Gesundheit: Globale Antworten auf die deutsche Systemkrise
Frankfurt am Main (ots)
Gesundheitsversorgung steht weltweit unter Druck / PwC-Studie: Ohne tief greifende Reformen droht vielen Systemen bis 2020 der finanzielle Kollaps / Ausrichtung an globaler "Best Practice" für nachhaltige Entwicklung in Deutschland erforderlich / Deutsche Kliniken geben Kapitalmangel als Hauptkostentreiber an
Die Gesundheitssysteme stehen weltweit unter Druck. Bei allen nationalen Unterschieden kämpfen Leistungserbringer und -träger in den Industrienationen mit ähnlichen Problemen: Die steigende Nachfrage führt zu immer höheren Kosten, gleichzeitig verlieren die Patienten zunehmend das Vertrauen in die Gesundheitsversorgung. Ohne tief greifende Reformen werden viele Gesundheitssysteme die kommenden 15 Jahre nicht überstehen, so das Fazit der Studie "HealthCast 2020" der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC).
Auch in Deutschland gibt es bislang noch kein Rezept gegen die seit Jahren bestehende Finanzkrise des Gesundheitssystems. "Und es ist zu befürchten, dass weitere wertvolle Zeit verloren geht, bevor echte Reformen angegangen werden", so Harald Schmidt, Partner und Leiter des Geschäftsbereichs Healthcare bei PwC. Die Koalitionsvereinbarung der künftigen schwarz-roten Bundesregierung bleibt beim Thema Gesundheitsfinanzierung vage: Die Konzepte der "Solidarischen Gesundheitsprämie" (CDU und CSU) und der "Bürgerversicherung" (SPD) ließen sich nicht "ohne weiteres miteinander vereinbaren", heißt es dort. Eine Kommission soll im Laufe des kommenden Jahres nach einer Lösung suchen.
Die vorliegende PwC-Studie zeigt, dass kein Land das "Ei des Kolumbus" für sein Gesundheitssystem gefunden hat. "Aus dem internationalen Vergleich lässt sich jedoch eine globale Best Practice heraus kristallisieren, die Leitbild für die Schaffung eines nachhaltigen Gesundheitssystems in Deutschland sein kann", konstatiert Michael Burkhart, Partner bei PwC. Zu den Kernelementen gehören die Einbeziehung der wichtigsten Akteure in den Reformprozess, die Schaffung einer kompatiblen digitalen Infrastruktur, die Etablierung effizienter Anreizsysteme, Festschreibung und Überprüfung verbindlicher Qualitätsstandards, eine ausgewogene Verteilung der finanziellen Lasten sowie die Durchsetzung innovativer und flexibler Strukturen.
Die Studie basiert auf einer Befragung von mehr als 580 führenden Vertretern aus Ärzteschaft und Klinikmanagement, Pharma- und Medizintechnikindustrie, Wissenschaft, Krankenversicherungen und anderen Gesundheitseinrichtungen aus 27 Ländern rund um den Globus. Zusätzlich wurden ausführliche Interviews mit mehr als 120 Gesundheitsexperten aus Europa, den USA, Kanada, Singapur, Indien, dem Nahen Osten, Südafrika und Japan geführt.
Kostenexplosion droht Gesundheitssysteme zu sprengen
Seit 1997 steigt in den OECD-Ländern der Anteil des Bruttoinlandprodukts (BIP), der für Gesundheit ausgegeben wird, kontinuierlich an. Nach Ansicht von knapp der Hälfte der Befragten wird sich der Anstieg in den kommenden 15 Jahren sogar noch beschleunigen. Mit gleich bleibenden Wachstumsraten oder einer Stagnation der Gesundheitsausgaben rechnen lediglich 22 Prozent.
Im Jahr 2002 gaben die 24 OECD-Länder insgesamt 2,7 Billionen US-Dollar - umgerechnet gut 2,3 Billionen Euro - für Gesundheit aus. PwC schätzt, dass sich die Gesundheitsaufwendungen der OECD-Länder bis zum Jahr 2020 mehr als verdreifachen und etwa 10 Billionen US-Dollar (8,5 Billionen Euro) erreichen. In den USA beläuft sich der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt dann auf rund 21 Prozent, in den übrigen OECD-Staaten im Durchschnitt auf voraussichtlich 16 Prozent. "Dieser Trend gilt auch für Deutschland, wie die jüngsten Schätzungen der Krankenkassen bestätigen. Dies würde einen Anstieg der Krankenkassenbeiträge und eine weitere Verteuerung des Faktors Arbeit bedeuten, mit den entsprechenden Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Diese Entwicklung steht in absolutem Gegensatz zu den arbeitsmarktpolitischen Zielen der neuen Bundesregierung", so Harald Schmidt.
