CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Merz: Die transatlantische Partnerschaft
nach dem 11. September 2001
Berlin (ots)
Anlässlich seines Besuches in Washington hält der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Friedrich Merz MdB, heute vor der Konrad-Adenauer-Stiftung folgende Rede: Es gilt das gesprochene Wort!
I. Es ist jetzt knapp drei Monate her, dass bei den menschenverachtenden Terroranschlägen in New York und Washington mehr als fünftausend unschuldige Menschen, darunter etliche Deutsche, ihr Leben verloren haben.
Dieser Tag, der 11. September 2001, und das Bild der zusammenstürzenden Türme des World Trade Centers werden sich als ein "decisive moment in history" in das kollektive Gedächtnis der Amerikaner einprägen. In dieses Gedächtnis wird sich zugleich einprägen, wie die anderen Völker und Staaten in dieser Extremsituation reagiert haben.
Der 11. September 2001 hat jedoch nicht nur Amerika verändert, er hat unser aller Wirklichkeit verändert. Denn das Attentat der Mörder richtet sich nicht nur gegen die USA. Es richtet sich gegen uns alle. Wir in Europa sind uns bewusst: Es hätte genauso gut Paris oder London oder Berlin treffen können. Im Kern handelt es sich nicht um einen Angriff auf ein Territorium oder auf eine Nation. Es handelt sich vielmehr um einen Angriff auf die offene Gesellschaft - und damit auf die Demokratie und die Freiheit, denn sie werden von der offenen Gesellschaft garantiert. Der Angriff zielt also letztlich auf unsere gemeinsamen Werte - auf das, was unser Leben so lebenswert macht.
Gerade weil wir diese Werte nicht aufgeben wollen, wird unsere Lebensweise und werden unsere Gesellschaften verletzlich bleiben. Aber zugleich ziehen wir aus ihr die Stärke, uns zu verteidigen und am Ende die Herausforderung zu meistern. Es liegt allein an uns, den Feinden der Freiheit gemeinsam die richtige Antwort zu geben.
Die Vereinigten Staaten von Amerika haben sehr besonnen reagiert. Sie haben sich bereits am darauffolgenden Tag der Unterstützung der NATO-Partner versichert; und sie haben eine noch nie da gewesene Allianz gegen den internationalen Terrorismus geschaffen. Die USA handeln zugleich sehr entschlossen und mit großer Energie und Führungskraft.
All dies stärkt das Vertrauen in Deutschland. Für diese Politik haben die USA unsere uneingeschränkte Solidarität verdient. Der deutsche Bundeskanzler hat dies wiederholt zum Ausdruck gebracht und die Unionsparteien haben ihn dabei unterstützt. Wenn jemand in der jetzigen Bewährungsprobe Verlässlichkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik beweist, dann ist das in der Tat in erster Linie die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die aus der Opposition heraus die jetzt notwendigen Schritte im Kampf gegen den internationalen Terrorismus unterstützt. Die rot-grüne Koalition indessen ist nur knapp einem Scheitern an dieser Frage entgangen.
Die Verknüpfung der Zustimmung zum Bundeswehreinsatz im Rahmen der Anti-Terror-Allianz mit der Vertrauensfrage war ein machtpolitischer Rettungsversuch des Bundeskanzlers angesichts der schwindenden Zustimmung zu seiner Politik der "uneingeschränkten Solidarität" innerhalb der Koalitionsfraktionen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion konnte dem Bundeskanzler und damit einer aus unserer Sicht in elementaren Fragen, vor allem in der Wirtschaftspolitik, gescheiterten Bundesregierung nicht das Vertrauen aussprechen; wohl aber hat sie in einem eigenen Initiativantrag unterstrichen, dass die Union hinter dem Einsatz der Bundeswehr und damit hinter unseren Soldaten steht.
SPD und Grüne hingegen haben deutlich gemacht, dass sie in der Sache nicht zu einer eindeutigen und einmütigen Haltung fähig sind, sondern dem Kanzler allein aus Gründen des Machterhalts das Vertrauen ausgesprochen haben. Dies ist keine tragfähige Basis für die dringend erforderliche außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit einer Bundesregierung.
