Europaweit einziger Lehrstuhl für Phlebologie in Bochum nimmt Fahrt auf - Neue Wege in der Erforschung von Venenleiden
Bochum (ots)
Seit dem 15. Januar 2017 leitet Prof. Dr. med. Stefanie Reich-Schupke an der Ruhr-Universität Bochum den europaweit einzigen Lehrstuhl für Phlebologie. Im Rahmen ihrer Tätigkeit legt die renommierte Dermatologin unter anderem ein Augenmerk auf die Kompressionstherapie. In den Fokus ihrer ersten Vorlesung als Professorin am 10. Mai 2017 stellte Reich-Schupke dementsprechend die Geschichte dieser Therapieform. Unter dem Titel ''Von Leder und Leiden zur synthetischen Faser - die Entwicklung der modernen Kompressionstherapie'' erläuterte sie deren Ursprünge und Entwicklung in Deutschland. Prof. Dr. Reich-Schupkes besonderes Anliegen ist aber die Forschung, daher wird sie mit dieser Professur die Erforschung von Venenleiden forcieren. Reich-Schupke legt zudem bei ihrer Arbeit einen Fokus darauf, die Sichtbarkeit des Fachs zu stärken und eine Initialzündung für nationale und internationale Forschung auszulösen. Der Lehrstuhl befindet sich am Venenzentrum Bochum, einem der größten Gefäßzentren in Deutschland. Am Rande eines Expertentreffens des Medical Data Institute hatten wir Gelegenheit, mit Prof. Dr. Stefanie Reich-Schupke und dem Leitenden Arzt des Venenzentrums der Dermatologischen und Gefäßchirurgischen Kliniken, Ruhr-Universität Bochum, Prof. Dr. Markus Stücker, zu sprechen.
MDI:
Erkrankungen der Beinvenen sind in der Bevölkerung weit verbreitet. Welche Bedeutung hat die Phlebologie vor diesem Hintergrund für die Gesundheitsversorgung?
Reich-Schupke:
Venenleiden sind eine Volkskrankheit. Etwa 20% der deutschen Bevölkerung leiden unter einem behandlungsbedürftigen Krampfaderleiden. Nimmt man Patienten mit Thrombosen und chronischen Wunden hinzu, steigt die Zahl der Betroffenen auf ca. 30% der Bevölkerung. Die Diagnostik und Therapie dieser Patienten erfolgt über Fachärzte unterschiedlicher Disziplinen. Primäre Anlaufstelle sind meist die hausärztlich tätigen Allgemeinmediziner oder Internisten. Außerdem werden Dermatologen, Angiologen, Chirurgen und Gefäßchirurgen mit Fragestellungen zu Venenleiden kontaktiert.
Stücker:
Die Phlebologie ist die Fachdisziplin, die sich spezialisiert mit den Venenleiden beschäftigt. Sie ist als eigene Disziplin noch recht jung. Etwa seit den 60er Jahren gibt es eine Zusatzbezeichnung Phlebologie, die Ärzte aus den Bereichen Allgemeinmedizin, Chirurgie oder Dermatologie mit eineinhalbjähriger Weiterbildung erwerben können.
MDI:
Die Therapie von Venenleiden fällt also in den Kompetenzbereich vieler ärztlicher Disziplinen. Welchen Stellenwert hat in diesem Zusammenhang die Phlebologie aktuell in der medizinischen Ausbildung?
Reich-Schupke:
Bisher kommt die Phlebologie in der medizinischen Fortbildung sozusagen als Unterkapitel in den Fachbereichen Dermatologie, Innere Medizin oder Chirurgie vor. Es liegt jedoch an dem Engagement der einzelnen Professoren und Dozenten, wieviel Raum diesem Kapitel eingeräumt wird. Manche Ärzte haben mit phlebologischen Fragestellungen leider auch erst dann Kontakt, wenn sie in der Praxis oder im Klinikalltag selbst als Arzt angekommen sind.
MDI:
Ein stärkerer Fokus auf die phlebologischen Fragestellungen bereits in der Ausbildung wäre also sinnvoll. Welche Impulse könnten vom neu geschaffenen Lehrstuhl für Phlebologie in dieser Hinsicht ausgehen?
Reich-Schupke:
Eine Änderung des Lehrplans für die Humanmedizin werden wir nicht erreichen können. Wir möchten aber die Aufmerksamkeit für diesen entsprechend der Häufigkeit der Krankheitsbilder wichtigen und großen Bereich der Medizin stärken, Interesse an diesem Bereich Themenkomplex wecken, Aufklärung unter Studenten und Laien leisten. In Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie haben wir einen einen phlebologischen Einsteigerkurs für Studenten konzipiert. Der Einsteigerkurs soll erstmalig im März 2018 in Bochum angeboten werden.
Stücker:
Eingeladen sind Teilnehmer aus ganz Deutschland. Vermittelt werden sollen Therapie und Praxis von Venenleiden in einem Intensivseminar und -workshop. Hier sollen vor allem die für den praktischen Alltag aller Fachdisziplinen wichtigen Basics der Phlebologie vermittelt werden. Dazu gehört besonders eine Grundkenntnis zu den pathogenetischen Hintergründen eines Venenleidens, zur Differentialdiagnose von chronischen Wunden und Ödemerkrankungen, aber praktisch vor allem auch die korrekte Anwendung der Kompressionstherapie.