Einsparungen verschlechtern Qualität nicht zwangsläufig
Die Begrenzung des Kostenanstiegs ist eine zentrale Bedingung für Nachhaltigkeit in der Gesundheitsversorgung. Dabei müssen Einsparungen nicht zu Lasten der Qualität gehen. Das Beispiel der USA zeigt, dass ein teures Gesundheitssystem nicht automatisch eine gute Versorgung gewährleistet: Während in den Vereinigten Staaten gemessen am BIP je Einwohner mehr Geld für Gesundheit ausgeben wird als in jedem anderen OECD-Staat, liegt das Land bei der durchschnittlichen Lebenserwartung nur auf Rang 22 von 30. Im Vergleich: Deutschland liegt bei den Ausgaben in Relation zum BIP hinter den USA und der Schweiz auf Platz 3 und belegt Platz 13 bei der durchschnittlichen Lebenserwartung.
Die Hauptverantwortung für den falschen Einsatz der Mittel im Gesundheitsweisen tragen nach Ansicht der befragten Experten vor allem Regierungen (20 Prozent der Befragten), Ärzte (19 Prozent) und Kliniken (16 Prozent). In erster Linie den Patienten in der Pflicht sehen 15 Prozent, während nur acht Prozent bei den Pharmakonzernen die größten Einsparpotenziale identifizieren.
Weitgehend einig sind sich die Befragten darüber, dass ein Gesundheitssystem nur dann auf Dauer funktionieren kann, wenn es die gesamte Bevölkerung einschließt. Die Gewährleistung des gleich berechtigten Zugangs zu Gesundheitsdienstleistungen ist für über 80 Prozent in den USA, Kanada und Europa zentrales Element eines nachhaltigen Systems. Bei anderen Aspekten zeigen sich jedoch vom gesellschaftlichen Umfeld geprägte regionale Bewertungsunterschiede: So sind Wettbewerb und Kostenbeteiligung der Patienten aus amerikanischer Sicht wichtiger als aus europäischer und kanadischer, während Budgetierung und Rationierung der medizinischen Versorgung in den USA auf weniger Zustimmung treffen.
Stärkere Privatisierung der Gesundheitskosten unumgänglich
Das Gesundheitssystem der Zukunft wird stärker als bisher auf einer Teilung der finanziellen Risiken zwischen öffentlicher Hand und privaten Haushalten beruhen. Nur eine Minderheit der befragten Experten in Nordamerika und Europa glaubt, dass nachhaltige Versorgungssicherheit von einem weitgehend staatlich finanzierten System gewährleistet werden kann. Dass eine stärkere Kostenbeteiligung der Patienten das Gesundheitssystem entlasten kann, zeigt das Beispiel der Praxisgebühr in Deutschland. Nach Einführung der Abgabe von zehn Euro je Quartal gingen die Praxisbesuche deutlich zurück.
Doch können Gesundheitssysteme nur dann auf Dauer wettbewerbsfähig bleiben, wenn sie sich zusätzliche Finanzquellen - zum Beispiel zum Abbau des deutschen Investitionsstaus im Krankenhauswesen von rund 50 Mrd. EUR - zum Beispiel über Public-Private-Partnerships erschließen. Andernfalls sind notwendige Investitionen nicht zu finanzieren, wodurch die Kosten langfristig weiter steigen. So ergab eine PwC-Umfrage unter 55 deutschen Kliniken, dass diese selbst Kapitalmangel als Hauptkostentreiber ausmachen: Veraltete Geräte und Einrichtungen erschweren eine effiziente Versorgung der Patienten und führen damit zu höheren Ausgaben als notwendig.
