein ausdrücklicher Dank den kirchlichen Hilfsorganisationen Misereor und Adveniat, die den Hunger in der Welt durch viele Projekte bekämpfen.
Adveniat begeht in diesen Tagen das 40. Jahr ihrer Gründung. Mit über 200.000 Projekten weltweit hat Adveniat für viele Arme ein Zeichen der Hoffnung gesetzt. Solidarische Hilfe, Teilen und Begegnung - mit allen drei wurde eine Brücke zwischen Industrie- und Entwicklungsländer geschlagen. Adveniat bedarf auch weiterhin unserer aller Unterstützung.
Als Drittes möchte ich das Weltflüchtlingsproblem nennen.
Das 20. Jahrhundert wurde als das "Jahr der Flüchtlinge" bezeichnet. Neben Missernten, Umweltkatastrophen und Diktaturen waren es vor allem Kriege und Arbeitslosigkeit, die Vertreibung und Fluchtbewegungen auslösten. So ist nach wie vor auch am Beginn dieses Jahrhunderts. Außerstaatlich wie innerstaatlich sind rund 300 Millionen Menschen auf der Flucht, ohne festen Wohnsitz und Heimat, vielfach ohne Schutz und Unterstützung.
Wir dürfen nicht verkennen, dass auch das globale und regionale Entwicklungs- und Wohlstandsgefälle eine Sogwirkung besitzt. Mit einem "globalen Marsch" von Arbeitsmigranten ist aber niemandem gedient. Unsere Anstrengungen müssen deshalb - auch im wohlverstandenen Eigeninteresse - darauf gerichtet sein, das internationale Wohlstandsgefälle durch verstärkte Hilfe zur Sicherung eines eigenen Lebensstandards abzubauen.
Denn eine Welt mit einem großen Wohlstandsgraben wird eine instabile, unsicherere Welt bleiben. Heimat zu schaffen, know how erwerben und in soziale Grunddienste zu investieren - das sind, wie Erfahrungen belegen, drei elementare Voraussetzungen für wirtschaftliches Wachstum in sich entwickelnden Ländern.
Viertens geht es um die Frage der Bildung.
Bildung und Ausbildung sind elementar nicht nur für die persönliche Entfaltung, sondern vor allem auch für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Existenzsicherung. Um so erfreulicher finde ich, dass vielseitige Anstrengungen hinsichtlich Alphabetisierung, Grundbildung und Ausbildung weltweit einen regional zwar ungleich verteilten, aber insgesamt doch großen Entwicklungsschub bewirkt haben.
Aber zugleich müssen wir sehen, dass sich ein neuer Graben auftut, die "digitale Kluft". In den führenden Industrienationen sind die Weichen für das Informations- und Wissenszeitalter gestellt. Die modernen, weltweit eingesetzten Kommunikationsmittel tragen erheblich zum ökonomischen Wachstum bei. In Deutschland sind wir dabei, Jung und Alt mit dem Computer und dem Internet vertraut zu machen. Ende des nächsten Jahres werden wir alle Schulen in Deutschland vernetzt haben.
Ganz anders sieht es in den Entwicklungsländern aus. Um ein Beispiel zu nennen: Wenn wir einmal Südafrika ausnehmen, existieren in ganz Afrika so viele Internet-Anschlüsse wie allein in New York. Die künftige wirtschaftliche Entwicklung wird auf den neuen Technologien basieren. Soll sie nicht gänzlich an vielen Entwicklungsländern vorbeigehen, dann sind auch hier globale Anstrengungen zum Anschluss der Entwicklungsländer an die weltweite Informations-gesellschaft notwendig.
Lassen Sie mich einen letzten Punkt nennen, die Überalterung Wie fast alle westlichen Industrieländer sind auch wir eine alternde Gesellschaft.
Nur langsam dringen die erheblichen Folgen des demografischen Wandels in unser Bewusstsein - hinsichtlich der Arbeitswelt, der sozialen Sicherungssysteme, der Generationengerechtigkeit.
Aber noch viel weniger machen wir uns klar, dass die Überalterung auch im globalen Rahmen ein immer größer werdendes Problem darstellt. Auch die Weltbevölkerung wird immer älter. Das hat gravierende Folgen gerade für die Staaten, die kein umfassendes soziales Sicherungssystem wie in den westlichen Ländern besitzen und bei denen die ältere Generation auf den Unterhalt einer größeren Kinderzahl elementar angewiesen ist.