MDI:
Angesichts der Anfangs angesprochenen Verbreitung von Venenleiden, besteht ein nachvollziehbarer Bedarf an weiteren Erkenntnissen. Welche Bedeutung kommt der phlebologischen Forschung heutzutage zu?
Reich-Schupke:
Es gibt national wie international einige aktive phlebologische Forschungsgruppen. Verglichen mit der Zahl der betroffenen Patienten, ist das aber verschwindend gering. Da die Phlebologie jedoch ein interdisziplinäres Fach darstellt, also nirgends ein richtiges zu Hause hat, es auch keinen Lehrstuhl für Phlebologie mehr gab, wurde die Forschung meist sozusagen nebenberuflich oder als Hobby von engagierten Kollegen erbracht.
Stücker:
Im Vordergrund steht zunächst die unmittelbare Patientenversorgung, der Rest passiert nach dem Ende der eigentlichen Tätigkeit oder am Wochenende. Wenngleich viele gute Ergebnisse trotz dieser widrigen Umstände zusammengekommen sind, so ist es doch ein mühsames und nur langsames Vorankommen.
MDI:
Es wird deutlich, dass die phlebologische Forschung stark durch persönlichen Einsatz und Engagement geprägt ist. Was sind ihre persönlichen Schwerpunkte in der phlebologischen Forschung?
Reich-Schupke:
Die neu eingerichtete Stiftungsprofessur für Phlebologie, also der neue Lehrstuhl für Phlebologie in Bochum kann nun allein natürlich auch keine Berge versetzen, soll aber als Anlauf- und Koordinationsstelle für nationale wie internationale Forschungsprojekte dienen. Thematisch sind wir offen für das gesamte Spektrum der Phlebologie. Ein wesentlicher Schwerpunkt wird hier sicherlich die Kompressionstherapie als Basis der phlebologischen Behandlung sein. Wenngleich sie bereits viele Jahrhunderte alt ist, so ist über ihre exakte Wirkung nach wie vor wenig bekannt. Darüber hinaus bin ich Nachwuchsbeauftragte der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie und arbeite stetig daran, den Fachbereich auch für junge Kollegen interessant und attraktiv zu machen. Wir haben in den letzten Jahren zahlreiche Fortbildungsaktivitäten, Netzwerktreffen für junge Kollegen ausgerichtet, bieten ein Hospitationsprogramm und nun auch ein wissenschaftliches Mentoring an. Es wurden Dank der Unterstützung der Industrie neue Förderpreise aufgelegt. Neu hinzu kommt - wie bereits erwähnt - im März 2018 ein phlebologisches Seminar- und Workshopangebot für Studenten.
MDI:
Wer etwas bewegen möchte, benötigt einen festen Stand. Wie ist der Lehrstuhl organisatorisch eingebunden?
Reich-Schupke: Die Stiftungsprofessur für Phlebologie gehört formal zur Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Ruhr-Universität Bochum und ist räumlich am Venenzentrum der Dermatologischen und Gefäßchirurgischen Kliniken, im St. Maria-Hilf Krankenhaus in Bochum platziert.
Stücker:
Das Venenzentrum in Bochum ist eines der ersten interdisziplinären universitären Gefäßzentren und eines der größten Venenzentren in Deutschland. Es bietet das komplette Spektrum der phlebologischen Diagnostik und Therapie -. vom Besenreiser bis zur Intervention an den tiefen Venen.
MDI:
Frau Prof. Dr. Reich-Schupke, Herr Prof. Dr. Stücker, vielen Dank, dass Sie sich für unsere Fragen Zeit genommen haben. Würden Sie uns abschließend einen Ausblick darauf geben, wie sich die Zusammenarbeit mit dem neuen Lehrstuhl in Zukunft gestalten wird?
Reich-Schupke:
Der Lehrstuhl ist de facto aktiv als Phlebologisches Studienzentrum. Hier werden Studienideen und Studienanfragen koordiniert, Ideen weiterentwickelt und in durchführungsfähigen Projekten umgesetzt. Die Ideen kommen bisher aus dem Lehrstuhl selbst, aus der Industrie oder aber von in der Praxis oder in Kliniken tätigen Kollegen aus ganz Deutschland. Die Idee, eine Initialzündung für phlebologische Forschungsprojekte zu geben und Anlaufstelle für andere Kollegen zu sein, hat bereits in den ersten Monaten gut funktioniert. Die ersten gemeinsamen Studien mit externen Zentren sind in diesen Wochen angelaufen.
Stücker:
Die bisher bereits im Venenzentrum existierenden Studienprojekte wurden teils übernommen oder die Kollegen bekamen Unterstützung in ihren Aktivitäten. Es gibt eine enge Verzahnung und einen regen Austausch zwischen den klinisch tätigen Kollegen und dem Lehrstuhl, so dass die Forschung und Lehre in Bochum nun noch mehr Dynamik bekommen hat.
Weitere Informationen: www.md-institute.com
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Jan H. Timm
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