Das Erste, Mittwoch, 5. September 2001, 23.00 - 23.30 Uhr
Joachim
Gauck
Köln (ots)
Gast: Johannes Rau
Über die Macht und Ohnmacht des Bundespräsidenten
"Wir leben", befand Bundespräsident Johannes Rau unlängst bei der Jahresversammlung der Max-Planck-Gesellschaft, "in einer Zeit der neuen Unübersichtlichkeit." Tatsächlich fällt es immer schwerer, den Überblick über die drängenden Fragen der Gegenwart zu bewahren und eindeutige Positionen zu formulieren. Die grundlegenden Probleme drohen in der täglichen Informationsflut unterzugehen und sind so vielschichtig, dass einfache, vom klassischen Rechts-Links-Denken geprägte Antworten unmöglich geworden sind. In der ersten Ausgabe der Gesprächssendung Joachim Gauck nach der Sommerpause ist mit Johannes Rau der erste Mann des Staates zu Gast. Mit ihm wird darüber zu sprechen sein, inwieweit der Bundespräsident in dieser unübersichtlichen Zeit Orientierungshilfen geben kann? Bis zu welchem Grad ist es ihm überhaupt möglich, auf die folgenschweren Entwicklungen der Gegenwart einzuwirken? Neben Fragen zu seinem Amtsverständnis, der Macht und Ohnmacht des Bundespräsidenten, aber auch den Vorwürfen der Opposition, parteipolitisch zu agieren, sind die drängenden aktuellen Probleme wie der umstrittene Mazedonien-Einsatz der Bundeswehr oder die innerdeutsche Lage Gesprächsthema.
Ob Gentechnik, Umbau des Sozialstaats oder Globalisierung: Stellt sich die Frage, ob die Politik überhaupt noch in der Lage ist, die gesellschaftliche Wirklichkeit zu gestalten. Werden die Weichen nicht längst von anderen Kräften gestellt? Muss der Staat wirklich schlanker werden - oder nicht ganz im Gegenteil wieder alte Stärke gewinnen? Bei der Gentechnik-Debatte bezieht Johannes Rau eindeutig Position: "Angesichts der historisch einmaligen Möglichkeiten, die der Erkenntnisgewinn der Naturwissenschaften mit sich bringt, wächst die Verantwortung der Politik", bekräftigte er auf besagter Versammlung der Max-Planck-Gesellschaft.
Verantwortung - ein zentraler Begriff für den praktizierenden Christen. Oft als "Bruder Johannes" belächelt, trat der damals 68-jährige SPD-Politiker am 1. Juli 1999 das Amt des Bundespräsidenten an. In einer Zeit, in der es in erster Linie um Machbarkeit, Wirtschaftlichkeit und Spaß zu gehen scheint, befindet sich ein Mann an der Spitze der Bundesrepublik, dem es offensichtlich ganz altmodisch um Moral und Gerechtigkeit geht. Kann er sich da noch Gehör verschaffen?
Redaktion Heribert Schwan
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