1999 hat die Weltbevölkerung die 6-Milliarden-Marke überschritten. Jedes Jahr kommen 80 Millionen hinzu. Das entspricht einer Wachstumsrate von 1,3 %. Das heißt: gegenüber der bisherigen Entwicklung nehmen die Wachstumsraten der Weltbevölkerung ab.
Zwar werden noch jedes Jahr 135 Millionen Kinder geboren - gegenüber 55 Millionen Älterer, die sterben. Noch wächst die Weltbevölkerung, wenn auch verlangsamt, weiter, vor allem in den wenig entwickelten Ländern von Asien, Afrika und Lateinamerika. 97 % des Wachstums der Weltbevölkerung findet in Entwicklungsländern statt. 60 % des Zuwachses davon in nur 10 Ländern, die zudem besonders unter der Knappheit der Ressourcen leiden.
Aber neben diesem nach wie vor gravierenden Problem der Überbevölkerung entwickelt sich ein zweites Problem: das der Überalterung.
Inzwischen haben wir es mit einem Sinken der Weltreproduktionsrate zu tun. Bekamen Frauen früher im Durchschnitt sechs Kinder, so sind es heute nur noch drei. Der Trend geht zu immer weniger Kindern. Gleichzeitig ist die Lebenserwartung nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO aufgrund medizinischer Erfolge deutlich angestiegen.
Nun ist das Abnehmen der Weltbevölkerung gerade in Hinsicht auf die Bekämpfung von Hunger und Armut ausdrücklich zu begrüßen. Aber zugleich müssen wir sehen, dass auch viele Länder der Welt das "Altersbeben" (Paul Wallace) erreichen wird. Japan und Italien gehören bereits jetzt zu den Ländern mit den meisten Älteren. Die Entwicklungsländer folgen. 1998 waren weltweit 66 Millionen Menschen älter als 80 Jahre, bis 2050 wird sich diese Zahl auf 370 Millionen versechsfachen. Wenn man die Altersgrenze von 60 Jahre und älter (wie bei uns) zugrunde legt, dann leben heute 600 Millionen ältere Menschen weltweit; bis 2050 werden es rund 2 Milliarden sein.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wird die Zahl der Älteren größer sein als die Zahl Kinder.
Wenn sie sich allein China vorstellen, das mit einem Anteil von 22 % das bevölkerungsreichste Land der Welt ist. China hat sich aus Ernährungsgründen eine rigide Bevölkerungspolitik verordnet. Aber gerade das wird in wenigen Jahrzehnten zu einer starken Überalterung führen. In 20 Jahren gehört China zu den am schnellsten alternden Gesellschaften. Wie dies ein Land, das sich gerade mit der Aufnahme in die WTO der Weltwirtschaft geöffnet hat, ökonomisch wie sozial verkraften soll, ist völlig ungeklärt. Kein Wunder, dass Forscher in Bezug auf die alternde Weltbevölkerung von einer "tickenden Zeitbombe" sprechen. Die "globale Alterung der Bevölkerung wird das Leitmotiv des 21. Jahrhunderts sein", so der britische Wirtschaftsexperte Paul Wallace.
Angesichts dieser vielen Probleme im Weltmaßstab ist es ein Skandal, dass der Haushalt des Bundesministeriums für Entwicklungshilfe von dieser Bundesregierung massiv gekürzt wurde. Von den einmal vereinbarten 0,7 % des Bruttosozialprodukts sind wir meilenweit entfernt. Auch der Haushalt 2002 sieht eine Minderung um 400 Millionen DM - 5,3% - vor. Zwar ist die Bundesrepublik dem UNO-"Aktionsprogramm 2015" zur weltweiten Halbierung extremer Armut beigetreten. Doch anscheinend nur pro forma, denn im Bundeshaushalt finden sich nicht die notwendigen Mittel dazu.
Ich frage deshalb: Warum bedarf es erst angesichts der Ereignisse des 11. September 2001, damit es zu einem ersten Umdenken innerhalb der Bundesregierung zu kommen scheint?