Wir werden darauf achten, dass die Zusage der Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika auch in den kommenden Monaten hält. Denn nun geht es auch für Deutschland darum, mutig die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Der Bundeswehr-Einsatz im Rahmen von "Enduring Freedom" hat inzwischen begonnen; bisher noch in vergleichsweise kleinem Maßstab. Aber bei allen Erfolgsmeldungen, die uns in den letzten Tagen aus Afghanistan erreichen, muss uns bewusst sein, dass der Kampf gegen den Terrorismus noch lange nicht beendet ist. Es könnten noch schwierige und gefährliche Aufgaben vor uns liegen.
Wir Deutsche haben in 50 Jahren im NATO-Bündnis Solidarität erfahren. Noch länger haben die Vereinigten Staaten auch für unsere Freiheit gekämpft. Freiheit und Frieden Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg zu verteidigen und die Einheit unseres Vaterlandes wiederzugewinnen, dies wäre ohne die USA nicht möglich gewesen. Die Partei von Konrad Adenauer und Helmut Kohl erinnert sich sehr gut an das große Vertrauen, das die USA Deutschland entgegenbrachten, als wir 1989/90 die Chance zur Einheit erhielten und ergriffen.
All dies ist Anlass genug, in dieser schwierigen Zeit treu an der Seite der USA zu stehen. Der sichere Freund bewährt sich in unsicherer Zeit.
Aber es geht nicht nur darum, zumindest einen Teil der Solidarität zurückzugeben, die wir Deutschen in den vergangenen 50 Jahren erhalten haben. Es ist auch in unserem ureigensten Interesse, gemeinsam gegen den internationalen Terrorismus vorzugehen. Es geht um die Freiheit und Sicherheit von uns allen. Wir betrachten die feste und dauerhafte Allianz mit den USA als eine Grundkonstante deutscher Politik, weil dies unseren eigenen Überzeugungen entspricht und zum unbezahlbaren Nutzen unser beider Völker ist.
Die Zukunft dieser Allianz, insbesondere die Vitalität des Nordatlantischen Bündnisses wird in diesen Monaten geformt. Zum ersten Mal in der Geschichte der NATO ist der Bündnisfall eingetreten. Dies ist eine historische Entscheidung. Es ist die erste Bewährungsprobe der neuen NATO, die mit dem strategischen Konzept vom April 1999 bereits begonnen hatte, sich auf die neuen Herausforderungen einzustellen.
Die wenigsten aber haben sich vorgestellt, dass die erste Bündnishilfe nach Artikel 5 des NATO-Vertrages von Amerika und nicht von den europäischen Alliierten erbeten wurde. Diese Erfahrung ist für beide Seiten neu und wird ihre weitreichenden Auswirkungen haben.
Von Deutschland ist, wie von allen anderen Bündnispartnern auch, nicht nur politische Unterstützung gefordert. Bei allem, was politisch, wirtschaftlich, diplomatisch und juristisch getan werden kann und muss, um den Terrorismus zu bekämpfen: Militärische Operationen sind nicht vermeidbar. Militäraktionen, in die inzwischen zurecht auch die Bundeswehr eingebunden ist.
Die westliche Welt, insbesondere die NATO, ist nicht nur eine Werte- und Schicksalsgemeinschaft, sondern auch eine Risikogemeinschaft. Deutschland kann und will sich dem gemeinsamen Risiko der Militäreinsätze nicht entziehen. Auch in diesem Zusammenhang stelle ich für die CDU/CSU-Fraktion noch einmal fest: Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass die Bundeswehr entsprechend ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten die von unseren Partnern erbetene Hilfe im Kampf gegen den Terrorismus leistet. Das gilt ohne wenn und aber.
Die Schatten der jüngeren Geschichte sind in Deutschland länger und dunkler als bei anderen Völkern. Lange Zeit sollte und wollte das zweigeteilte Deutschland nicht in das grelle Licht der vollen internationalen Verantwortung treten. Auch heute können und wollen wir unsere Geschichte nicht ablegen. Aber wir wissen: Unsere Freunde und Partner erwarten, dass wir unserer Verantwortung wieder in vollem Umfang gerecht werden.