Prävention und Disease-Management zur Kostensenkung
Prävention und die Ausweitung von Disease-Management-Programmen zur systematischen und vernetzten Therapie bestimmter Patientengruppen können das Versorgungsniveau verbessern und gleichzeitig die Kosten senken. Die größte Bedeutung für ein effizientes Nachfragemanagement haben nach Ansicht der Gesundheitsexperten allgemeine Gesundheits- und Impfprogramme (65 Prozent der Befragten) sowie das Disease-Management (57 Prozent). Wartelisten zur Nachfragesteuerung lehnt eine große Mehrheit (75 Prozent) ab. Insgesamt halten vier von fünf Befragten unzureichende integrierte Versorgungs- und Pflegekonzepte für das größte Problem der Gesundheitsversorgung.
Transparenz sichert Qualität
Bislang erfahren Patienten in überwiegend staatlich finanzierten Gesundheitssystemen nur im Ausnahmefall, wie hoch die Kosten für ihre Behandlung sind. "Doch je stärker Patienten für die Kosten von Arzt- und Klinikbesuchen sowie Medikamenten aufkommen müssen, desto genauer wollen sie wissen, wofür bezahlt wird", betont Harald Schmidt. Über 80 Prozent der befragten Gesundheitsexperten sind der Ansicht, dass Transparenz bei Kosten und Leistungen eine Grundvoraussetzung für Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen ist. Auf die steigenden Informationsansprüche der Patienten sind allerdings die meisten Einrichtungen noch nicht vorbereitet. Nach Ansicht der Befragten ist gerade einmal ein Drittel der Kliniken auf den Umgang mit Patienten eingestellt, die intensiv beraten und über mögliche Therapiealternativen aufgeklärt werden wollen.
Ein transparentes System schärft nicht nur das Kostenbewusstsein, sondern trägt auch zur Qualitätssicherung bei. Die Studie hebt als wichtiges Beispiel den Aufbau eines freiwilligen und anonymen Fehler-Reportsystems hervor, mit dem Schwachstellen bei Therapie und Versorgung in den Kliniken systematisch erfasst und beseitigt werden könnten. In Deutschland wurde 2004 mit der Gründung des Instituts für Wirtschaftlichkeit und Qualität im Gesundheitswesen ein erster Schritt hin zu einem transparenten System gemacht. Das Institut soll Qualität und Wirksamkeit von Gesundheitsleistungen und Medikamenten bewerten, Empfehlungen für die klinische Praxis geben und Gesundheitsinformationen für Patienten und Verbraucher veröffentlichen.
IT-Einsatz fördert flexible Strukturen
Die meisten Befragten (73 Prozent) halten den Einsatz von Informationstechnologien für einen wichtigen oder sehr wichtigen Faktor zur Integration der Gesundheitsversorgung. Allerdings erfordert der Aufbau von Datenbanken und Informationsnetzen höhere Investitionen sowie eine Standardisierung der Vernetzung aller Beteiligten.
Der intelligente IT-Einsatz kann die Effizienz bei Krankenversicherungen und Gesundheitsversorgern steigern sowie eine hoch qualitative Versorgung auch abseits der medizinischen Zentren unterstützen. So bindet ein großer deutscher Krankenhauskonzern ländliche Kliniken in ein zentrales Datennetz ein. Aus den Kliniken an der Peripherie werden so digitale Diagnosezentren, die rund um die Uhr Zugriff auf qualitativ hochwertiges medizinisches Fachwissen haben.
Fortschritte bei der Telemedizin werden auch die Konsolidierung der deutschen Klinik-Landschaft beschleunigen. Bereits heute plant jeder zweite der von PwC befragten Klinikmanager eine engere Zusammenarbeit mit anderen Krankenhäusern, und über ein Drittel der Befragten will ambulante Behandlungszentren einrichten.
Hinweis für die Redaktion: Die PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ist in Deutschland mit 8.200 Mitarbeitern und einem Umsatzvolumen von rund einer Milliarde Euro eine der führenden Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften. An 28 Standorten arbeiten Experten für nationale und internationale Mandanten jeder Größe. PwC bietet Dienstleistungen an in den Bereichen Wirtschaftsprüfung und prüfungsnahe Dienstleistungen (Assurance), Steuerberatung (Tax) sowie in den Bereichen Transaktions-, Prozess- und Krisenberatung (Advisory).
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