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CDU/CSU - Bundestagsfraktion

CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Merz: Die transatlantische Partnerschaft nach dem 11. September 2001

Berlin (ots)

Anlässlich seines Besuches in Washington hält der
Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Friedrich Merz MdB, heute
vor der Konrad-Adenauer-Stiftung folgende Rede:
   Es gilt das gesprochene Wort!
I.
   Es ist jetzt knapp drei Monate her, dass bei den
menschenverachtenden Terroranschlägen in New York und Washington mehr
als fünftausend unschuldige Menschen, darunter etliche Deutsche, ihr
Leben verloren haben.
Dieser Tag, der 11. September 2001, und das Bild der
zusammenstürzenden Türme des World Trade Centers werden sich als ein
"decisive moment in history" in das kollektive Gedächtnis der
Amerikaner einprägen. In dieses Gedächtnis wird sich zugleich
einprägen, wie die anderen Völker und Staaten in dieser
Extremsituation reagiert haben.
Der 11. September 2001 hat jedoch nicht nur Amerika verändert, er
hat unser aller Wirklichkeit verändert. Denn das Attentat der Mörder
richtet sich nicht nur gegen die USA. Es richtet sich gegen uns alle.
   Wir in Europa sind uns bewusst: Es hätte genauso gut Paris oder
London oder Berlin treffen können. Im Kern handelt es sich nicht um
einen Angriff auf ein Territorium oder auf eine Nation. Es handelt
sich vielmehr um einen Angriff auf die offene Gesellschaft - und
damit auf die Demokratie und die Freiheit, denn sie werden von der
offenen Gesellschaft garantiert. Der Angriff zielt also letztlich auf
unsere gemeinsamen Werte - auf das, was unser Leben so lebenswert
macht.
Gerade weil wir diese Werte nicht aufgeben wollen, wird unsere
Lebensweise und werden unsere Gesellschaften verletzlich bleiben.
Aber zugleich ziehen wir aus ihr die Stärke, uns zu verteidigen und
am Ende die Herausforderung zu meistern. Es liegt allein an uns, den
Feinden der Freiheit gemeinsam die richtige Antwort zu geben.
Die Vereinigten Staaten von Amerika haben sehr besonnen reagiert.
Sie haben sich bereits am darauffolgenden Tag der Unterstützung der
NATO-Partner versichert; und sie haben eine noch nie da gewesene
Allianz gegen den internationalen Terrorismus geschaffen. Die USA
handeln zugleich sehr entschlossen und mit großer Energie und
Führungskraft.
All dies stärkt das Vertrauen in Deutschland. Für diese Politik
haben die USA unsere uneingeschränkte Solidarität verdient. Der
deutsche Bundeskanzler hat dies wiederholt zum Ausdruck gebracht und
die Unionsparteien haben ihn dabei unterstützt. Wenn jemand in der
jetzigen Bewährungsprobe Verlässlichkeit in der Außen- und
Sicherheitspolitik beweist, dann ist das in der Tat in erster Linie
die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die aus der Opposition heraus die
jetzt notwendigen Schritte im Kampf gegen den internationalen
Terrorismus unterstützt. Die rot-grüne Koalition indessen ist nur
knapp einem Scheitern an dieser Frage entgangen.
Die Verknüpfung der Zustimmung zum Bundeswehreinsatz im Rahmen der
Anti-Terror-Allianz mit der Vertrauensfrage war ein machtpolitischer
Rettungsversuch des Bundeskanzlers angesichts der schwindenden
Zustimmung zu seiner Politik der "uneingeschränkten Solidarität"
innerhalb der Koalitionsfraktionen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
konnte dem Bundeskanzler und damit einer aus unserer Sicht in
elementaren Fragen, vor allem in der Wirtschaftspolitik,
gescheiterten Bundesregierung nicht das Vertrauen aussprechen; wohl
aber hat sie in einem eigenen Initiativantrag unterstrichen, dass die
Union hinter dem Einsatz der Bundeswehr und damit hinter unseren
Soldaten steht.
SPD und Grüne hingegen haben deutlich gemacht, dass sie in der
Sache nicht zu einer eindeutigen und einmütigen Haltung fähig sind,
sondern dem Kanzler allein aus Gründen des Machterhalts das Vertrauen
ausgesprochen haben. Dies ist keine tragfähige Basis für die dringend
erforderliche außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit
einer Bundesregierung.