Den weiten Weg dahin hat Deutschland seit 1990 Schritt für Schritt zurückgelegt. Die Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl und Verteidigungsminister Volker Rühe, die diesen Prozess einleitete und über die meiste Zeit gestaltete, war sich über das Ziel immer im Klaren. Mit dem
11. September 2001 ist die Zeit des Übergangs nun endgültig vorbei. Deutschland erkennt seine Verpflichtungen und Aufgaben ohne Vorbehalt an.
Natürlich bewegen in diesen Wochen auch Sorgen und Ängste viele Menschen in Deutschland. Mir ist mir deshalb wichtig festzustellen: Die militärische Schläge haben nicht Vergeltung zum Ziel, sondern Prävention. Jeder Einsatz gegen die Terroristen, gegen ihre Infrastruktur und das Umfeld, das ihre Taten erst möglich macht, ist Teil einer Strategie der Prävention für Frieden, Freiheit, für das Recht auf Schutz und Sicherheit auch unserer Bürger.
Lassen Sie mich auch klar sagen: Es geht es nicht um eine Auseinandersetzung von Kulturen oder Religionen. Die Attentate von New York und Washington sind von Vertretern fast aller Staaten und aller Regionen verurteilt worden, ganz unabhängig von kulturellen und religiösen Bindungen der jeweiligen Bevölkerung oder Bevölkerungsmehrheit. Dass die Denkweisen von Usama bin Laden und seinen Gefolgsleuten in der Tiefe möglicherweise etwas mit Spannungen und Konflikten innerhalb der islamischen Kultur zu tun haben, ist ein anderes Kapitel der Geschichte.
Auch in Deutschland leben viele Muslime, mehr als 3 Millionen. Wir alle brauchen deswegen den Dialog der Kulturen und Religionen nicht nur zwischen den Völkern, sondern auch innerhalb der Völker. Ich bin beeindruckt von den Worten und Zeichen, mit denen Präsident Bush sich für die amerikanische Nation gegen Feindbilder und Vorurteile ausgesprochen hat. Alle Religionen stehen in der Pflicht, mitzuwirken an einer internationalen Ethik des Friedens und des friedlichen Miteinander.
Diese Grundüberzeugung muss auch das Leitbild der in der vergangen Woche in Bonn begonnen Afghanistan-Konferenz sein. Diese Zusammenkunft muss ein Erfolg werden, damit in Afghanistan nach Jahrzehnten von Hass und Krieg endlich Versöhnung und Frieden, Demokratie und Menschenrechte Einzug halten. Die Weltgemeinschaft muss all ihre Möglichkeiten ausschöpfen, dieses Ziel zu erreichen.
II.
Wir wissen heute nicht, wie lange der Kampf gegen die uns bedrohenden terroristischen Strukturen dauern wird. Wir wissen auch nicht, wie die Welt am Ende dieses Kampfes aussehen wird. Aber sicher ist, dass wir enorme Ausdauer brauchen werden und dass wir sofort anfangen müssen, die Konsequenzen aus der sichtbar gewordenen neuen Bedrohungslage zu ziehen. Lassen Sie mich dabei auf einige wenige Punkte hinweisen.
Die neuen Herausforderungen werden die USA zu einer gewissen veränderten Prioritätensetzung zwingen. Wir sind an einem dauerhaften und kräftigen Engagement der Amerikaner in Europa weiterhin sehr interessiert. Zugleich ist klar, dass die Europäer größere Anteile bei der Friedensicherung und Stabilisierung ihres eigenen Kontinentes, vor allem des Balkans übernehmen müssen. Dieser Prozess in Richtung eines für beide Seiten akzeptablen "burden sharing" hat bereits begonnen, ist aber sicher noch nicht ausreichend fortgeschritten.
