General-Anzeiger: Leitartikel: Die FDP nach Wikileaks
Bonn (ots)
Noch 'ne Delle¶
Von Ulrich Lüke
Fürwahr, das ist eine neue Erfahrung: Wer Zeitungswissen weitergibt, verliert seinen Arbeitsplatz. Dem Büroleiter des FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle ist das in dieser Woche passiert, jetzt ist er es nicht mehr und muss demnächst vielleicht Zeitungsartikel ausschneiden. Spaß beiseite: Auch diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien müssen sich allmählich entscheiden, ob sie die Wikileaks-Veröffentlichungen, die ja wie alle bisherigen in erster Linie gegen die USA gerichtet sind, nun ernst nehmen wollen oder nicht. Dass sie - insbesondere für den deutschen Außenminister - äußerst unangenehm, weil ganz und gar nicht schmeichelhaft sind, ist klar. Aber wenn sein Büroleiter (diese Funktion ist auf einmal auch gar nicht mehr so wichtig) seinen Hut nehmen muss, obwohl er nur Zeitungswissen weitergab und das auch noch zu seinen Aufgaben gehörte, dann stimmen die Proportionen ganz und gar nicht. Richtig wird demnach sein: Westerwelles Büroleiter hat faktisch mit dazu beigetragen, dass sein Chef öffentlich noch schlechter dasteht, als er dies ohnehin tut. Und dabei spielt es keine Rolle, ob er den US-Botschafter in Berlin persönlich getroffen oder über Mittelsmänner berichtet und über seinen Chef selbst gar nichts gesagt hat. Mitgefangen, mitgehangen. Nun ist Helmut Metzner natürlich kein Günter Guillaume, der Willy Brandt die Kanzlerschaft kostete. Aber immerhin ist die Sache so belastend, dass prompt ein anderer FDP-Politiker den Abzug des US-Botschafters forderte, was die Bundesregierung dazu zwang, ihrerseits laut zu betonen, das genau sei ihre Position nicht. Chaos an der Spree. Zudem kann so ein Bekenntnis zum Botschafter leicht wirken wie das Treuegelöbnis zu einem erfolgsverlassenen Bundesliga-Trainer, zwei Tage, bevor er in die Wüste geschickt wird. Erfolgsverwöhnt ist Guido Westerwelle seit dem Tag, an dem sich sein Traum der Regierungsbeteiligung erfüllte, jedenfalls nicht. Seit dem Beginn der schwarz-gelben Koalition läuft für die FDP unter seiner Führung viel mehr schlecht als gut. Das begann mit dem unglücklichen Einstieg, Hoteliers die Mehrwertsteuer zu reduzieren. Sofort war sie wieder da, die Vorstellung von der FDP als unsolider Klienteltruppe. Das setzte sich fort mit der Vereinbarung, nichts zu tun, um den Wahlsieg in NRW nicht zu gefährden - mit dem Ergebnis, dass er genau dadurch verspielt wurde. Hinzu kam die nicht erklärbare thematische Verengung auf die gebetsmühlenartig wiederholte Forderung nach Steuersenkung, als alle Welt längst wusste: Geht zur Zeit gar nicht. Die Liberalen verspielten dadurch nicht nur ihr grandioses Wahlergebnis von fast 15 Prozent, sondern drittelten sich in wenigen Monaten und krebsen jetzt an der Fünf-Prozent-Hürde herum. Vor allem aber: Das Etikett der Spaßpartei ist auf ganz neuem Gewand wieder da: Man nimmt sie nicht mehr so richtig ernst, spottet über sie. Das aber ist noch schlimmer, als würden die Liberalen im Koalitionsgerangel ab und an unterliegen. Jetzt also noch eine Delle: Während Angela Merkel mit kurzen, aber heftigen Bewegungen mal eben drei, vier Pflöcke einschlägt und so klar macht: jetzt regiere ich, profitieren Westerwelles Liberale vom zarten Koalitionsaufschwung nicht. Im Gegenteil: Es ist ja nicht nur der Büroleiter des Chefs weg, auch der Vorsitzende des größten Landesverbandes hat ja seinen Hut genommen. Verlieren die Liberalen in Baden-Württemberg könnte der Chef der nächste sein.
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