Wir werden darauf achten, dass die Zusage der Solidarität mit den
Vereinigten Staaten von Amerika auch in den kommenden Monaten hält.
Denn nun geht es auch für Deutschland darum, mutig die notwendigen
Konsequenzen zu ziehen. Der Bundeswehr-Einsatz im Rahmen von
"Enduring Freedom" hat inzwischen begonnen; bisher noch in
vergleichsweise kleinem Maßstab. Aber bei allen Erfolgsmeldungen, die
uns in den letzten Tagen aus Afghanistan erreichen, muss uns bewusst
sein, dass der Kampf gegen den Terrorismus noch lange nicht beendet
ist. Es könnten noch schwierige und gefährliche Aufgaben vor uns
liegen.
Wir Deutsche haben in 50 Jahren im NATO-Bündnis Solidarität
erfahren. Noch länger haben die Vereinigten Staaten auch für unsere
Freiheit gekämpft. Freiheit und Frieden Deutschlands nach dem Zweiten
Weltkrieg zu verteidigen und die Einheit unseres Vaterlandes
wiederzugewinnen, dies wäre ohne die USA nicht möglich gewesen. Die
Partei von Konrad Adenauer und Helmut Kohl erinnert sich sehr gut an
das große Vertrauen, das die USA Deutschland entgegenbrachten, als
wir 1989/90 die Chance zur Einheit erhielten und ergriffen.
All dies ist Anlass genug, in dieser schwierigen Zeit treu an der
Seite der USA zu stehen. Der sichere Freund bewährt sich in
unsicherer Zeit.
Aber es geht nicht nur darum, zumindest einen Teil der Solidarität
zurückzugeben, die wir Deutschen in den vergangenen 50 Jahren
erhalten haben. Es ist auch in unserem ureigensten Interesse,
gemeinsam gegen den internationalen Terrorismus vorzugehen. Es geht
um die Freiheit und Sicherheit von uns allen. Wir betrachten die
feste und dauerhafte Allianz mit den USA als eine Grundkonstante
deutscher Politik, weil dies unseren eigenen Überzeugungen entspricht
und zum unbezahlbaren Nutzen unser beider Völker ist.
Die Zukunft dieser Allianz, insbesondere die Vitalität des
Nordatlantischen Bündnisses wird in diesen Monaten geformt. Zum
ersten Mal in der Geschichte der NATO ist der Bündnisfall
eingetreten. Dies ist eine historische Entscheidung. Es ist die erste
Bewährungsprobe der neuen NATO, die mit dem strategischen Konzept vom
April 1999 bereits begonnen hatte, sich auf die neuen
Herausforderungen einzustellen.
Die wenigsten aber haben sich vorgestellt, dass die erste
Bündnishilfe nach Artikel 5 des NATO-Vertrages von Amerika und nicht
von den europäischen Alliierten erbeten wurde. Diese Erfahrung ist
für beide Seiten neu und wird ihre weitreichenden Auswirkungen haben.
Von Deutschland ist, wie von allen anderen Bündnispartnern auch,
nicht nur politische Unterstützung gefordert. Bei allem, was
politisch, wirtschaftlich, diplomatisch und juristisch getan werden
kann und muss, um den Terrorismus zu bekämpfen: Militärische
Operationen sind nicht vermeidbar. Militäraktionen, in die inzwischen
zurecht auch die Bundeswehr eingebunden ist.
Die westliche Welt, insbesondere die NATO, ist nicht nur eine
Werte- und Schicksalsgemeinschaft, sondern auch eine
Risikogemeinschaft. Deutschland kann und will sich dem gemeinsamen
Risiko der Militäreinsätze nicht entziehen. Auch in diesem
Zusammenhang stelle ich für die CDU/CSU-Fraktion noch einmal fest: Es
ist eine Selbstverständlichkeit, dass die Bundeswehr entsprechend
ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten die von unseren Partnern erbetene
Hilfe im Kampf gegen den Terrorismus leistet. Das gilt ohne wenn und
aber.