Mir ist allerdings wichtig, darauf hinzuweisen, dass das Engagement der Europäer gerade auf dem Balkan und in Mittelosteuropa weit mehr als nur militärische Maßnahmen umfasst. Insbesondere die EU-Erweiterung ist eine überragende Stabilitätsleistung für ganz Osteuropa; im übrigen ist sie auch eine langfristig angelegte Strategie zur politischen und ökonomischen Stabilität des ganzen Europäischen Kontinents. Ich bitte deswegen, bei allen berechtigten Fragen der USA, in der europäischen Bilanz immer die vollständige Seite der Aktiva zu betrachten.
Die neuen Herausforderungen zwingen die Europäer dazu, nicht nur die Bereitschaft, sondern auch die Fähigkeiten zur Übernahme größerer internationaler Verantwortung zu entwickeln. Die Schaffung und Implementierung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ESVP seit 1999, unter dem Dach der EU, ist ein wesentlicher Schritt dazu.
Ich meine, dass die USA in diesem Zusammenhang wirklich keine Sorge vor zu großer Eigenständigkeit der Europäer haben müssen. Mehr Verständnis hätte ich für die Frage, ob denn den großen Worten von Helsinki über eine leistungsfähige "Schnelle Eingreiftruppe" auch die entsprechenden Taten folgen werden. Hier ist noch lange nicht alles Gold, was glänzt. Oder, wie man vielleicht in Texas sagen würde: "big hat - no cattle".
Ich kann in diesem Zusammenhang leider auch Deutschland nicht ganz freisprechen. Aber ich möchte Ihnen versichern: Die CDU/CSU sieht sehr genau gewisse Differenzen zwischen dem, was Deutschland will, dem, was Deutschland zumindest soll und dem, was es tatsächlich kann. Und wir werden das ändern, sobald wir wieder Regierungsverantwortung tragen.
Andererseits sollten die USA nicht unterschätzen, welchen erheblichen Einschnitt in die traditionellen Souveränitätsvorstellungen der europäischen Nationalstaaten die neue ESVP bedeutet. Sie wird zwar ihre vollen Wirkungen erst mittelfristig entfalten. Aber sobald einmal ihre Strukturen implementiert sind, wird die ESVP einen nicht zu unterschätzendem politischen Automatismus auslösen, um die geplanten Instrumente auch tatsächlich funktionstüchtig zu machen.
Wenn die EVSP einen Beitrag zur transatlantischen Lastenteilung leisten soll, müssen aus Sicht der CDU folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- eine enge Verzahnung von EU und NATO vor allem im Hinblick auf die Streitkräfteplanungen,
- die Schaffung einer einsatzfähigen europäischen Eingreiftruppe von 60.000 Mann bis 2003,
- die Klärung der Einsatzszenarien für die Eingreiftruppe. Die amerikanische Pläne einer Raketenabwehr (NMD) haben vor dem 11. September erheblich Furore gemacht. Es wurden diverse Bedrohungsszenarien einerseits, Wirkungsszenarien andererseits diskutiert. Die nun wiederholt zu hörende Meinung, nach den Terrorangriffen sei ein Abwehrkonzept gegen Angriffe mit ballistischen Raketen obsolet geworden, erscheint mir nicht hinreichend begründet.
Allein der theoretische Blick zum Beispiel auf ein Pakistan unter anderen politischen Vorzeichen zeigt, dass weiterhin Fragen an unsere Sicherheit im Bereich ballistischer Bedrohungen gestellt sind. Jedenfalls lehrt uns der 11. September, dass wir unsere Sicherheit 10 Jahre nach dem Ende des kalten Krieges eben nicht mehr allein auf eine Abschreckung im Sinne der Bereitschaft zu gegenseitiger Vernichtung aufbauen können.
Und - wenn Sie mir eine Bemerkung erlauben - so ist es zumindest in Deutschland interessant zu beobachten, dass diejenigen Kräfte, die in den 80er Jahren die damalige Nukleardoktrin der NATO auf das heftigste bekämpft haben, heute in einer von Grund auf veränderten Weltlage zu späten Befürwortern eben jener Sicherheitskonzeption werden.
