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CDU/CSU - Bundestagsfraktion

CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Merz: Afghanistan eine Perspektive geben

Berlin (ots)

In der heutigen Debatte zum Thema "Beteiligung der
Bundeswehr an einer UN-mandatierten internationalen
Sicherheitspräsenz in Kabul und Umgebung" führte der Vorsitzende der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Friedrich Merz MdB, folgendes aus:
Korrigiertes stenographisches Protokoll
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Als wir uns vor drei Monaten einig waren, dass gegen den
internationalen Terror entschlossenes Handeln gefordert ist, haben
wir nicht zu hoffen gewagt, dass es zum Ende des Jahres gelingen
könnte, das Zentrum des Terrors in Afghanistan weitgehend zu
zerstören und das Taliban-Regime zu beseitigen.
Wir können heute feststellen, dass vor allem unsere amerikanischen
Freunde etwas fertiggebracht haben, was viele ihnen nicht zugetraut
haben: Sie haben mit Bedacht und Umsicht, aber auch mit
Entschlossenheit und massiver militärischer Kraft eine Operation
vorbereitet und durchgeführt, die binnen kurzer Zeit erfolgreich war.
Dafür sind wir den Amerikanern Dank schuldig; denn sie haben mit
diesem Einsatz auch im Interesse unseres Landes und unserer
Sicherheit gehandelt.
Die Strategie der USA war richtig und ist unverändert richtig. Die
Al-Qaida ist weitgehend - jedenfalls in Afghanistan - zerschlagen.
Die weltweite Anti-Terror-Allianz hat bis heute gehalten. Die
internationalen Hilfsorganisationen haben endlich gesicherten Zugang
nach Afghanistan. Die Lage der Flüchtlinge hat sich verbessert, auch
wenn immer noch Tausende von Hunger und Tod bedroht sind.
Der Kampf gegen den Terror ist damit aber noch längst nicht
beendet. Er ist in Afghanistan nicht beendet und er ist an anderen
Orten der Welt nicht beendet. Er wird Jahre dauern und er wird auch
uns Deutschen mehr abfordern als den Transport von Wolldecken von
Ramstein in die Türkei; denn viel mehr ist es bisher nicht gewesen,
was Deutschland geleistet hat. Ich kritisiere das nicht, Herr
Bundeskanzler, auch wenn es aus der Rückschau einigermaßen grotesk
anmutet, dass darüber fast das rot-grüne Bündnis zerbrochen wäre.
Nun wird heute - vermutlich jedenfalls - eine Fraktion in diesem
Parlament erneut einem Einsatz nicht zustimmen: Das ist die
PDS-Fraktion.
Dies wäre der besonderen Erwähnung nicht wert, wenn nicht zum
gleichen Zeitpunkt, zu dem wir heute einen Bundeswehreinsatz
entscheiden, Ihre Partei, Herr Bundeskanzler, eine Koalition mit
genau dieser PDS in Berlin eingehen würde. - genau zum selben
Zeitpunkt.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben von Paris aus - bezeichnenderweise
in einer französischen Zeitung - erklärt, dass es nicht Ihr Wunsch
sei, dass diese Koalition eingegangen wird. Das mag man glauben oder
nicht. Aber die Tatsache, dass das zum selben Zeitpunkt geschieht,
schadet dem Ansehen unseres Landes und Ihrer Glaubwürdigkeit, Herr
Bundeskanzler.
Heute geht es darum, dem über Jahrzehnte geschundenen Land
Afghanistan und seinen Menschen eine Perspektive des Friedens und der
Stabilität aus eigener Kraft zu eröffnen. Die Übergangsregierung in
Kabul, die heute ihre Arbeit aufnehmen soll, braucht Hilfe. Sie
braucht sie gegen die vielen Tausend Gegner im eigenen Land, etwa
gegen die große Zahl der Taliban-Kämpfer, die noch nicht gefasst und
entwaffnet sind, sowie gegen Straßenbanden und Fanatiker. Die
Friedenstruppe ist also in Afghanistan nur begrenzt willkommen. Das
müssen wir wissen. Das müssen aber vor allem unsere Soldaten wissen.
Der Aufbau einer zivilen Regierung und Verwaltung wird lange
dauern und viel Kraft kosten. Die internationale Staatengemeinschaft
hat sich dieser Verantwortung gestellt und mit dem UN-Mandat eine
völkerrechtlich einwandfreie Grundlage für eine internationale
Sicherheitsunterstützungstruppe geschaffen.
Wir werden dem Antrag, den die Bundesregierung heute gestellt hat
und der vorsieht, dass wir uns mit bis zu 1 200 Bundeswehrsoldaten an
dieser Truppe beteiligen, heute Nachmittag zustimmen. Ich will Ihnen,
Herr Bundeskanzler, allerdings nicht verhehlen, dass uns die
Zustimmung außergewöhnlich schwer fällt.