Die Schatten der jüngeren Geschichte sind in Deutschland länger
und dunkler als bei anderen Völkern. Lange Zeit sollte und wollte das
zweigeteilte Deutschland nicht in das grelle Licht der vollen
internationalen Verantwortung treten. Auch heute können und wollen
wir unsere Geschichte nicht ablegen. Aber wir wissen: Unsere Freunde
und Partner erwarten, dass wir unserer Verantwortung wieder in vollem
Umfang gerecht werden.
Den weiten Weg dahin hat Deutschland seit 1990 Schritt für Schritt
zurückgelegt. Die Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl und
Verteidigungsminister Volker Rühe, die diesen Prozess einleitete und
über die meiste Zeit gestaltete, war sich über das Ziel immer im
Klaren. Mit dem
11. September 2001 ist die Zeit des Übergangs nun endgültig
vorbei. Deutschland erkennt seine Verpflichtungen und Aufgaben ohne
Vorbehalt an.
Natürlich bewegen in diesen Wochen auch Sorgen und Ängste viele
Menschen in Deutschland. Mir ist mir deshalb wichtig festzustellen:
Die militärische Schläge haben nicht Vergeltung zum Ziel, sondern
Prävention. Jeder Einsatz gegen die Terroristen, gegen ihre
Infrastruktur und das Umfeld, das ihre Taten erst möglich macht, ist
Teil einer Strategie der Prävention für Frieden, Freiheit, für das
Recht auf Schutz und Sicherheit auch unserer Bürger.
Lassen Sie mich auch klar sagen: Es geht es nicht um eine
Auseinandersetzung von Kulturen oder Religionen. Die Attentate von
New York und Washington sind von Vertretern fast aller Staaten und
aller Regionen verurteilt worden, ganz unabhängig von kulturellen und
religiösen Bindungen der jeweiligen Bevölkerung oder
Bevölkerungsmehrheit. Dass die Denkweisen von Usama bin Laden und
seinen Gefolgsleuten in der Tiefe möglicherweise etwas mit Spannungen
und Konflikten innerhalb der islamischen Kultur zu tun haben, ist ein
anderes Kapitel der Geschichte.
Auch in Deutschland leben viele Muslime, mehr als 3 Millionen. Wir
alle brauchen deswegen den Dialog der Kulturen und Religionen nicht
nur zwischen den Völkern, sondern auch innerhalb der Völker. Ich bin
beeindruckt von den Worten und Zeichen, mit denen Präsident Bush sich
für die amerikanische Nation gegen Feindbilder und Vorurteile
ausgesprochen hat. Alle Religionen stehen in der Pflicht, mitzuwirken
an einer internationalen Ethik des Friedens und des friedlichen
Miteinander.
Diese Grundüberzeugung muss auch das Leitbild der in der vergangen
Woche in Bonn begonnen Afghanistan-Konferenz sein. Diese
Zusammenkunft muss ein Erfolg werden, damit in Afghanistan nach
Jahrzehnten von Hass und Krieg endlich Versöhnung und Frieden,
Demokratie und Menschenrechte Einzug halten. Die Weltgemeinschaft
muss all ihre Möglichkeiten ausschöpfen, dieses Ziel zu erreichen.
II.
Wir wissen heute nicht, wie lange der Kampf gegen die uns
bedrohenden terroristischen Strukturen dauern wird. Wir wissen auch
nicht, wie die Welt am Ende dieses Kampfes aussehen wird. Aber sicher
ist, dass wir enorme Ausdauer brauchen werden und dass wir sofort
anfangen müssen, die Konsequenzen aus der sichtbar gewordenen neuen
Bedrohungslage zu ziehen. Lassen Sie mich dabei auf einige wenige
Punkte hinweisen.
Die neuen Herausforderungen werden die USA zu einer gewissen
veränderten Prioritätensetzung zwingen. Wir sind an einem dauerhaften
und kräftigen Engagement der Amerikaner in Europa weiterhin sehr
interessiert. Zugleich ist klar, dass die Europäer größere Anteile
bei der Friedensicherung und Stabilisierung ihres eigenen
Kontinentes, vor allem des Balkans übernehmen müssen. Dieser Prozess
in Richtung eines für beide Seiten akzeptablen "burden sharing" hat
bereits begonnen, ist aber sicher noch nicht ausreichend
fortgeschritten.