Aus europäischer und deutscher Sicht ist vor allem wünschenswert, dass die andere Seite im atlantischen Bündnis in die amerikanischen Überlegungen einbezogen wird. Europa ist aufgefordert, seine eigenen Bedürfnisse hinsichtlich einer gemeinsamen ballistischen Sicherheit zu definieren und dann ggf. auch seinen Beitrag zum gemeinsamen Ziel zu leisten. Die Terroranschläge haben uns ins Gedächtnis gerufen, dass es zwar zwei geographische Ränder des Atlantiks gibt, wir aber in Wirklichkeit alle auf der gleichen politischen Seite stehen. Aus Sicht der CDU müssen Europa und die USA eine gemeinsame "globale Agenda" im Hinblick auf gemeinsam anzugehende Herausforderungen entwickeln. Wir wünschen uns, dass die NATO als militärischer Pfeiler der transatlantischen Beziehungen um zivil ausgerichtete Mechanismen der Zusammenarbeit ergänzt werden. Die CDU stellt sich dabei eine "Atlantische Charta" vor, mit der die Kooperation zwischen Europa und Amerika institutionalisiert wird.
Auf wessen dauerhafter Seite Russland in Zukunft stehen wird, ist noch ungewiss. Aber unübersehbar ist, dass sich bei all den internationalen Herausforderungen nach dem 11. September auch eine große, in dieser Dimension unerwartete Chance eröffnet hat. Ich verweise nur auf die Äußerungen von Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, mit der sie die Politik von Präsident Putin als historische Wende in den Ost-West-Beziehungen bezeichnet hat.
Das Ausmaß, in dem Russland bereit ist, seine klassische Interpretation von Einflusssphären in ein kooperatives Verständnis zu wandeln, ist in der Tat beachtlich. Man denke nur an die Qualität der ganz konkreten Hilfestellung in der Region nördlich Afghanistans. Dieser Kurs Putins ist auch innenpolitisch keineswegs ohne Risiko.
Die Antwort des Westens kann nur in dem Angebot einer noch stärkeren Einbindung in die europäischen und transatlantischen Entscheidungsstrukturen bestehen.
Ich bin fern davon, mir Illusionen über die Schwierigkeiten zu machen, die auf Russlands Weg zu einer Macht mit weitgehendem europäischen Selbstverständnis liegen. Dauer und Ergebnis dieser Entwicklung liegen noch im Ungewissen. Schon deswegen ist es nicht sinnvoll, jetzt in Diskussionen über russische Mitgliedschaften in EU oder NATO einzutreten.
Eine stärkere Kooperation sollte auch nicht dazu führen, daß wir es in Zukunft unterlassen, Russland darauf hinzuweisen, wo es den Weg zu Europas Wesenskern verlässt, etwa in Tschetschenien oder bei der Unterstützung für das Lukaschenka-Regime in Weißrussland. Ich glaube, es nutzt beiden Seiten, wenn über gewisse politische Grundsätze kein Missverständnis entsteht.
Aber wir sollten uns nicht später vorwerfen lassen müssen, dass wir in den Trümmern des World Trade Center aus Sorge und Furcht die historischen Chancen übersehen haben, die uns diese Katastrophe auch bot.
III.
Der 11. September 2001 hat auch in der Wirtschaft, in der wirtschaftlichen Entwicklung unserer Länder, ja in der gesamten Weltwirtschaft sichtbare Spuren hinterlassen und den Grad an Unsicherheit über die weitere Entwicklung erheblich erhöht, auch wenn es richtig ist, das bereits zuvor die Abschwächung des Wachstums deutlich wurde.
Die Prognosen für die weitere konjunkturelle Entwicklung wie auch für das Wachstums des Welthandels in diesem wie auch im nächsten Jahr wurden deutlich nach unten korrigiert.
Der Internationale Währungsfonds hat in diesen Tagen seine Wachstumsprognosen für die Weltwirtschaft gegenüber dem Frühjahr um einen halben Prozentpunkt verringert, für die USA um 0,2%-Punkte auf 1,3% in diesem Jahr und 2,2% im nächsten Jahr.
