Es stimmt was nicht im Land Kommentar der "Fuldaer Zeitung" (10. Juli 2020) zum Verfassungsschutzbericht
Fulda (ots)
Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten ist 2019 gestiegen - die der linksextremistischen auch. Also alles wie immer? Hinter den regelmäßig unschönen Zahlen des Verfassungsschutzes kommt manch besorgniserregendes Detail zu Tage: Die politisch motivierten Straftaten, die von Linken verübt wurden, sind binnen eines Jahres um 40 Prozent nach oben geschnellt, die von Rechten - zahlenmäßig mehr als doppelt so viele (!) - um 10 Prozent. Wie in einem Brennglas bündeln sich in dem Bericht Erkenntnisse über den Zustand unserer Gesellschaft, die sich zusammenfassen lassen in dem Befund: Die Radikalisierung im Land schreitet weiter voran, die Ränder gewinnen an Zulauf.
Nun ist nicht jeder, den die große Zahl von Flüchtlingen ängstigt, ein Extremist - genauso wenig wie der, der den Verschwörungstheorien Glauben schenkt, Bill Gates wolle die Coronakrise nutzen, um die Weltherrschaft zu übernehmen. Doch im politischen Diskurs verfangen zunehmend Meinungen ohne Logik, Vernunft und Argumente. Hat schon die Flüchtlingskrise gespalten, so driftet in der Pandemie die Gesellschaft weiter auseinander: Am Streit um Impfen oder Nicht-Impfen, um Corona-App-Nutzung oder -Nichtnutzung zerbrechen Freundschaften und Familienbande. Die, die vermeintlich die Wahrheit gepachtet haben, warten schon, um Gestrandete aufzunehmen: Rechtsextremisten, getarnt mit Judenstern und Anne-Frank-T-Shirts, mischen sich unter die ratlosen Zweifler.
Der Staat erscheint ohnmächtig angesichts der sich über das Internet schneller als das Coronavirus verbreitenden Botschaften. Eine Regulierung - zugegebenermaßen schwierig in einer freien Gesellschaft - lässt auf sich warten. Und überdenkenswerte Vorschläge wie der von Bundestagspräsident Schäuble, dass sich niemand mehr in der Anonymität des Internets verstecken können, sondern Kommentare nur noch mit Klarnamen verbreiten soll, werden abgetan. Manches mag man den Parteien anlasten, die ihre integrative Funktion verloren haben. Aber auch die Justiz ist nicht mehr Herr der Lage: Wenn ein Verfahren, wie kürzlich in Gelnhausen, gegen einen Rentner gegen 300 Euro Geldauflage eingestellt wird, obwohl er 2015 zur Tötung von Walter Lübcke angestachelt hat, dann stimmt etwas nicht in unserem Land. Wenn der Mordfall Lübcke um ein Haar unaufgeklärt geblieben wäre, weil DNA-Daten des mutmaßlichen Täters gelöscht worden wären, dann müssen dringend die Gesetze nachgebessert werden.
Doch so muss sich niemand wundern, wenn es auch nächstes Jahr wieder im Verfassungsschutzbericht heißt: Alles wie immer. / Bernd Loskant
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