Mir ist allerdings wichtig, darauf hinzuweisen, dass das
Engagement der Europäer gerade auf dem Balkan und in Mittelosteuropa
weit mehr als nur militärische Maßnahmen umfasst. Insbesondere die
EU-Erweiterung ist eine überragende Stabilitätsleistung für ganz
Osteuropa; im übrigen ist sie auch eine langfristig angelegte
Strategie zur politischen und ökonomischen Stabilität des ganzen
Europäischen Kontinents. Ich bitte deswegen, bei allen berechtigten
Fragen der USA, in der europäischen Bilanz immer die vollständige
Seite der Aktiva zu betrachten.
Die neuen Herausforderungen zwingen die Europäer dazu, nicht nur
die Bereitschaft, sondern auch die Fähigkeiten zur Übernahme größerer
internationaler Verantwortung zu entwickeln. Die Schaffung und
Implementierung der Europäischen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik ESVP seit 1999, unter dem Dach der EU, ist ein
wesentlicher Schritt dazu.
Ich meine, dass die USA in diesem Zusammenhang wirklich keine
Sorge vor zu großer Eigenständigkeit der Europäer haben müssen. Mehr
Verständnis hätte ich für die Frage, ob denn den großen Worten von
Helsinki über eine leistungsfähige "Schnelle Eingreiftruppe" auch die
entsprechenden Taten folgen werden. Hier ist noch lange nicht alles
Gold, was glänzt. Oder, wie man vielleicht in Texas sagen würde: "big
hat - no cattle".
Ich kann in diesem Zusammenhang leider auch Deutschland nicht ganz
freisprechen. Aber ich möchte Ihnen versichern: Die CDU/CSU sieht
sehr genau gewisse Differenzen zwischen dem, was Deutschland will,
dem, was Deutschland zumindest soll und dem, was es tatsächlich kann.
Und wir werden das ändern, sobald wir wieder Regierungsverantwortung
tragen.
Andererseits sollten die USA nicht unterschätzen, welchen
erheblichen Einschnitt in die traditionellen
Souveränitätsvorstellungen der europäischen Nationalstaaten die neue
ESVP bedeutet. Sie wird zwar ihre vollen Wirkungen erst mittelfristig
entfalten. Aber sobald einmal ihre Strukturen implementiert sind,
wird die ESVP einen nicht zu unterschätzendem politischen
Automatismus auslösen, um die geplanten Instrumente auch tatsächlich
funktionstüchtig zu machen.
Wenn die EVSP einen Beitrag zur transatlantischen Lastenteilung
leisten soll, müssen aus Sicht der CDU folgende Voraussetzungen
erfüllt sein:
  • eine enge Verzahnung von EU und NATO vor allem im Hinblick auf die Streitkräfteplanungen,
  • die Schaffung einer einsatzfähigen europäischen Eingreiftruppe von 60.000 Mann bis 2003,
  • die Klärung der Einsatzszenarien für die Eingreiftruppe. Die amerikanische Pläne einer Raketenabwehr (NMD) haben vor dem 11. September erheblich Furore gemacht. Es wurden diverse Bedrohungsszenarien einerseits, Wirkungsszenarien andererseits diskutiert. Die nun wiederholt zu hörende Meinung, nach den Terrorangriffen sei ein Abwehrkonzept gegen Angriffe mit ballistischen Raketen obsolet geworden, erscheint mir nicht hinreichend begründet.
Allein der theoretische Blick zum Beispiel auf ein Pakistan unter
anderen politischen Vorzeichen zeigt, dass weiterhin Fragen an unsere
Sicherheit im Bereich ballistischer Bedrohungen gestellt sind.
Jedenfalls lehrt uns der 11. September, dass wir unsere Sicherheit 10
Jahre nach dem Ende des kalten Krieges eben nicht mehr allein auf
eine Abschreckung im Sinne der Bereitschaft zu gegenseitiger
Vernichtung aufbauen können.
Und - wenn Sie mir eine Bemerkung erlauben - so ist es zumindest
in Deutschland interessant zu beobachten, dass diejenigen Kräfte, die
in den 80er Jahren die damalige Nukleardoktrin der NATO auf das
heftigste bekämpft haben, heute in einer von Grund auf veränderten
Weltlage zu späten Befürwortern eben jener Sicherheitskonzeption
werden.