Das Modell der Sozialen Marktwirtschaft ist das richtige Grundgerüst für ein System internationaler wirtschaftlicher Kooperation und Teilhabe. Für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung ist marktwirtschaftlicher Handel, freier Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital unverzichtbar. Dieses bleibt Grundlage für den "Wohlstand der Nationen", wie es Adam Smith genannt hat.
Aber Marktwirtschaft allein reicht nicht aus. Eine Internationale Soziale Marktwirtschaft wird sich ordnungspolitisch dem Markt und den sozialen Belangen der Menschen zu widmen haben. Freie wirtschaftliche Entwicklung und soziale Sicherung und Teilhabe schließen sich nicht aus.
Gerade Müller-Armack hat immer wieder darauf hingewiesen, dass sich beides ergänzt und nicht etwa ausschließt.
Dies steht im übrigen auch im Einklang mit der katholischen Soziallehre, die von der Personalität des Menschen, seiner Individual- und seiner Sozialnatur ausgeht.
Freiheit und Gerechtigkeit bedingen einander. Ebenso wie Freiheit und Frieden. Ohne Chancengerechtigkeit und Hilfe zum Überleben, auch zu einem menschenwürdigen Leben vor allem für die Länder der dritten und vierten Welt wird sich auf Dauer auch der westliche Wohlstand nicht halten lassen.
Und gerade die katholische Kirche, Papst Paul II wie die verschiedenen amerikanischen Bischofskonferenzen, haben immer wieder in verschiedenen Erklärungen darauf beharrt, dass auch den "Verdammten dieser Erde", wie sie Franz Fanon genannt hat, Menschenwürde und Menschenrechte zustehen.
Die christlichen Kirchen haben deswegen die "vorrangige Option für die Armen" in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen gestellt. Daraus ergibt sich auch die Forderung nach elementaren, sozialen Mindeststandards des Arbeitens und Lebens. Diese können allerdings nicht dieselben sein wie in den westlichen Industriegesellschaften. Das würde für viele Entwicklungsländer zu nicht tragbaren Kosten führen. Aber neben grundsätzlichen Verboten wie zum Beispiel Arbeit durch Sklaverei können sie als Mindestnormen bezogen auf die jeweilige Landessituation wirken.
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat dazu Vorschläge gemacht. Eine Reihe von Grundrechten sind zudem in den beiden großen Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen niedergelegt und von vielen Staaten ratifiziert worden. Sie dürfen nicht nur auf dem Papier stehen.
Eine Internationale Soziale Marktwirtschaft wird darüber hinaus auf die vielfältigen Ansätze einer weltweiten Bürgergesellschaft setzen. Bürger helfen Bürgern - das gilt nicht nur für unsere Gesellschaft. Nicht alles muss im Weltmaßstab durch die Staaten gemacht werden. Subsidiäre Hilfe zur Selbsthilfe sowie die Ausweitung des ehrenamtlichen und freiwilligen Engagements sind auch Bausteine einer entstehenden Weltgesellschaft. Sie sind Ausdruck für eigenständige, freiheitliche Verantwortungsübernahme der Bürger selbst.
Für ein solches eigenständiges und verantwortliches Engagement gibt es inzwischen viele ermutigende Beispiele. Man lernt ja am meisten von dem, was andere vorleben.
Lassen Sie mich hinweisen
- auf den freiwilligen Zusammenschluss "TransFair, mit dem Dritte-Welt-Produkte von Kleinbauern und Kooperativen unterstützt werden,
- oder auf die RUGMARK-Initiative (siehe Fraktionsantrag der CDU/CSU), die sich gegen illegale Kinderarbeit vor allem in der Teppichproduktion in Entwicklungsländern einsetzt,
- oder auf die Wirtschaftsinitiative "e-mission55" zur Unterstützung des Kyoto-Protokolls; immerhin 140 Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 400 Milliarden DM bemühen sich auf freiwilliger Basis um Energieeinsparung und Reduzierung des CO/2-Austoßes.
- Ein anderes Beispiel sind die rund 10 000 Entwicklungshilfe-Einsätze von Älteren im Rahmen des Senior-Experten-Services (SES) der deutschen Wirtschaft seit ihrer Gründung vor 19 Jahren.