Wenn man sich Ihre Reihen anschaut, dann stellt man fest, dass
nicht nur die Pairingpartner, sondern auch eine ganze Reihe anderer
offensichtlich fehlen. Sie hätten ohne unsere Zustimmung die Mehrheit
im Deutschen Bundestag nicht.
Ich möchte Ihnen die Gründe sagen, warum es uns schwer fällt, dem
Antrag der Bundesregierung zuzustimmen. Schon die Vorbereitung der
Entscheidung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen hat ein
fatales Licht vor allem auf die Europäer geworfen. Offensichtlich
sind sich die drei großen europäischen Nationen, nämlich Frankreich,
Großbritannien und Deutschland, bis zum Schluss über die
Ausformulierung des Mandats nicht einig gewesen. Von einer
gemeinsamen europäischen Politik in der UNO, von einer gemeinsamen
Politik der Europäer in der UNO, von einer gemeinsamen europäischen
Außen- und Sicherheitspolitik war in diesem Zusammenhang nichts, aber
auch gar nichts zu spüren.
Welchen Sinn, Herr Bundeskanzler, machen eigentlich alle
Beschlüsse über eine europäische Eingreiftruppe, wenn man noch nicht
einmal politisch Einigkeit darüber erzielen kann, wie ein solches
Sicherheitsmandat aussehen soll, wer es wie lange führen soll, wer
wie viele Truppenanteile stellen soll und wie lange der Einsatz
überhaupt dauern soll?
Die Europäische Union hat erneut praktisch keine Rolle bei dieser
für Afghanistan, aber auch für uns in Europa so wichtigen Aufgabe
gespielt.
Ich weiß, es ist heute nicht der Tag, um über Europa zu sprechen.
Aber ich möchte doch wenigstens unserer Sorge darüber Ausdruck
verleihen, dass die Europäische Union von Anfang an, seit dem 11.
September bis heute, auch nicht annähernd die Gemeinsamkeit
aufgebracht hat, die ihrer Größe, ihrer Leistungsfähigkeit und vor
allem ihrem eigenen Anspruch entspricht.
Es stellen sich eine Reihe von anderen und zum Teil bis jetzt
nicht oder nur unzureichend beantworteten Fragen: Wie wird die Frage
der "lead nation" beantwortet, wenn die Briten nach drei Monaten
gehen? Ist es sicher, dass die Türkei das Kommando übernehmen wird?
Wird der Grundsatz "Zusammen rein und zusammen raus" von allen
beteiligten Nationen eingehalten? Ist gewährleistet, dass
ausreichende Rettungs- und Transportkapazitäten zur Verfügung stehen,
wenn sich die Lage zuspitzt? Wie sind die Kommandostrukturen? Wie ist
- dies ist besonders wichtig - die Kooperation mit den amerikanischen
Kampftruppen geordnet? Es heißt ja, es handele sich um "distinct
operations", aber "Enduring Freedom", also das amerikanische
Kommando, besitze im Konfliktfalle "authority". Was heißt das
konkret?
Meine Damen und Herren von der Koalition, mit diesem
Einsatzbeschluss, den die Regierung uns heute vorlegt hat, ist wohl
die Grenze zur Überforderung der Bundeswehr und ihrer Soldaten
endgültig erreicht, wenn nicht schon überschritten.
Dieser Einsatz macht auf erschreckende Weise deutlich, was in den
letzten Jahren versäumt wurde, um die Bundeswehr auf die Aufgaben,
die ihr gestellt wurden - (Zwischenrufe von der SPD) - Ich habe mit
diesem Zwischenrufen gerechnet. Der Bundeskanzler hat der
"Süddeutschen Zeitung" ein Interview gegeben - es ist heute
abgedruckt - und sich zu diesem Sachverhalt wie folgt geäußert:
Der Satz von der chronischen Unterfinanzierung der Bundeswehr
bezieht sich auf einen längeren Zeitraum als nur auf diese Regierung
und er ist nach unseren Maßstäben nicht mehr gerechtfertigt.
Herr Bundeskanzler, ich frage Sie: Was ist das eigentlich für eine
Logik?
Sie gestehen zu, dass es eine Unterfinanzierung der Bundeswehr
gibt. Dann entziehen Sie ihr 18,6 Millairden DM und sagen, jetzt sei
die Unterfinanzierung nicht mehr vorhanden. Was ist das eigentlich
für eine Logik, mit der Sie uns hier hinters Licht führen wollen?
Heute wird erneut deutlich, dass Sie der Bundeswehr noch nicht
einmal das zur Verfügung stellen wollen, was Sie selbst mit der
Bundeswehrreform beschlossen haben.
In diesem Zusammenhang sage ich Ihnen auch Folgendes: Es mag ja
sein, dass Sie Gründe haben, Ihren Verteidigungsminister im Amt zu
belassen.
Aber wenn Sie dem Land solche Peinlichkeiten wie die in den
letzten Tagen weiter zumuten, dann wird das die Autorität nicht nur
Ihrer Regierung, sondern auch die des ganzen Landes im Bündnis
gefährden.