Aus europäischer und deutscher Sicht ist vor allem wünschenswert,
dass die andere Seite im atlantischen Bündnis in die amerikanischen
Überlegungen einbezogen wird. Europa ist aufgefordert, seine eigenen
Bedürfnisse hinsichtlich einer gemeinsamen ballistischen Sicherheit
zu definieren und dann ggf. auch seinen Beitrag zum gemeinsamen Ziel
zu leisten. Die Terroranschläge haben uns ins Gedächtnis gerufen,
dass es zwar zwei geographische Ränder des Atlantiks gibt, wir aber
in Wirklichkeit alle auf der gleichen politischen Seite stehen.
   Aus Sicht der CDU müssen Europa und die USA eine gemeinsame
"globale Agenda" im Hinblick auf gemeinsam anzugehende
Herausforderungen entwickeln. Wir wünschen uns, dass die NATO als
militärischer Pfeiler der transatlantischen Beziehungen um zivil
ausgerichtete Mechanismen der Zusammenarbeit ergänzt werden. Die CDU
stellt sich dabei eine "Atlantische Charta" vor, mit der die
Kooperation zwischen Europa und Amerika institutionalisiert wird.
Auf wessen dauerhafter Seite Russland in Zukunft stehen wird, ist
noch ungewiss. Aber unübersehbar ist, dass sich bei all den
internationalen Herausforderungen nach dem 11. September auch eine
große, in dieser Dimension unerwartete Chance eröffnet hat. Ich
verweise nur auf die Äußerungen von Sicherheitsberaterin Condoleezza
Rice, mit der sie die Politik von Präsident Putin als historische
Wende in den Ost-West-Beziehungen bezeichnet hat.
Das Ausmaß, in dem Russland bereit ist, seine klassische
Interpretation von Einflusssphären in ein kooperatives Verständnis zu
wandeln, ist in der Tat beachtlich. Man denke nur an die Qualität der
ganz konkreten Hilfestellung in der Region nördlich Afghanistans.
Dieser Kurs Putins ist auch innenpolitisch keineswegs ohne Risiko.
Die Antwort des Westens kann nur in dem Angebot einer noch
stärkeren Einbindung in die europäischen und transatlantischen
Entscheidungsstrukturen bestehen.
Ich bin fern davon, mir Illusionen über die Schwierigkeiten zu
machen, die auf Russlands Weg zu einer Macht mit weitgehendem
europäischen Selbstverständnis liegen. Dauer und Ergebnis dieser
Entwicklung liegen noch im Ungewissen. Schon deswegen ist es nicht
sinnvoll, jetzt in Diskussionen über russische Mitgliedschaften in EU
oder NATO einzutreten.
Eine stärkere Kooperation sollte auch nicht dazu führen, daß wir
es in Zukunft unterlassen, Russland darauf hinzuweisen, wo es den Weg
zu Europas Wesenskern verlässt, etwa in Tschetschenien oder bei der
Unterstützung für das Lukaschenka-Regime in Weißrussland. Ich glaube,
es nutzt beiden Seiten, wenn über gewisse politische Grundsätze kein
Missverständnis entsteht.
Aber wir sollten uns nicht später vorwerfen lassen müssen, dass
wir in den Trümmern des World Trade Center aus Sorge und Furcht die
historischen Chancen übersehen haben, die uns diese Katastrophe auch
bot.
III.
Der 11. September 2001 hat auch in der Wirtschaft, in der
wirtschaftlichen Entwicklung unserer Länder, ja in der gesamten
Weltwirtschaft sichtbare Spuren hinterlassen und den Grad an
Unsicherheit über die weitere Entwicklung erheblich erhöht, auch wenn
es richtig ist, das bereits zuvor die Abschwächung des Wachstums
deutlich wurde.
Die Prognosen für die weitere konjunkturelle Entwicklung wie auch
für das Wachstums des Welthandels in diesem wie auch im nächsten Jahr
wurden deutlich nach unten korrigiert.
Der Internationale Währungsfonds hat in diesen Tagen seine
Wachstumsprognosen für die Weltwirtschaft gegenüber dem Frühjahr um
einen halben Prozentpunkt verringert, für die USA um 0,2%-Punkte auf
1,3% in diesem Jahr und 2,2% im nächsten Jahr.