Die Erholung der Weltwirtschaft wird sich zweifelsohne verzögern. Noch stärker als für die USA fällt die Revision der Daten für die Eurozone aus mit 1,8% bzw. 2,2%.
Besonders pessimistisch zeigt sich der Fonds im Hinblick auf die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland.
Während er noch im Mai ein Wachstum von 1,9% bzw. 2,6% für das laufende und das nächste Jahr prognostizierte, liegen die entsprechenden Werte jetzt bei 0,8% bzw. 1,8%. Neuere Prognosen deutschen Ökonomen liegen sogar bei nur 0,6% für 2001 und 0,7% für 2002.
Ganz offenbar ist gerade die deutsche Volkswirtschaft besonders anfällig gegenüber Störungen von außen.
Der 11. September 2001 und seine Folgen haben also zum einen sehr deutlich gemacht, wie anfällig, wie verwundbar unsere hochentwickelten Volkswirtschaften sind, hier in den USA, aber mindestens ebenso sehr in Deutschland und Europa.
Diese Ereignisse haben zum anderen deutlich werden lassen, wie wichtig es ist, dass in einer zusammenwachsenden Welt die einzelnen Staaten auch und gerade in der Wirtschafts- und Finanzpolitik ihre Verantwortung zu Hause wahrnehmen müssen.
Es liegt auf der Hand, dass man aus einer Situation eines ausgeglichenen öffentlichen Budgets oder gar eines Haushaltsüberschusses erheblich mehr politische Spielräume besitzt, um konjunkturelle Schwankungen zu glätten und um das Vertrauen von Investoren und Verbrauchern zu stärken, so etwa durch die von der Bush-Administration beschlossenen Steuererleichterungen und durch das zusätzliche Programm in Höhe von 40 Mrd. US$.
Vielen europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, sind hier in erheblich stärkerem Maße die Hände gebunden durch ein nach wie vor zu hohes Defizit in den öffentlichen Haushalten.
Die Überwindung der Deutschen Teilung ist noch immer als Belastung in den öffentlichen Hauhalten in meinem Lande zu spüren.
Sparen allein, die Beschränkung der Ausgaben allein wäre jedoch nur ein Kurieren an Symptomen und würde auch die Wahrnehmung wichtiger Aufgaben, so etwa im Bereich der Verteidigung, gefährden.
Den notwendigen finanziellen Spielraum kann man letztlich nur gewinnen durch entschlossene und zukunftsweisende Reformen.
Was mein Land angeht, so möchte mich ausdrücklich den Empfehlungen des IWF anschließen, dass nur strukturelle Reformen in den Bereichen Arbeitsmarkt, Gesundheit und Rente dazu beitragen können, um eine weitere Abschwächung zu verhindern, die Wachstumsaussichten deutlich und auch nachhaltig zu verbessern, die Anfälligkeit der deutschen Volkswirtschaft für externe Schocks zu vermindern und um finanziellen Spielraum für die öffentlichen Haushalte zu gewinnen.
Die Union hat in der Regierungsverantwortung bereits wichtige Reformschritte in der Rentenpolitik, im Bereich des Arbeitsmarktes eingeleitet. Leider wurden diese Reformschritte zum allergrößten Teil von der neuen Regierung wieder rückgängig gemacht.
Als größte Oppositionspartei im deutschen Bundestag haben wir uns nichtsdestotrotz ganz entschieden für weitere Reformen eingesetzt und auch Vorschläge für eine Deregulierung des deutschen Arbeitsmarktes unterbreitet.
IV.
Die Verantwortung der einzelnen Staaten beschränkt sich selbstverständlich keineswegs nur auf den eigenen nationalen Bereich.
Um die weltwirtschaftliche Entwicklung krisenfester zu machen, um dem Terror und seinen Betreibern den materiellen aber auch ideologischen Boden zu entziehen, müssen die Staaten dieser Welt in vielen Feldern der Wirtschafts- und Finanzpolitik und anderen Bereichen noch enger zusammenarbeiten.