- Man könnte hier auch die wachsende Zahl von Ökofonds oder ethisch orientierten Investmentfonds nennen, die Anreize zu nachhaltigem wirtschaftlichem Handeln geben.
- Ich will hier auch besonders auf die vielen Beispiele ehrenamtlichen Engagements von Persönlichkeiten hinweisen, die aus ihrem Glauben und Selbstverständnis heraus als katholische Unternehmer in vielen Entwicklungsländern Hilfen bereitstellen.
- Ich erinnere stellvertretend an die Hilfe-zur-Selbsthilfe-Projekte der "Erbacher-Stiftung" und der "Hans-Lindner-Stiftung". Erwähnen möchte ich auch die wichtige entwicklungspolitische Arbeit des "Afrika-Fonds-Selbständigkeit" (AFOS), das als Gemeinschafts-werk von Kolping und dem Bund Katholischer Unternehmer getragen wird.
Lassen Sie mich all denen, die sich in vielfältiger und oft ganz stiller Weise für Arme und Bedürftige in dieser Welt so selbstverständlich einsetzen, ein ganz besonders herzliches Wort des Dankes sagen.
Alle diese Beispiele zeigen: Wir sind nicht hilflos, jeder kann etwas tun. Viele Menschen können Motoren der Entwicklung sein. Auf diese Weise bilden sich globale Netzwerke solidarischer Hilfe. Solche Hilfe zur Selbsthilfe ebnet den Weg für eine gerechtere Weltwirt-schaftsordnung und fördert ein entsprechendes Weltwirtschaftsethos. Die Globalisierung erfordert auch ein globales Ethos. Aber dieses kann nur von den Menschen selbst gelebt werden.
Ich bin davon überzeugt, dass gerade die katholische Kirche mit dem Verständnis vom Menschen und der Soziallehre einen wichtigen Beitrag für weltweite Zivilisierungsprozesse im Rahmen der Globalisierung leisten kann.
Die katholische Kirche ist eine Weltkirche, und als Weltkirche hat sie eine lange Tradition als Lerngemeinschaft über Kontinente hinweg. In einer zusammenwachsenden Welt geht es um den Lernprozess des Zusammenlebens in einer pluralen Welt mit Menschen unterschiedlichen Glaubens. Papst Paul II hat immer wieder eindringlich die Notwendigkeit einer umfassenden Ökumene und den Dialog der Religionen hingewiesen. Weltfrieden ergibt sich auch durch Religionsfrieden.
Ein Beitrag dazu kann auch der kirchliche Religionsunterricht in den Schulen leisten. Deswegen setzen wir uns als Fraktion auch besonders für den Religionsunterricht an den Schulen ein. Ein neutralistisches Unterrichtsfach "Lebenskunde-Ethik-Religion reicht nicht aus. Wir bejahen auch den muslimischen Religionsunterricht. Aber, das möchte ich ganz klar sagen, dies hat nur Sinn, wenn dabei die Treue zur Verfassung vorgegeben ist.
Es war der 20. Juli 1969, als der amerikanische Astronaut Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betrat. Damit begann ein neuer Abschnitt in der Menschheitsgeschichte.
Es war nicht nur der erste Schritt der Menschheit in den Weltraum. Es war zugleich auch der Blick von außen zurück auf die Erde. Das Bild des weißblauen Planeten mitten im Kosmos hat sich in unser Gedächtnis eingeprägt. Es macht uns unmissverständlich klar: Wir leben alle in der "einen Welt", es ist unser gemeinsames Zuhause. Für diese "eine Welt" tragen wir gemeinsam Verantwortung.
Unsere Anstrengungen müssen deshalb darauf gerichtet sein, eine Welt der Freiheit, des Friedens und der Gerechtigkeit zu schaffen. Unser Handeln muss von der Perspektive einer wirtschaftsfreundlichen, umwelt- und sozialverträglichen demokratischen Weltordnung geleitet sein.
Das heißt auch: Wir wollen alles tun für eine Welt, in der es immer weniger Verlierer und immer mehr Gewinner gibt.
Vielleicht können wir dann mit den Worten von Neil Armstrong eines Tages sagen: Die Globalisierung als Weg zur weltweiten Verantwortungsgemeinschaft, das sind viele kleine einzelne Schritte, aber insgesamt "ein großer Schritt für die ganze Menschheit".
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