Die Erholung der Weltwirtschaft wird sich zweifelsohne verzögern.
   Noch stärker als für die USA fällt die Revision der Daten für die
Eurozone aus mit 1,8% bzw. 2,2%.
Besonders pessimistisch zeigt sich der Fonds im Hinblick auf die
konjunkturelle Entwicklung in Deutschland.
Während er noch im Mai ein Wachstum von 1,9% bzw. 2,6% für das
laufende und das nächste Jahr prognostizierte, liegen die
entsprechenden Werte jetzt bei 0,8% bzw. 1,8%. Neuere Prognosen
deutschen Ökonomen liegen sogar bei nur 0,6% für 2001 und 0,7% für
2002.
Ganz offenbar ist gerade die deutsche Volkswirtschaft besonders
anfällig gegenüber Störungen von außen.
Der 11. September 2001 und seine Folgen haben also zum einen sehr
deutlich gemacht, wie anfällig, wie verwundbar unsere
hochentwickelten Volkswirtschaften sind, hier in den USA, aber
mindestens ebenso sehr in Deutschland und Europa.
Diese Ereignisse haben zum anderen deutlich werden lassen, wie
wichtig es ist, dass in einer zusammenwachsenden Welt die einzelnen
Staaten auch und gerade in der Wirtschafts- und Finanzpolitik ihre
Verantwortung zu Hause wahrnehmen müssen.
Es liegt auf der Hand, dass man aus einer Situation eines
ausgeglichenen öffentlichen Budgets oder gar eines
Haushaltsüberschusses erheblich mehr politische Spielräume besitzt,
um konjunkturelle Schwankungen zu glätten und um das Vertrauen von
Investoren und Verbrauchern zu stärken, so etwa durch die von der
Bush-Administration beschlossenen Steuererleichterungen und durch das
zusätzliche Programm in Höhe von 40 Mrd. US$.
Vielen europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, sind hier
in erheblich stärkerem Maße die Hände gebunden durch ein nach wie vor
zu hohes Defizit in den öffentlichen Haushalten.
Die Überwindung der Deutschen Teilung ist noch immer als Belastung
in den öffentlichen Hauhalten in meinem Lande zu spüren.
Sparen allein, die Beschränkung der Ausgaben allein wäre jedoch
nur ein Kurieren an Symptomen und würde auch die Wahrnehmung
wichtiger Aufgaben, so etwa im Bereich der Verteidigung, gefährden.
Den notwendigen finanziellen Spielraum kann man letztlich nur
gewinnen durch entschlossene und zukunftsweisende Reformen.
Was mein Land angeht, so möchte mich ausdrücklich den Empfehlungen
des IWF anschließen, dass nur strukturelle Reformen in den Bereichen
Arbeitsmarkt, Gesundheit und Rente dazu beitragen können, um eine
weitere Abschwächung zu verhindern, die Wachstumsaussichten deutlich
und auch nachhaltig zu verbessern, die Anfälligkeit der deutschen
Volkswirtschaft für externe Schocks zu vermindern und um finanziellen
Spielraum für die öffentlichen Haushalte zu gewinnen.
Die Union hat in der Regierungsverantwortung bereits wichtige
Reformschritte in der Rentenpolitik, im Bereich des Arbeitsmarktes
eingeleitet. Leider wurden diese Reformschritte zum allergrößten Teil
von der neuen Regierung wieder rückgängig gemacht.
Als größte Oppositionspartei im deutschen Bundestag haben wir uns
nichtsdestotrotz ganz entschieden für weitere Reformen eingesetzt und
auch Vorschläge für eine Deregulierung des deutschen Arbeitsmarktes
unterbreitet.
IV.
Die Verantwortung der einzelnen Staaten beschränkt sich
selbstverständlich keineswegs nur auf den eigenen nationalen Bereich.
Um die weltwirtschaftliche Entwicklung krisenfester zu machen, um
dem Terror und seinen Betreibern den materiellen aber auch
ideologischen Boden zu entziehen, müssen die Staaten dieser Welt in
vielen Feldern der Wirtschafts- und Finanzpolitik und anderen
Bereichen noch enger zusammenarbeiten.