Ich begrüße sehr die erklärte Bereitschaft der Staatengemeinschaft, der G-7-Staaten und auch der Europäischen Union, zu verstärkten Anstrengungen zur Bekämpfung der Geldwäsche, zur Verbesserung der Wirksamkeit von Kontrollen auf den Finanzmärkten.
Die erfolgreiche Bekämpfung der Geldwäsche braucht eine möglichst lückenlose internationale Zusammenarbeit. Sie muss Steueroasen und Offshore-Finanzzentren in die Kontrolle und Überwachung mit einbeziehen können.
Gerade die Arbeit der zuständigen OECD-Einrichtung, der "Financial Task Force on Money Laundering", benötigt aus diesem Grund dringend frische politische Impulse, ein klares Signal der politischen Unterstützung für ihre Arbeit.
Auch in den USA, auch innerhalb der Bush-Administration, wird wohl im Lichte der jüngsten Ereignisse die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit im Rahmen solcher Gremien wie dem FATF einer neuen, veränderten Bewertung unterzogen.
Eine Neubewertung, aus der deutlich wird, dass das Ziel einer völligen Wahrung nationaler politischer Souveränität in diesen Fragen, das Ziel der Verhinderung einer etwaigen Bevormundung durch internationale Gremien auch zu Lasten einer wirksamen internationalen Zusammenarbeit gehen kann und im Endergebnis nicht in jedem Fall auch wirklich im eigenen nationalen Interesse liegt.
In Deutschland wiederum leidet die Bekämpfung der Geldwäsche nach Einschätzung vieler Experten ganz offenbar mehr an einem Vollzugsdefizit als an einem Mangel an gesetzlichen Regelungen.
Die Ermittlungsbehörden müssen besser mit Personal und Sachmitteln ausgestattet werden, das auf verschiedene Behörden verstreute know-how muss in speziellen task forces zusammengefasst werden können.
Um dem Terror und seinen Akteuren auch den ideologischen Boden zu entziehen, liegt es vor allem in der Verantwortung der westlichen Staatengemeinschaft, die weitere Ausdehnung einer marktwirtschaftlichen Ordnung, die Durchsetzung des Freihandels, zum Vorteil aller Staaten auszugestalten und damit jenen den Boden zu entziehen, die uns vorwerfen, die Ausbreitung des Kapitalismus diene einseitig den Interessen der Länder der westlichen Hemisphäre.
Folgt man den Experten in diesen Fragen, so ist auch der Islam als große Weltreligion in seinen geistigen Wurzeln durchaus markt- und wirtschaftsfreundlich, so dass von daher zumindest im Grundsätzlichen eine Bereitschaft zur Integration in die internationale Arbeitsteilung erwartet werden kann.
In den zurückliegenden Jahrzehnten jedoch haben neben Japan vor allem die Staaten Nordamerikas und Europas der Weltwirtschaft ihren Stempel aufgedrückt.
Die Vereinigten Staaten von Amerika und die Europäische Union als die beiden größten Volkswirtschaften bzw. Wirtschaftsregionen der Welt tragen deshalb eine besondere Verantwortung.
Sie produzieren zusammen weit mehr als die Hälfte des globalen Bruttosozialprodukts und stehen für 37% des Welthandels in Gütern und 45% des Welthandels in Dienstleistungen.
Doch nicht nur das: Beide sind füreinander die größten Handelspartner sowie die größten Investoren.
Täglich fließen Waren- und Kapitalströme im Wert von über einer Milliarde US-$ hin und her.
Der Aufbau regionaler Wirtschaftsverbünde wie der Europäischen Union und der Nordamerikanischen Freihandelszone sind wichtige Schritte zur Stärkung und Sicherung von Wachstum und Wohlstand.
Mit der Übereinkunft von Quebec im Frühjahr diesen Jahres, bis zum Jahre 2005 eine Freihandelszone von Alaska bis Feuerland einzurichten, wurde zweifellos ein weiterer wichtiger Impuls für die Durchsetzung des Freihandelsprinzips auf regionaler Ebene gegeben.