Herr Bundeskanzler, ersparen Sie uns und anderen die Fortsetzung
dieser Peinlichkeiten! Nehmen Sie ihn über den Jahreswechsel in aller
Stille aus dem Amt! Lassen Sie ihn lange in die Karibik fahren!
Sorgen Sie dafür, dass ein Verteidigungsminister ins Amt kommt, der
Autorität und Ansehen auch bei den Soldaten der Bundeswehr genießt!
Damit aus dem, was ich kritisch zur Ausstattung der Bundeswehr
sage, kein Missverständnis entsteht: Dies ist keine Kritik an den
Soldaten!
Auch das mag Ihnen nicht gefallen, aber unsere Soldaten haben in den
letzten Jahren, insbesondere im zu Ende gehenden Jahr 2001, weit
überdurchschnittliche Leistungen vollbracht, insbesondere in den
Auslandseinsätzen, in die wir sie geschickt haben.
Unsere Soldaten haben wirklich höchste Anerkennung verdient. Sie
und Ihre Familien verdienen es aber auch, dass der Dienstherr seiner
Fürsorgepflicht ihnen gegenüber gerecht wird.
Die Verantwortung dafür nimmt Ihnen, Herr Bundeskanzler, das
Parlament mit seiner Zustimmung heute, wenn sie denn erteilt wird,
nicht ab. Sie als Bundeskanzler tragen auch dann noch die
Verantwortung dafür, dass alles, aber auch wirklich alles getan wird,
um unsere Soldaten im Einsatz bestmöglich zu schützen.
Der Einsatz in Afghanistan ist mit erheblichen Risiken verbunden.
Nach Bosnien, dem Kosovo und Mazedonien ist es jetzt endgültig an der
Zeit, dass Sie, Herr Bundeskanzler, Ihre Politik korrigieren, Ihre
Bundeswehrplanung gründlich überarbeiten und neu ausrichten. Der
Bundeswehr fehlen schon heute rund 7 000 Unteroffiziere und
Feldwebel. Die Zusage, dass Soldaten bei den Auslandseinsätzen
maximal sechs Monaten in der Auslandsverwendung und anschließend zwei
Jahre ohne eine solche Auslandsverwendung sind, kann bei einer immer
größer werdenden Zahl von Soldaten aller Dienstgrade nicht mehr
eingehalten werden.
Herr Bundeskanzler, Sie können spätestens nach dem heutigen
Beschluss den Fragen nicht mehr ausweichen, die wir Ihnen seit Ihrem
Amtsantritt seit drei Jahren stellen - ich will sie zusammenfassen -:
Welche regionalen und globalen strategischen Aufgaben sind Europa und
vor allem der Europäischen Union gestellt? Welchen Beitrag will und
kann Deutschland im Rahmen einer europäischen Außen-, Sicherheits-
und Verteidigungspolitik dazu leisten? Was sind die realistischen
Kosten eines solchen deutschen Beitrags und wie bringen wir sie auf?
Schließlich: Welche Perspektiven und welche Sicherheit haben unsere
Soldaten in ihrem Beruf? Auf diese Fragen, Herr Bundeskanzler, müssen
Sie Antwort geben. Dem können Sie nicht ausweichen.
Ich sage deshalb noch einmal: Mit dem heutigen Beschluss ist
endgültig die Zeit für eine Wende in der Politik für die Bundeswehr
gekommen. Wenn Sie sich dieser Herausforderung mit einer
Kurskorrektur in Ihrer bisherigen Politik nicht stellen, wenn Sie die
Bundeswehr weiterhin in immer mehr Einsätze schicken und ihr dafür
immer weniger Geld zur Verfügung stellen, dann werden Sie, Herr
Bundeskanzler, und Ihre Regierung der gewachsenen internationalen
Verantwortung unseres Landes ebenso wenig gerecht wie der Pflicht,
den Soldaten der Bundeswehr ein fürsorgender und verantwortlicher
Dienstherr zu sein.
Wir stimmen dem Einsatz der Bundeswehr heute Nachmittag trotz all
unserer Bedenken  - sie sind in den letzten Tagen nicht kleiner
geworden - zu. Wir stimmen zu, weil wir dem afghanischen Volk, den
Menschen und vor allem den vielen Hunderttausend Kindern in diesem
Land helfen und ihnen eine Perspektive geben wollen. Wir stimmen aber
auch zu, weil Sicherheit in Afghanistan auch ein Beitrag zum Schutz
unseres Landes vor terroristischen Anschlägen fanatischer Extremisten
ist.
Wir wünschen unseren Soldaten eine gute und vor allem gesunde
Heimkehr. Unsere Soldaten und ihre Familien sollen wissen, dass wir,
die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, diese Entscheidung heute,
zwei Tage vor dem Weihnachtsfest, hier, in Berlin, nach sorgfältiger
und gewissenhafter Prüfung treffen. Wir treffen Sie, weil wir damit
gemeinsam auch einen Beitrag für die Sicherheit in Deutschland
leisten. Herzlichen Dank.

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