Ich begrüße sehr die erklärte Bereitschaft der
Staatengemeinschaft, der G-7-Staaten und auch der Europäischen Union,
zu verstärkten Anstrengungen zur Bekämpfung der Geldwäsche, zur
Verbesserung der Wirksamkeit von Kontrollen auf den Finanzmärkten.
Die erfolgreiche Bekämpfung der Geldwäsche braucht eine möglichst
lückenlose internationale Zusammenarbeit. Sie muss Steueroasen und
Offshore-Finanzzentren in die Kontrolle und Überwachung mit
einbeziehen können.
Gerade die Arbeit der zuständigen OECD-Einrichtung, der "Financial
Task Force on Money Laundering", benötigt aus diesem Grund dringend
frische politische Impulse, ein klares Signal der politischen
Unterstützung für ihre Arbeit.
Auch in den USA, auch innerhalb der Bush-Administration, wird wohl
im Lichte der jüngsten Ereignisse die Bedeutung der internationalen
Zusammenarbeit im Rahmen solcher Gremien wie dem FATF einer neuen,
veränderten Bewertung unterzogen.
Eine Neubewertung, aus der deutlich wird, dass das Ziel einer
völligen Wahrung nationaler politischer Souveränität in diesen
Fragen, das Ziel der Verhinderung einer etwaigen Bevormundung durch
internationale Gremien auch zu Lasten einer wirksamen internationalen
Zusammenarbeit gehen kann und im Endergebnis nicht in jedem Fall auch
wirklich im eigenen nationalen Interesse liegt.
In Deutschland wiederum leidet die Bekämpfung der Geldwäsche nach
Einschätzung vieler Experten ganz offenbar mehr an einem
Vollzugsdefizit als an einem Mangel an gesetzlichen Regelungen.
Die Ermittlungsbehörden müssen besser mit Personal und Sachmitteln
ausgestattet werden, das auf verschiedene Behörden verstreute
know-how muss in speziellen task forces zusammengefasst werden
können.
Um dem Terror und seinen Akteuren auch den ideologischen Boden zu
entziehen, liegt es vor allem in der Verantwortung der westlichen
Staatengemeinschaft, die weitere Ausdehnung einer
marktwirtschaftlichen Ordnung, die Durchsetzung des Freihandels, zum
Vorteil aller Staaten auszugestalten und damit jenen den Boden zu
entziehen, die uns vorwerfen, die Ausbreitung des Kapitalismus diene
einseitig den Interessen der Länder der westlichen Hemisphäre.
Folgt man den Experten in diesen Fragen, so ist auch der Islam als
große Weltreligion in seinen geistigen Wurzeln durchaus markt- und
wirtschaftsfreundlich, so dass von daher zumindest im Grundsätzlichen
eine Bereitschaft zur Integration in die internationale
Arbeitsteilung erwartet werden kann.
In den zurückliegenden Jahrzehnten jedoch haben neben Japan vor
allem die Staaten Nordamerikas und Europas der Weltwirtschaft ihren
Stempel aufgedrückt.
Die Vereinigten Staaten von Amerika und die Europäische Union als
die beiden größten Volkswirtschaften bzw. Wirtschaftsregionen der
Welt tragen deshalb eine besondere Verantwortung.
Sie produzieren zusammen weit mehr als die Hälfte des globalen
Bruttosozialprodukts und stehen für 37% des Welthandels in Gütern und
45% des Welthandels in Dienstleistungen.
Doch nicht nur das: Beide sind füreinander die größten
Handelspartner sowie die größten Investoren.
Täglich fließen Waren- und Kapitalströme im Wert von über einer
Milliarde US-$ hin und her.
Der Aufbau regionaler Wirtschaftsverbünde wie der Europäischen
Union und der Nordamerikanischen Freihandelszone sind wichtige
Schritte zur Stärkung und Sicherung von Wachstum und Wohlstand.
Mit der Übereinkunft von Quebec im Frühjahr diesen Jahres, bis zum
Jahre 2005 eine Freihandelszone von Alaska bis Feuerland
einzurichten, wurde zweifellos ein weiterer wichtiger Impuls für die
Durchsetzung des Freihandelsprinzips auf regionaler Ebene gegeben.