Richtungsweisend ist an dieser Initiative vor allem der politische Wille, den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und politischer Freiheit herauszustellen, deutlich zu machen, dass nur demokratisch verfasste und regierte Staaten vollständig in die internationale Arbeitsteilung integriert werden können.
Diese Initiative auf dieser Seite des Atlantiks und auf der anderen Seite die weitere Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union sind wichtige, aber beileibe noch nicht ausreichende Schritte, denn eine Regionalisierung der Handelspolitik bietet keine ausreichende Gewähr dafür, dass die Liberalisierung des Handels auch auf überregionaler Ebene vorankommt und damit Freihandel allen zugute kommt.
Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten können mit einer Verständigung über die Eckpunkte einer Agenda für die WTO-Konferenz in Quatar im November wesentlich dazu beitragen, dass die Blockade von Seattle aufgelöst wird.
Klare und verlässliche Regeln für Wettbewerb, Investitionen und Umwelt, für den Handel mit Dienstleistungen sind aus unserer Sicht, aus Sicht der Europäer unbedingt erforderlich, um den Freihandel und die internationale Arbeitsteilung voranzubringen.
Auch die Entwicklungsländer müssen sich bei einem Blick auf die Tagesordnung mit ihren Interessen berücksichtigt finden.
Andererseits dürfen wir die Agenda auch nicht überfrachten, dürfen nicht zu viele Themen aufgenommen werden.
Eine Tagesordnung von mehreren hundert Seiten mit 200 Anmerkungen in Klammern, wie wir sie in Seattle auf den Tischen hatten, überfordern jeden.
Stellen Sie sich vor, wohin es führt, wenn 142 Minister über zehn Themen jeweils auch nur fünf Minuten reden.
Trotz dieser Schwierigkeiten, die richtigen Themen für diese Konferenz festzulegen, glaube ich, dass gerade aufgrund der jüngsten Ereignisse die Chancen für greifbare Ergebnisse besser geworden sind.
Die Schwäche der Weltwirtschaft hat auf beiden Seiten des Atlantiks das Bewusstsein geschärft für die Notwendigkeit von Fortschritten in diesen wichtigen Fragen.
Das Zustandekommen so wichtiger internationaler Vereinbarungen wie die nächste Welthandelskonferenz oder wie das Abkommen zum Schutz des Weltklimas und der Erdatmosphäre sind auch unverzichtbare Bausteine zur Schaffung einer zivilisierten Welt, die auf der Basis allgemein akzeptierter Regeln für die Menschen an allen Orten dieser einen Welt eine sichere und lebenswerte Heimstatt schaffen.
V.
Es gehört zu den weltweit gültigen Lehren des 11. Novembers, dass die Chancen auf eine bessere Zukunft nicht einer Politik der Abschottung, des Unilateralismus und der Beschränkung auf sich selbst liegen.
Die Kritik an der sogenannten Globalisierung wird heftiger. Sie tritt den Institutionen und Mächten, die man dafür verantwortlich hält, mit größerer Unerbittlichkeit entgegentritt. Und dies nicht erst seit den Terrorattacken. Umso wichtiger ist die Erkenntnis:
Ohne Austausch von Ideen und Gütern, ohne freien Handel, ohne politische Kooperation und kulturellen Dialog werden die Krisenherde dieser Welt nicht sicherer, sondern unsicherer.
Die Spannungen, die aus Unfreiheit und Gewalt, Armut und Flüchtlingsbewegungen, Minderwertigkeitsgefühlen und Hoffnungslosigkeit entstehen, wird niemand mit irgendeinem Weg des Rückwärts mindern können. Allen bleibt nur der Blick nach vorne. Für uns, die Befürworter der Werte der westlichen Zivilisation tritt die berechtigte Hoffnung hinzu, dass diese Zivilisation in der Lage sein wird, auch für andere Regionen Chancen des Wohlstands, des Friedens und der Stabilität zu eröffnen.
Daran mitzuwirken ist eine der vornehmsten Aufgaben in den nächsten Jahren für die Partner diesseits und jenseits des Atlantiks.
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