Richtungsweisend ist an dieser Initiative vor allem der politische
Wille, den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und politischer
Freiheit herauszustellen, deutlich zu machen, dass nur demokratisch
verfasste und regierte Staaten vollständig in die internationale
Arbeitsteilung integriert werden können.
Diese Initiative auf dieser Seite des Atlantiks und auf der
anderen Seite die weitere Vertiefung und Erweiterung der Europäischen
Union sind wichtige, aber beileibe noch nicht ausreichende Schritte,
denn eine Regionalisierung der Handelspolitik bietet keine
ausreichende Gewähr dafür, dass die Liberalisierung des Handels auch
auf überregionaler Ebene vorankommt und damit Freihandel allen zugute
kommt.
Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten können mit einer
Verständigung über die Eckpunkte einer Agenda für die WTO-Konferenz
in Quatar im November wesentlich dazu beitragen, dass die Blockade
von Seattle aufgelöst wird.
Klare und verlässliche Regeln für Wettbewerb, Investitionen und
Umwelt, für den Handel mit Dienstleistungen sind aus unserer Sicht,
aus Sicht der Europäer unbedingt erforderlich, um den Freihandel und
die internationale Arbeitsteilung voranzubringen.
Auch die Entwicklungsländer müssen sich bei einem Blick auf die
Tagesordnung mit ihren Interessen berücksichtigt finden.
Andererseits dürfen wir die Agenda auch nicht überfrachten, dürfen
nicht zu viele Themen aufgenommen werden.
Eine Tagesordnung von mehreren hundert Seiten mit 200 Anmerkungen
in Klammern, wie wir sie in Seattle auf den Tischen hatten,
überfordern jeden.
Stellen Sie sich vor, wohin es führt, wenn 142 Minister über zehn
Themen jeweils auch nur fünf Minuten reden.
Trotz dieser Schwierigkeiten, die richtigen Themen für diese
Konferenz festzulegen, glaube ich, dass gerade aufgrund der jüngsten
Ereignisse die Chancen für greifbare Ergebnisse besser geworden sind.
Die Schwäche der Weltwirtschaft hat auf beiden Seiten des
Atlantiks das Bewusstsein geschärft für die Notwendigkeit von
Fortschritten in diesen wichtigen Fragen.
Das Zustandekommen so wichtiger internationaler Vereinbarungen wie
die nächste Welthandelskonferenz oder wie das Abkommen zum Schutz des
Weltklimas und der Erdatmosphäre sind auch unverzichtbare Bausteine
zur Schaffung einer zivilisierten Welt, die auf der Basis allgemein
akzeptierter Regeln für die Menschen an allen Orten dieser einen Welt
eine sichere und lebenswerte Heimstatt schaffen.
V.
Es gehört zu den weltweit gültigen Lehren des 11. Novembers, dass
die Chancen auf eine bessere Zukunft nicht einer Politik der
Abschottung, des Unilateralismus und der Beschränkung auf sich selbst
liegen.
Die Kritik an der sogenannten Globalisierung wird heftiger. Sie
tritt den Institutionen und Mächten, die man dafür verantwortlich
hält, mit größerer Unerbittlichkeit entgegentritt. Und dies nicht
erst seit den Terrorattacken. Umso wichtiger ist die Erkenntnis:
Ohne Austausch von Ideen und Gütern, ohne freien Handel, ohne
politische Kooperation und kulturellen Dialog werden die Krisenherde
dieser Welt nicht sicherer, sondern unsicherer.
Die Spannungen, die aus Unfreiheit und Gewalt, Armut und
Flüchtlingsbewegungen, Minderwertigkeitsgefühlen und
Hoffnungslosigkeit entstehen, wird niemand mit irgendeinem Weg des
Rückwärts mindern können. Allen bleibt nur der Blick nach vorne. Für
uns, die Befürworter der Werte der westlichen Zivilisation tritt die
berechtigte Hoffnung hinzu, dass diese Zivilisation in der Lage sein
wird, auch für andere Regionen Chancen des Wohlstands, des Friedens
und der Stabilität zu eröffnen.
Daran mitzuwirken ist eine der vornehmsten Aufgaben in den
nächsten Jahren für die Partner diesseits und jenseits des Atlantiks.

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